Zu Zank, Streit und Krieg gehörte immer schon die öffentliche Beschämung. 2 Chr 28,9–15 erzählt eine Episode, die so in den parallelen Königsbüchern nicht vorkommt. Der Prophet Oded motiviert die Samaritaner zu Barmherzigkeit gegenüber gefangenen Judäern: Die Nackten, also Beschämten und Entehrten, sollen bekleidet werden und in Jericho dann gleichsam in die Freiheit überliefert werden. Ein ersttestamentliches Vorabbild des «Barmherzigen Samariters» (siehe Bild 1) und beinahe auch eine Spiegelgeschichte zu 2 Sam 10. Hier werden bei einem Kondolenzbesuch in Jericho Abgesandte Davids entehrt; die Hälfte ihrer Bärte wird geschoren, die Kleider werden bis zu ihrem Gesäss gekürzt. Sie stehen wortwörtlich mit abgesägten Hosen da.
Wer sich Kommentare auf der Facebook-Seite von kath.ch anschaut, taucht mitten in einen Kulturkampf ein. Andersdenkenden Katholikinnen und Katholiken wird rundweg der Glaube abgesprochen; oft ersetzt das Argumentum ad personam das sachliche Argument. Statt der Bergpredigt oder dem Barmherzigen Samariter steht aufs Mal die kirchenpolitische oder sexuelle Orientierung im Zentrum des Glaubens; Homophobie gerät zum Unique Selling Point, wenn nicht des Christentums, so doch des Katholizismus. Jesus hätte sich nicht der gleichgeschlechtlich Fühlenden erbarmt, belehrte mich kürzlich jemand, sondern sie, wenn schon, geheilt. Wo die Evangelien je so ein irritierendes «Wunder» berichteten, fragte ich zurück. Ich müsste halt mal die Bibel lesen, wurde mir beschieden – siehe dazu allerdings die Autorenspalte!
Ich verstehe darum gut, wenn viele sich aus den sozialen Medien zurückziehen. Oder gar nie dabei mitmachten. Wenn ich auf Nachfrage auf einen Beitrag auf Facebook-Seite von Biblioblog verweise, heisst es oft: Ich bin halt nicht auf Facebook. Allein: Lesen können hier alle alles, einzig Daumen hoch oder runter geht nicht.
Wenn einem also vieles auf Facebook beelenden kann, so geht es doch auch ganz anders. Ich habe hier Bibelfreunde kennengelernt, die ich noch nie im realen Leben gesehen habe, und die schon mehrfach weitergeholfen haben, wenn ich angestanden bin.
Oft, wenn eine Zeitung, von der «Thurgauer Zeitung» bis zum «Sonntagsblick», über meine Bibelsammlung berichtet, erhalte ich kurz darauf gratis alte Bibeln angeboten. So einst auch eine, wie ich damals nicht wusste, Brandmüller Bibel. Das Titelblatt fehlte. Aber die Bilder faszinierten in ihrem einfachen, geradezu schlicht-modernen Stil mit überraschenden Bilderfindungen. Mit speziellen Perspektiven, wie in der oben beschriebenen Jericho-Szene, da der Abhang den Rückkehrern die Kleider fast bis zum Gesäss kürzt … Aber: was ist das für eine Bibel, wer ist derIllustrator? Ich diskutierte auf Facebook hin und her, und erst über das Unikum, dass die Bibel mit einem Register startet statt endet, wird ein evangelischer Pfarrkollege fündig: Der Illustrator Heinrich Holtzmüller (†1559) war Zunftmitglied in der Zunft zu Schmieden (meiner Kantonskapitale) Solothurn. Seine Bibelholzschnitte allerdings wurden erst etwa 100 Jahre später in der sogenannten Brandmüller Bibel gedruckt. Als die Zentralbibliothek Solothurn in den 1970er-Jahren eine solche erwarb, galt diese als eines von ganz wenigen erhaltenen Exemplaren. Mittlerweile sind weitere aufgetaucht, so auch eine in meiner Bibelsammlung.
Thomas Markus Meier