Nicht: Warum? – sondern: Warum nicht!

Der Kantorendienst beschäftigt die Kirche seit Jahrzehnten. Im Gegensatz zum Lektorendienst oder Akolythat fand er in den Pfarreien aber (noch) keinen Einzug.

Vier besondere Aufgaben sind im Messbuch wie selbstverständlich vorgesehen – und drei davon sind es in unseren Breiten auch. Diese drei sind: der Priester, der Akolyth (dessen Funktion von Ministrantinnen oder Ministranten wahrgenommen wird) und der Lektor oder die Lektorin. Der vierte Dienst allerdings ist in unseren Gottesdiensten, anders als es die «Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch» (AEM) vorsieht, nicht die Regel (vgl. Nr. 78), nämlich der des Kantors oder der Kantorin. Dabei kommen ihm wichtige Funktionen zu: Mitwirkung bei allen Gesängen im Gottesdienst, insbesondere beim Antwortpsalm nach der (Ersten) Lesung sowie Leiten und Stützen des Gesangs der Gemeinde (AEM 64).

Unverzichtbarer Dienst

Der Kantorendienst ist äusserst vielseitig. Neben dem Antwortpsalm wird auch an Wechselgesänge zwischen Kantor resp. Kantorin und Gemeinde gedacht, z. B. an Lieder, in denen die Gemeinde «nur» den Refrain singt, an Kyrie-Rufe, an den Hallelujaruf mitvers, an musikalische Kleinformen wie Akklamationen im Hochgebet oder ein ausgefaltetes «Amen» an dessen Ende. Aber die Kantorin oder der Kantor sind auch angehalten, die Gemeinde anzuleiten und ihr Singsicherheit zugeben. Gerade in kleiner werdenden Gottesdienstgemeinschaften wird diese Aufgabe immer wichtiger. Durch den Kantoreneinsatz wird der Gottesdienst musikalisch bunter, denn sie sind nicht einfach Solistinnen oder Solisten, die neben der Gemeinde oder gar an ihrer statt singen, sondern für und mit der Gemeinde, und sie dadurch selbst zum Singen animieren. Wobei das Singen für die Gemeinde in Corona-Zeiten, in denen die Gemeinde nur «reduziert» singen soll, besondere Bedeutung gewinnen kann.

Praktisch unverzichtbar wird aber der Kantor oder die Kantorin, wenn es um den Gesang des Psalms nach der Ersten Lesung geht. Nüchtern betrachtet ist dies eine der ganz wenigen Gelegenheiten, in denen Mitfeiernde noch dem uralten Schatz des Psalters begegnen. Wo kein Kantor oder keine Kantorin, da erklingen auch keine Psalmen! Da wird kein Zugang geschaffen zu diesem uralten Buch mit poetischem Reden zu, mit und über Gott und dessen Rezitation uns mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern verbindet.

Diese Argumente für den Kantorendienst betreffen keineswegs nur die Eucharistiefeier. Sie gelten neben der Tagzeitenliturgie und verschiedenen Andachtsformen vor allem auch für die Wort-Gottes-Feier. In der Pastoralen Einführung ist diesem Dienst ein eigener Artikel (47) gewidmet, indem gleichsam eine theologische Begründung des Dienstes angedeutet wird: «Grosse Bedeutung kommt in der Wort-Gottes-Feier der Kantorin oder dem Kantor zu, da sich in Wechselgesängen und Akklamationen der dialogische Charakter des Gottesdienstes entfaltet. Kantoren singen die Akklamationen bei der Prozession mit dem Lektionar zu Beginn der Verkündigung, den Antwortpsalm, das Halleluja (den Christusruf), die Akklamationen beim Lobgebet und bei den Fürbitten.»

Sich der Bedeutung bewusst werden

Wenn es also um Kantorinnen und Kantoren geht, dann darf die Frage inzwischen nicht mehr lauten: «Warum brauchen wir solche?» Sie muss vielmehr lauten: «Warum haben wir (noch) keine?» Die einzige Antwort, die ich darauf gelten lasse, ist die, dass es nicht ganz einfach ist, geeignete Personen zu finden. Aber dann muss weiter gefragt werden: Sind Kirchenmusizierende und Gemeindeleitung sich der Bedeutung des Kantorendienstes wirklich bewusst? Was haben sie bisher eingesetzt, um solche Personen zu finden und aus- und weiterzubilden? Können Mitglieder des Kirchenchores geschult werden? Kann die Chorleiterin resp. der Chorleiter oder eine kleine Schola den Dienst übernehmen? Kann der Organist oder die Organistin im Einzelfall den Vorsängerpart oder den Psalm übernehmen, wenn sonst niemand zur Verfügung steht (wobei dies eigentlich ein eigenständiger Dienst ist)? Hier gibt es viele Möglichkeiten, die nicht in die Frage münden: «Warum sollten wir?», sondern: «Warum haben wir noch nicht?» und hoffentlich irgendwann die Frage überflüssig machen!

Martin Conrad

 

Informationen zur Aus- und Weiterbildung von Kantorinnen und Kantoren finden sich beim Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz unter www.liturgie.ch

 


Martin Conrad

Lic. theol. Martin Conrad (Jg. 1968) ist Mitarbeiter am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz und arbeitet in einem Teilpensum in der Pfarrei Peter und Paul in Zürich.

 

BONUS

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