Mission – Option für ein «gutes Leben» für alle

Gute Botschaften haben es heutzutage schwer, auf die Titelseiten von Zeitungen oder gar in die "Tagesschau" zu kommen. An die schlechten dagegen haben wir uns derart gewöhnt, dass sie uns nicht mehr im Schlaf verfolgen oder in unsere Komfortzone einzudringen vermögen. Das Christentum kommt seit zweitausend Jahren mit einer "guten Nachricht" daher, und doch winken viele Menschen mit einem Achselzucken ab. Die Masche mit dem "Jenseits" zieht nicht mehr, und auch die Kirche hat dramatisch an Marktwert verloren. Und schliesslich ist "Mission", dieses theologische Marketing, spätestens seit der Kolonialisierung in Verruf geraten.

Dabei gehört "Mission" oder "Sendung" eigentlich zum Kern des Christentums, denn der Gott dieses Jesus von Nazareth ist einer, der "aus sich heraus" geht, der sich mit der Welt einlässt, damit "alle Leben haben" und es "in Fülle" haben. Kann man damit bei den Ratingagenturen und Werbeunternehmen punkten? Wollen denn nicht alle ein "gutes Leben", easy und cool, ohne Mangel und Verzicht, bitte sofort und grenzenlos?

Es gehört zur Tragik des Christentums, dass es in seiner langen Geschichte oftmals nicht als lebensbejahende und menschenfreundliche Botschaft daherkam, sondern als "Drohbotschaft", als Disziplinierungsmassnahme, als Machtinstrument, als Vertröstung und Opium. Statt das "Leben in Fülle" zu haben, sind viele um das Leben betrogen worden und haben ihre Träume und Sehnsüchte "um des Himmelsreiches willen" hintangestellt. Dabei war für Jesus das "Reich Gottes" alles andere als lebensfeindlich oder jenseitsorientiert.

Andere (auch nicht-religiöse) Bewegungen haben die "Frohe Botschaft" des Christentums von der Befreiung der Armen und dem Frieden in Gerechtigkeit beerbt: die sozialistische klassenlose Gesellschaft, die Gemeinwohlökonomie, die zapatistische Vision von einer "Welt, in der alle Platz haben", die Postwachstumsgesellschaft oder eben auch das andine "Gute Leben". Nietzsche, dieser Seismograph für Duckmäuser und Schattengestalten, meinte einmal, dass die Christinnen und Christen merkwürdig "unerlöst" aussähen und sich anscheinend nicht an der "Frohen Botschaft" erfreuen könnten.

Für ein Leben in Fülle

Wenn "Mission" einen Sinn haben soll, dann doch wohl den, möglichst allen Menschen ein Leben in Fülle zu ermöglichen, also darauf hinzuarbeiten, dass das "Reich Gottes" auf dieser Erde Gestalt annimmt, dass also immer mehr Lahme gehen, Blinde sehen, Arme genug zum Leben haben und Ausgegrenzten Gerechtigkeit geschieht. Ist das denn keine "Gute Botschaft", die sich "verkaufen" lässt?

Das andine "Gute Leben" (Vivir Bien – Buen Vivir) hat nichts mit der konsumversessenen oder hedonistischen Überflussgesellschaft zu tun. Es geht um ein "Leben in Fülle" in einem ökumenischen, ökologischen und ökonomischen Sinne, um das Leben im "gemeinsamen Haus" Erde, von den Indígenas liebevoll "Mutter" (Pachamama) genannt. Es gibt kein "gutes" Leben auf Kosten anderer, und schon gar nicht auf Kosten der nicht-menschlichen Natur. Die Metapher des "Hauses" (oikos; wasi; uta) bringt es auf den Punkt, wie es die jesuanische Metapher des Organismus tut: wenn es nicht allen Bewohner/-innen gut geht, geht es niemandem gut. Wenn jemand "schlecht" lebt und leidet, geht es dem ganzen Organismus Erde, der Pachamama, und ihren Kindern, den Armen, "schlecht".

