Nachsicht, Barmherzigkeit und die Zeichen der Zeit

Liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger

Liebe Leserinnen und Leser der SKZ

«Mittlerweile weiss es jeder: Papst Franziskus singt nicht. ‹Ich singe wie ein Esel.› Das sagte Papst Franziskus an diesem Donnerstag bei der Audienz für die Pueri Cantores, 140 geistliche Kinder- und Jugendchöre aus aller Welt» – so berichtet Radio Vatikan am Silvestertag 2015. Wie wohltuend solch menschliche Aussagen sind! Ein Papst, der nicht alles kann und der auch öffentlich dazu steht. – Dieses Zitat stelle ich an den Anfang meines Textes. Es kommt mir als Bischof von St. Gallen dieses Jahr zu, einige Gedanken zum Jahresbeginn mit Ihnen zu teilen. Für mich ist der Jahreswechsel von besonderer Bedeutung. Ich darf das Präsidium der Bischofskonferenz nach drei Jahren an Bischof Charles Morerod weitergeben. Ich danke allen, die mich in den vergangenen drei Jahren unterstützt haben. Ich will aber auch alle bitten, dem «Eselhaften» mit Nachsicht zu begegnen. Die Erkenntnis, nicht alles allein tun zu können und tun zu müssen, hat schon den Apostel Paulus in seinen Briefen tief bewegt. Er schreibt von den verschiedenen Gnadengaben und Charismen und vergleicht ihr Zusammenspiel mit den verschiedenen Gliedern des Einen Leibes, dessen Haupt Christus ist. Nur so ist christliche Gemeinde Zeugnis der Einheit. Nur in der gegenseitigen Ergänzung und Wertschätzung können wir ein fruchtbares Zusammenarbeiten der verschiedenen kirchlichen Dienste und Aufgaben verstehen, nur in versöhnter Vielfalt sind wir eine Gemeinschaft, die Zeugnis gibt und ausstrahlt.

Klare Theorie – schwierige Praxis

Theoretisch wissen wir dies sehr gut, die Umsetzung im Alltag ist oft schwieriger. Neid, Macht-und Kompetenzfragen bleiben auch in der Kirche Versuchungen, die uns blockieren. Dagegen gibt es ein einziges wirksames Mittel: die Einsicht, aufeinander angewiesen zu sein, gegenseitige Wertschätzung, Anerkennung und Dankbarkeit. So ist es meine erste Aufgabe, Ihnen, liebe Seelsorgerinnen und Seelsorger, für Ihren täglichen, treuen und engagierten Einsatz herzlich zu danken und Ihnen für die Arbeit in Kirche und Gesellschaft Gottes Kraft und Geist zu wünschen. Der gleiche Dank gilt auch Ihren Familien und allen Menschen, die Sie in ihrem Dienst unterstützen.

Suche nach den «Zeichen der Zeit»

Wir stehen am Beginn eines neuen Jahres. Viele fragen sich, wie die Kirche im Wandel der Gesellschaft ihren Weg in die Zukunft findet. Wir wissen es nicht. Unsere Aufgabe ist es, nach den «Zeichen der Zeit» zu fragen und der Führung des Heiligen Geistes nicht im Wege zu stehen. Im neuen Entdecken der «Freude» am Glauben und im Bedenken des Gemeindebildes des Apostel Paulus sind für den gemeinsamen Weg Grundhaltungen notwendig, die ihre Wurzeln in unserem christlichen Zeugnis haben. Schlüsselworte sind «Wertschätzung», «Anerkennung» und «gegenseitiges Vertrauen». Nur so sind wir als Pastoralteams, als Bistumsleitungen und auch als Bistümer mit verschiedenen Kulturen dem Wandel gewachsen. Wo Grundvertrauen und gegenseitige Anerkennung fehlen, sind inhaltliche wie organisatorische Entwicklungen blockiert.

Kommunikation und Zusammenarbeit

Ich bin dankbar, dass wir in meiner Zeit als Präsident der SBK in dieser Richtung einen Schritt tun konnten. Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Finanzen auf schweizerischer Ebene und auf dem Weg der Zusammenarbeit mit den staatskirchenrechtlichen Körperschaften haben wir ein grundsätzliches Ja zum dualen System erreicht. Ereignisse wie die «Pfarreiinitiative» und der Schrei «Es reicht» sind Mahnzeichen, dass blockierte Kommunikation und mangelnde Wertschätzung nicht weiter führen. Erste Versuche für einen offenen Dialog haben wir gemacht. Den zielführenden Weg dieses Gesprächs zwischen Bischöfen und Gläubigen auf schweizerischer Ebene haben wir jedoch noch nicht gefunden. Es lohnt sich, weit zurückzudenken an den grossen Aufbruch im Zweiten Vatikanischen Konzil vor 50 Jahren und an die nachfolgenden Diözesan-synoden. Auf diesem Fundament können wir – wie der Heilige Vater es anordnete – mit einem grosszügigen «Jahr der Barmherzigkeit» auch innerkirchlich den gemeinsamen Weg neu suchen. Die Schienen von Papst Franziskus sind gelegt – durch sein Bekenntnis zur Synodaliät der Kirche und mit seiner Methode, wie er die Familiensynode einberufen und durchgeführt hat.

