Missionarische Kirche heute

 

Stellen Sie sich vor, Sie sind unterwegs mit einem Schnellzug. Sie haben Zeit, sind entspannt und schauen sich um. Nebenan sitzt eine Frau. Sie ist fein gekleidet. Ein Koffer auf Geschäftsreise wartet über ihr auf den nächsten Halt. Doch das dauert noch. Die Frau klappt ihren Computer zu und wühlt in ihrer Tasche. Erfolgreich bei ihrer Suche holt sie ein Buch hervor, dem man ansieht, dass in ihm viel gelesen wird. Die Seiten haben sich schon viele hunderte Male bewegt. Der Einband lag auf Tischen oder Knien. Er war Schutz und Schmuck. Jetzt schmückt ihn auch etwas Schmutz. Sie beobachten, wie die Frau blättert. Plötzlich ruht ihre Hand auf einer Seite. Die Züge ihres Gesichts verändern sich. Die Anspannung weicht, doch bleibt ein grosses Fragezeichen in ihren Augen. Die Bibel in den Händen, sucht ein Mensch im Business-Dresscode nach Antworten. Würden Sie das Gespräch suchen? – Eine seltsame Szene: Zwischen Klischee und Alltag. In jedem Fall eine Geschichte, wie sie in vergleichbarer Weise auch in der Apostelgeschichte vorkommt. Dem Buch der Bibel, das sich sehr intensiv mit Mission beschäftigt. Da trifft in Apg 8,27–39 einer, der seine christliche Sendung bewusst lebt, jemanden mit einem verantwortungsvollen Job auf der Suche nach Antworten. Wie lässt sich das auf heute übertragen? Was lässt sich daran für das Nachdenken über Mission lernen?

Ich denke es beginnt damit, die Herausforderungen, von denen in der Apostelgeschichte zu lesen ist, heute auch  wahrzunehmen. Sie zu übertragen, zu fragen, wo es solche «Kutschfahrtmomente» auch heute im Alltag gibt, kleine und grosse. Wie sehen die aus? Was ist Ihr konkreter Beitrag, Ihr Charisma und Ihre Sendung darin? Etwas Wichtiges kommt noch hinzu: Der Kämmerer der Bibel und die Frau in der Geschichte lesen beide in der Bibel. Sie sind mit vielem bereits vertraut. Sie haben ihre Fragen, aber auch ihre Freuden und Hoffnungen, ihre Trauer und ihre Angst. Sie suchen Begleitung, die aber immer auch zu einem Wechselgeschehen wird. Mission meint – von Anfang an – im Anderen Christus neu zu entdecken: Ist Ihnen aufgefallen, dass Philippus am Ende der Geschichte mit im Taufwasser steht? Mission macht verletzlich – sie zieht einem die Schuhe aus und ist riskant. Mission ist immer auch Entsicherung, denn es gibt kein Rezept dafür, gab es noch nie. Mission hat immer etwas mit Inkulturation zu tun: Also mit der Suche nach Gott in neuen Kontexten, in neuen Kulturen und Milieus. Wie ist er schon da, und zwar viel früher als wir selbst? Wie lässt er sich gemeinsam mit anderen entdecken? Mission kann damit also auch nicht heissen, dass alles so bleibt wie bisher oder gar, dass es wieder so wird, wie es einmal (nicht) gewesen ist. Mission ist etwas, das seit Anbeginn der Kirche Christen herausfordert: Ob in Schnellzügen, an Supermarktkassen oder im Sportverein. Was steht dem noch im Wege?

Maria Herrmann*

 

* Maria Herrmann studierte Theologie in Würzburg und Salamanca (ES). Sie arbeitet für das Bistum Hildesheim. Derzeit verantwortet sie die ökumenische Bewegung Kirchehoch2. Wissenschaftlich forscht sie zu Fresh Expressions of Church.