Netzwerk von Beziehungen

Und genau dies gilt eben auch für das Reich Gottes, dem eigentlichen Inhalt der "Frohbotschaft": Alle haben Anteil am "Leben in Fülle": vergangene und zukünftige Generationen, Menschen, Tiere, Pflanzen, aber auch die Ahnen und Schutzgeister, Bergspitzen und Flüsse. Es geht um ein Netzwerk von Beziehungen, wie es ein Biotop, aber auch eine menschliche Gemeinschaft ist. Für andines (und christliches) Empfinden ist Leben Beziehung, und Beziehung ist Leben; wenn Beziehungen unterbrochen, verunmöglicht oder gar zerstört werden, ist das Leben in Gefahr. Dies ist der Fall mit dem Klimawandel, aber auch dem auf Konkurrenz und Ausschluss basierenden Wirtschaftsmodell der Gewinnoptimierung und Ausbeutung der Natur. "Mission" ist also Anklage (denuncia) und Ankündigung (anuncio) zugleich: Anklage der menschenverachtenden Weltwirtschaftsordnung, des egoistischen Menschenbildes, der grenzenlosen Ausbeutung der Natur, der wachsenden Ungleichheiten und Ankündigung des "guten Lebens" für alle, des "Reiches Gottes", in dem alle Platz haben, des "Lebens in Fülle". Im Kontext eines endlichen Planeten bedeutet dies: Ohne Veränderung von Konsumgewohnheiten im Norden ("Suffizienz") und Armutsbekämpfung weltweit ist dieses "gute Leben" nicht möglich.

Eurozentrische Theologie ist nicht globalisierbar

Deshalb kommt "Mission" heute – ähnlich wie "Entwicklungszusammenarbeit" – nicht mehr darum herum, die Verhältnisse zwischen Norden und Süden, zwischen "Mutterkirche" und "Missionskirche", zwischen Gesandten und deren Adressaten, völlig neu zu denken. Es braucht eine radikale Dekolonisierung von Theologie und Kirche, eine Option für und mit den Armen auch in der Ökologie und bezüglich jeglicher Art von kulturellen und gender-basierten Zentrismen. Die eurozentrisch verfasste Theologie und deren Universalitätsanspruch sind genauso wenig "globalisierbar" wie das real existierende Wirtschafts- und Konsummodell.

Ein "gutes Leben" für alle ist nur dann möglich, wenn die Güter dieser Erde wie bei einem andinen Apthapi (Teilen der Feldfrüchte) oder einer christlichen Agape-Feier für alle zugänglich sind, gemäss den Fähigkeiten und Bedürfnissen aller, die sich an den Tisch setzen. Es sind starke Bilder, die sich den Endlosschleifen der Börsenkurse entgegenstellen und die bereits tot geglaubte Sehnsucht in vielen Menschen wieder zu wecken vermögen, in Einfachheit und Suffizienz, Verbundenheit und Erfüllung zum Gleichgewicht dieses aus den Fugen geratenen "gemeinsamen Hauses" beitragen zu können.

"Mission" könnte dann nicht nur bedeuten, "weiterzusagen, wo es Brot gibt", sondern vor allem auch die Ursachen beim Namen zu nennen, die es unmöglich machen, dass viele Menschen überhaupt Brot haben und dass die Natur zerstört wird. Und damit wird "Mission" nicht nur parteiisch, sondern auch konfliktiv und militant im prophetischen Sinne des "heiligen Zorns": Es gibt Strukturen, die mit dem "Reich Gottes" nicht kompatibel sind, und es gibt Haltungen und Mentalitäten, die ein "gutes Leben" für alle ausschliessen. In diesem Sinne ist die "gute Botschaft" sicherlich nicht marktkonform und angenehm, sie ist Kritik und Verheissung zugleich, und deshalb ist "Mission" entweder prophetisch, oder es braucht sie wirklich nicht.

Josef Estermann © COMUNDO

Josef Estermann

Dr. phil et lic. theol. Josef Estermann gehört zum Stab der Geschäftsleitung COMUNDO – zuständig für Grundlagen & Forschung – im Romero-Haus Luzern