Zeichen des Aufbruchs

Ein besonderes Ereignis meiner Präsidialzeit war die Teilnahme an der ausserordentlichen Sitzung der Synode im Oktober 2014 – ein grossartiges Erlebnis der Universalkirche. Mit der Einberufung einer Weltbischofssynode hat uns Papst Franziskus alle überrascht. Er setzte zum Abschluss des dreijährigen Konzilsjubiläums ein markantes Zeichen, um den Geist des Aufbruchs, den Geist des Konzils neu aufzunehmen und den Weg der Kirche heute neu zu beleben. Ganz im Geist von «Gau-dium et spes» war sein Aufruf, als Vorbereitung auf das besondere kirchliche Ereignis auf die Sorgen und Nöte der Menschen zu hören. Dies fand gros-sen Widerhall. Auch in der Schweiz setzten sich Tausende mit den vorgelegten Fragen auseinander. Die grosse Auswertungsarbeit der Rückmeldungen durch das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut St. Gallen (SPI) unter der Leitung von Dr. Arnd Bünker, auch mit Hilfe vieler Freiwilliger, sei hier noch einmal ausdrücklich anerkannt und verdankt. Über den Verlauf und Abschluss der Synode sind wir über die verschiedenen Medien gut informiert. Neben der inhaltlichen und theologischen Arbeit scheint mir der Prozess und der Geist des Miteinander-Suchens und -Ringens von Bedeutung zu sein. Bischöfe aller Kontinente und Kulturen hören aufeinander und suchen Antworten auf die vielfältigen Fragen und Nöte. Sie ringen um Wege, wie auch Menschen in schwierigen Situationen Gottes Liebe und Nähe erfahren können. Sie suchen nach jenen Impulsen aus der befreienden Botschaft des Evangeliums, welche für Ehe, Familie und Partnerschaft eine tragende Hilfe sind. Dabei sind Resultate wiederum nicht einfach Antworten, sondern Grundhaltungen: Nicht verurteilen, sondern begleiten, statt alle über einen Leisten zu schlagen, unterscheiden, jedem Menschen zu spüren geben, du bist uns wichtig und du gehörst zur Kirche – kurz: «Seid barmherzig, wie Gott barmherzig ist.»

Synodalität als Programm

Die Synode wurde unterbrochen durch einen besonderen Jubiläumstag, dem 50. Jahrestag der Einführung der Bischofssynoden als Fortsetzung des Konzils. Franziskus, der Nachfolger des Apostels Petrus, hat dort eine programmatische Rede gehalten, die ganz auf die Synodalität der Kirche verweist. «Synodos» – das heisst miteinander auf dem Weg sein – mit dem Ziel vor Augen immer neu den Weg suchen – in Treue zur Tradition neue Schritte wagen – miteinander Verantwortung übernehmen. Dies ist der «Weg der Kirche durch die Zeit», wie wir im Schweizer Synodenkanon beten.

Mit einem vielbeachteten Festvortrag hat Kardinal Christoph Schönborn am Beispiel der «Ursynode», des Apostelkonzils (Apg 15) ein Modell für die synodale Methode herausgearbeitet. Die Schlussfolgerung fasst er in drei Worten zusammen: Mission – Zeugnis – Unterscheidung.

Für eine synodale Kirche bedeutet dies, dass innerstes Ziel immer die Förderung des Lebens der Kirche und des missionarischen Geistes sein muss. Reden wir nicht nur distanziert und abstrakt miteinander. Bezeugen wir einander, was der Herr uns zeigt und wie wir sein Wirken erfahren. Haben wir den Mut, immer mehr eine «Kirche des Hörens» (Papst Franziskus) zu werden und das Unterscheidende des Willens und Weges Gottes zur Sprache zu bringen und den Menschen anzubieten.

Ich wünsche Ihnen nun von Herzen Gottes reichsten Segen, ein gutes gemeinsames und mutiges Vorangehen und alles Beste für das Jahr 2016, das hoffentlich durch Frieden und Freiheit erfüllt ist.

+ Markus Büchel, Bischof von St. Gallen

Markus Büchel

Bischof Markus Büchel

Bischof Markus Büchel (Jg. 1949) empfing am 3. April 1976 die Priesterweihe in Rüthi. Nach zwei Vikarstellen in der Stadt St. Gallen übernahm er 1988 das Amt des Pfarrers in Flawil. 1995 wurde er in St. Gallen zum Bischofsvikar und Kanonikus ernannt, wo er u.a. ab 1999 als Domdekan (Vorsteher des Domkapitels) wirkte. Am 4. Juli 2006 wurde er zum Bischof von St. Gallen gewählt. Zudem ist er Apostolischer Administrator der beiden Appenzell.