Menschliche Spezies überwinden? (II)

Jonas – Habermas – Bostrom

Um auf diese Fragen zu antworten, möchte ich auf denjenigen verweisen, der sie als erster stellte und dessen Antworten heute noch gültig sind: Hans Jonas. Schon in den 1960er-Jahren erschien eine Sammlung von Aufsätzen mit dem vielsagenden Untertitel «From Ancient Creed to Technological Man»,15 von denen dann einige in sein Hauptwerk «Prinzip Verantwortung» eingingen. In einem abschliessenden Abschnitt über die Gentechnologie mit dem Titel «Schöpfung und Moral» schreibt er: «Das sittliche Dilemma jeder menschlich-biologischen Manipulation, die über das rein Negative der Verhütung von Erbmängeln hinausgeht, ist eben dies: dass die mögliche Anklage des Nachkommen gegen seine Hervorbringer keinen mehr findet, der Antwort und Busse leisten könnte, und kein Instrument der Wiedergutmachung.»16 Die neuen posthumanen Kreaturen wüssten somit gar nicht, wen sie wegen Zerstörung der menschlichen Spezies anklagen könnten. Die zum Extremen gebrachte Freiheit der Schöpfung, nämlich eine neue posthumane Spezies zu schaffen, könnte eine Art Tyrannei mit sich bringen, indem die Freiheit späterer Generationen dem Diktat der gegenwärtigen geopfert würde. Nochmals Jonas: «[Eine] Macht Jetziger über Kommende, welche die wehrlosen Objekte vorausliegender Entscheidungen der Planer von heute sind. Die Kehrseite heutiger Macht ist die spätere Knechtschaft Lebender gegenüber Toten.»17

Bekanntlich knüpfte Habermas, nachdem er ihn davor kaum beachtete, positiv an Hans Jonas mit dem Gedanken der «selbstzerstörerischen Dialektik der Aufklärung, wonach Naturbeherrschung in die Naturverfallenheit der Gattung selbst zurückschlägt», an.18 Beide Denker werden von einem der wichtigsten Vertreter der «transhumanen» Richtung kritisiert: Nick Bostrom. Er ist der Meinung, die «neuen Menschen» könnten das Rad wieder zurückdrehen und wieder weniger intelligent, gesund und langlebig sein.19 Aber wäre dies möglich? Bostrom glaubt, die biologischen Änderungen seien nicht definitiver Natur. So wie wir heute eine bessere Spezies erschaffen, wird diese später wieder frei über ihre Zukunft entscheiden können. Das Transhumane – ganz im Sinn der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno – wäre nur das endlich erzielte Resultat der totalen Kontrolle des Menschen über die Natur: Zuerst über seine Umwelt, jetzt über sich selbst. Bostrom verkennt aber, dass die Gentechnologie nicht mit herkömmlicher Technik vergleichbar ist. Ein neuer Mensch ist eben kein neues Automodell. Eingriffe in organische Prozesse sind irreversibel, und wir kennen nicht einmal all ihre Konsequenzen. Die hier angewandte Kraft kann unserer Hand entgleiten, wie vor kurzem auch Hawking einräumte, als er seinen Sprech- und Schreibroboter präsentierte. Bostroms Kritik geht somit auf den wichtigsten Aspekt der Jonas’schen Argumentation nicht ein. Es gibt noch viele offene Fragen.

Menschliche Spezies überwinden?

