Mission impossible?

«Die Zukunft beginnt jetzt»: Blick ins Greyerzerland.

Unter diesem Thema fand vom 4. bis 6. Oktober 2016 in Genf die diözesane Weiterbildung des Bistums Lausanne, Genève, Fribourg statt. Alle drei Jahre begegnen sich die in der Pastoral engagierten Personen der Diözese. Man traf sich nahe beim Flughafen Cointrin im grossen Bau des Palexpo, der Ausstellungen und Kongressen gewidmet ist. Im Nachgang zu den Aufrufen des Papstes legten wir den Akzent auf die missionarische Sendung an die Ränder der Gesellschaft.

Wo es Ränder gibt, gibt es eine Mitte. Wir erinnerten uns gemeinsam, dass das Zentrum nicht wir selbst sind: Der Papst lädt uns unermüdlich dazu ein, nicht selbstbezogen zu sein. Jeder von uns kann sich also in Erinnerung rufen, dass er nicht das Zentrum ist, dass seine Ideen es nicht sind, dass er nicht sich selbst verkünden muss. Das gilt auch für die Kirche und unsere Strukturen. Gewiss sind die Strukturen notwendig, doch sie sind nicht das Wichtigste. Dies hat eine direkte Bedeutung für unseren Aufwand an Zeit …

Die Mitte ist Christus, der stetig zur Umkehr der Menschen ruft, die seine Jüngerinnen und Jünger zu sein wünschen. Ohne Umkehr verkündigt man schliesslich sich selbst, man ist traurig und verbreitet Traurigkeit. Doch wenn man Christus begegnet und ihm zugewandt ist, ändert die Situation, und die Evangelisierung erhält ihren Sinn: «Man kann eine hingebungsvolle Evangelisierung nicht mit Ausdauer betreiben, wenn man nicht aus eigener Erfahrung davon überzeugt ist, dass es nicht das Gleiche ist, Jesus kennen gelernt zu haben oder ihn nicht zu kennen, dass es nicht das Gleiche ist, mit ihm zu gehen oder im Dunkeln zu tappen, dass es nicht das Gleiche ist, auf ihn hören zu können oder sein Wort nicht zu kennen, dass es nicht das Gleiche ist, ihn betrachten, anbeten und in ihm ruhen zu können oder es nicht tun zu können» (Evangelii Gaudium 266).

Kirche am Rand

Die Peripherie in unserer Gesellschaft, das ist auch die Kirche, die, ohne es immer zu merken, marginal geworden ist. Von jetzt an bedeutet dies aus dem Blickwinkel der Kirche 99 Schafe unter 100. Doch es ist Christus, der uns den Kontakt zu allen Arten von Leuten zeigt, die es nicht erwarten … Von da an versteht man die Peripherie und versteht Kirche, wenn man liebt wie Christus. Indem man der Peripherie begegnet und die Erfahrung christlichen Lebens lebt, kennt man Christus besser.

Die Räume des Palexpo eigneten sich ausgezeichnet für die Begegnung und die Mahlzeiten. Wenn auch die Raumkapazität 400 Teilnehmende zuliess, wir waren so viele und nahmen wahr, wie wir erstaunlicherweise geeint waren, eingeschlossen die sehr verschiedenen Zeugnisse, die einander allerdings im Ansatz glichen. Die erstaunlich friedliche Stimmung zeigte uns gut, dass das Zeitalter ideologischer Opposition zumindest für den Moment vorbei ist, weil wir uns bewusst sind, dass wir nicht die Lösung auf die missionarischen Herausforderungen haben. Wir sind uns bewusst, dass man nicht für sich selbst, sondern gemeinsam die Sendung lebt. Dies kann nur mit der Hilfe Gottes angegangen werden, um die wir während der Session versammelt im grossen Saal jeden Tag in der Laudes und der feierlichen Vesper gebetet haben. Die Versammlung zeigt es selber, dass wir nicht ganz allein die missionarische Sendung leben. Die ganze Verschiedenheit in der Ausstrahlung einer pastoralen Equipe ist es, vereinigt und fröhlich oder auch in individuellen Tätigkeiten, wo sich die Gesichter mehr anspannen.