Warum sollen wir nicht wagen, den Evolutionsprozess in die eigenen Hände zu nehmen? Auch wenn unser Einsatz hoch wäre, warum sollen wir es nicht versuchen, die menschliche Spezies zu überwinden? Sicher könnten wir dabei wie die Dinosaurier enden. Aber vielleicht könnte sich der Mensch schliesslich in einen Kafka’schen Käfer verwandeln, ohne dass dies jemandem irgendwie schaden würde. Warum muss es den Menschen als solchen geben und warum muss er so sehr auf sein Überleben auf dieser Welt bedacht sein? Von einem philosophischen Standpunkt aus hat Jonas vermutlich die beste Antwort auf diese Fragen gegeben, indem er betonte, dass der Mensch das einzige bekannte Lebewesen ist, das für die Folgen seiner Taten Verantwortung haben kann. Solange es verantwortliche Lebewesen gibt, muss es somit Menschen geben. Und weil die Verantwortung den Menschen auszeichnet, muss seine physische Existenz gegen jeglichen Versuch, sie in Frage zu stellen, verteidigt werden. Natürlich setzt diese Überlegung voraus, dass die Existenz verantwortlicher Wesen auf der Erde etwas Gutes ist. So wie wir das Sein besser als das Nichtsein halten, dem Sein also Wert zusprechen, so halten wir unser eigenes Sein für wertvoll. Sogar für wertvoller als bei den übrigen Lebewesen, weil sich im Menschen das Sein selbst um einen Gehalt erweiterte, den es zuvor auf der Welt nicht gab.

Diese Argumentation lässt sich nur bestreiten, wenn man von der gegenteiligen Haltung ausgeht, nämlich dass das Nichts dem Sein übergeordnet ist. Metaphysische Wahlentscheidungen, über die man nicht hinausgehen kann. Doch: Ist es einmal in den evolutionären Prozess eingetreten, trachtet das Sein danach, weiter zu bestehen. Und in der Geschichte des Seins hat sich der Mensch schon von all seinen Seiten gezeigt, im Erhabenen wie im Abscheulichen, im Guten wie im Schlechten. Dies setzt voraus, dass der Mensch eine einzigartige ontologische Struktur innerhalb des Lebendigen besitzt, eine Essenz. Diese ist gleichsam seine Natur, jenseits seiner Geschichtlichkeit. Aber genau solches bestreiten diejenigen, die einen neuen (oder gar etwas Besseres als den) Menschen erschaffen wollen. Der Wesensreinheit, die den Menschen auszeichnen sollte, wird die darwinistische Vorstellung gegenübergestellt, dass der Mensch nichts anderes als das Produkt der «schöp ferischen Evolution» sei und jetzt – dank Biotechnologie – sogar selbst zum «Schöpfer der Evolution» werden könnte.20

Wohlverstanden soll hier keineswegs die Wissenschaftlichkeit des Evolutionsprozesses in Frage gestellt werden. Problematisch wird es erst, wenn die Existenz des Menschen auf der Erde nur noch als Resultat der Entwicklung der Materie im Sinne eines Epiphänomens gesehen wird. Dies wäre keine wissenschaftliche These, vielmehr eine philosophische Interpretation, die gemäss Jonas21 den Geist «auf die blosse Materie reduziert», wo doch die eigentliche Frage wäre, warum die «Materie» von Anfang an befähigt war, «Geist» hervorzubringen. Auch wenn der Mensch von nichtmenschlichen Vorfahren abstammt, ist sein Eintritt in den Evolutionsprozess ein ontologischer «Quantensprung». Die Naturwissenschaft kann ihn nicht erklären, und wenn sie es tut, verwandelt sie sich in Philosophie, und zwar in eine, die alles auf die chaotische und sinnleere Entwicklung der Materie reduzieren will. Und nur auf der Basis dieser Annahme lässt sich schliessen, dass der Mensch jeder schöpferischen Essenz beraubt sei.22 Dann wäre der Weg frei zu neuen Formen der Existenz, in denen der Mensch immer mehr vom Nichtmenschlichen kontaminiert und zu einem Hybrid würde, das schliesslich zum Verschwinden von der Erde verdammt wäre wie irgendeine andere bedrohte Art. Wenn wir einer solchen Entwicklung Einhalt gebieten wollen, kommen wir nicht darum herum, das Menschengeschlecht als unverfügbar zu erklären.