Die Last der Strukturen

Sehr präsent war die Sorge um die Last der Strukturen. Wie kann man sie mildern, damit wir unsere Zeit weniger uns selbst als vermehrt der Begegnung an der «Peripherie» widmen? Ich fragte die Seelsorgenden, ob sie die Kommissionen der Bischofskonferenz kennen, welche im Juni aufgehoben wurden. Die Frage provozierte schallendes Gelächter … Während des Ad-limina-Besuches im Dezember 2014 hatte uns der Papst gesagt, dass die Gefahr für die Seelsorgenden in der Schweiz darin bestehe, zu Funktionären zu werden. Die Frage der Mission und Strukturen wird nun in den fünf Vikariaten des Bistums – zwei im Kanton Freiburg und je eines in Genf, Neuenburg und Waadt – geklärt werden müssen. Die Situationen sind sehr verschieden. So gibt es in Freiburg obligatorische Kirchensteuern für alle, die sich als katholisch, reformiert oder jüdisch erklären, ebenso für die Unternehmen. In der Waadt gibt es keine Kirchensteuern, doch der Staat unterstützt direkt die reformierten und katholischen Kirchen und die jüdische Gemeinde. Genf und Neuenburg kennen die Trennung von Kirche und Staat. Die Kirche lebt von der Grosszügigkeit der Gläubigen. Daraus resultieren sehr unterschiedliche kirchliche Kulturen. Eine Pfarrei auf dem Land in der Waadt kann mehr als zwanzig politische Gemeinden umfassen. In der Stadt Genf wurden im 20. Jahrhundert Kirchen gebaut, zu welchen man in 10 bis 12 Minuten zu Fuss gelangen kann. Fast jedes Dorf im Freiburgischen umfasst eine Pfarrei mit wenigstens einer Kirche. Auf der Landschaft im Kanton Waadt sind sich die Gläubigen einer ganzen Region von alters her gewohnt, sich am Sonntag zu versammeln, im Freiburgischen überhaupt nicht.

Drei Kantone von vier sind reformierter Tradition, auch wenn man jetzt mehr Katholiken findet, allgemein immigriert – einst aus der übrigen Schweiz, heute aus dem Ausland. Dies alles bedingt eine pastorale Reflexion, die an jede Region angepasst ist. Im französischen Teil des Kantons Freiburg beginnt ein synodaler Prozess. Es ist gewiss eine Reflexion auf der Basis des Gewesenen und der Gegenwart, doch im klaren Bewusstsein der Tatsache, dass in zwanzig Jahren die Situation der Kirche im Kanton ohne Zweifel sehr andersgeartet sein wird.

Die Zukunft beginnt jetzt

Über die Zukunft nachdenken bedeutet, darin eine pastorale Dimension erkennen: Wie einerseits die Verbundenheit älterer Personen mit der Liturgie in ihrem Dorf in Einklang bringen, anderseits die Tendenz der jüngeren – vor allem junger Familien –, sich in bestimmten Kirchen zu versammeln? Ich nehme diese Frage besonders während meiner Pastoralbesuche wahr: Wenn ich eine Kirche und die Atmosphäre sehe, die sie ausströmt, kann ich leicht erahnen, ob junge Leute hier hinkommen oder nicht. Die Reflexion über die Zukunft betrifft auch das Institutionelle: Muss man in Freiburg – dem einzigen Kanton, wo sich die Frage stellt – der Entwicklung der Kirchensteuern vorgreifen oder warten, bis man zu einer anderen Lösung gezwungen wird?

Ausblick

In meinem Hirtenbrief 2013 hatte ich gesagt: «Das Ziel dieses Briefes ist es also, dass möglichst viele Leute ihren Seelsorgern, die an der Tagung teilnehmen, Vorschläge machen.» Am Ende jener Tagung habe ich zu einem missionarischen Brainstorming eingeladen. Das Ergebnis war eine Vielfalt von Ideen, welche die Notwendigkeit pastoraler Orientierung zeigten, ebenso auch von tiefen Veränderungen. Ich erinnere mich, wie mir ein Katechet sagte, als ich vor fünf Jahren Bischof wurde: «Wenn Du nicht in 25 Jahren allein sein willst, befasse Dich mit der Katechese!» Eine wirkliche Neuorientierung unserer Prioritäten ist notwendig, doch die Schwierigkeit der Umsetzung, die man in der Katechese seit Längerem feststellt, hängt auch von einem grösseren Kontext ab. Man kann nicht die einzelnen Kenntnisse integrieren, die man mitbekommt, ohne dass man das christliche Leben wagt, und man tut es weder allein noch ausserhalb unserer Kultur. Das Feld ist weit und unsere Epoche interessant!

+ Charles Morerod OP Evêque de Lausanne, Genève et Fribourg Übers. Stephan Schmid-Keiser

Charles Morerod

Charles Morerod

Mgr Dr. Dr. Charles Morerod ist seit fünf Jahren Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg mit Sitz in Fribourg. Er gehört dem Predigerorden (OP) an.