Menschengeschlecht unverfügbar

Genau das versucht Habermas in seinem soeben erwähnten Werk, in dem er den Risiken einer «liberalen Eugenik» die «Unverfügbarkeit der naturwüchsigen Leiblichkeit» gegenüberstellt.23 Das philosophische Problem besteht nun darin, wie diese Unverfügbarkeit zu begründen ist, und Habermas scheint mir hierbei gegenüber Jonas nichts Neues hinzuzufügen. Zu sagen, dass «genetische Selbsttransformation der Gattung (...) das normative Selbstverständnis von Personen, die ihr eigenes Leben führen und sich gegenseitig die gleiche Achtung entgegenbringen»24 unterminiere, ist eigentlich nicht viel anderes als zu sagen, dass der Mensch das einzige bekannte Lebewesen ist, das für die Folgen seiner Taten Verantwortung haben kann.25

Und doch verbleibt ein Unterschied zwischen den beiden Autoren: Habermas hält seine Antwort für genügend, Jonas nicht. Habermas hält das Problem der Gentechnologie am Menschen für lösbar, ohne eine metaphysische Grundlage heranzuziehen, ganz im Gegensatz zu Jonas. Dies zeigt sich auch in der unterschiedlichen Bedeutung, die Habermas den Begriffen «Unverfügbarkeit» und «Unverletzlichkeit» beimisst: Kein menschliches Wesen müsste als «unverletzlich» erklärt werden, vielmehr ist das Menschengeschlecht «unverfügbar», sobald jeder Mensch das Recht hat, sich selbst aus einem natürlichen, nicht manipulierten Kern hervorzubringen. So verschiebt Habermas den Akzent gänzlich auf den Bereich der Rechte, die man vielleicht sogar etwas zuschreiben könnte, was noch keine Rechtspersönlichkeit hat. Man könnte somit das Recht auf ein nicht künstlich verändertes Erbgut schützen, ohne auf die ontologische Struktur des Menschen zurückzugreifen. Nicht einmal die Würde müsste man bemühen: Es könnte nämlich aus moralischen Gründen etwas unserer «Verfügbarkeit» entzogen werden, ohne dass wir damit «unverletzlich» in jenem unbedingten und absoluten Bedeutungsgehalt wären, den die Menschenwürde einfordert.26 Doch – wenn etwas mehr als alles andere unverletzlich sein soll, wäre es wohl nur der Mensch. Aber warum sollte die Menschennatur unverfügbar sein, wenn wir in ihr nicht mehr als etwas schier Biologisches sähen? Es ist, wiederum nach Jonas, das «Transanimalische»27 des Menschen, das uns den Weg zum Transhumanen versperren sollte. Hierbei genügt der Rückgriff auf Recht und Moral nicht, wie auch Habermas einräumt.28 Die Absicht, die menschliche Natur zu verändern, bedingt einen metaphysischen Bruch mit dem Wesensbild des Menschen. Die Antwort darauf kann ihrerseits nur metaphysisch sein: warum die Existenz des Menschen besser sei als seine Nichtexistenz. Nur auf Metaphysik kann das absolute und unbedingte Gebot beruhen: «dass eine Menschheit sei».29

Das Prinzip der Menschenwürde ist in diesem Zusammenhang gerade deswegen grundlegend, weil es über das Prinzip der individuellen Selbstbestimmung hinausgeht. Eine genetische Selbstverwandlung der Spezies könnte in gewissem Sinne mit einer Zunahme der Selbstbestimmung einhergehen, jedoch nur zum Preis der Verletzung dessen, was das Menschliche ausmacht und ihm Würde verleiht. Die menschliche Natur muss unverfügbar bleiben, weil es ein Urbild des Menschen gibt, eine zeitlose Idee seiner Unveränderlichkeit, die uns angesichts seiner geplanten Zerstörung erschaudern lässt. Es ist der Mensch als «imago Dei»,30 und auch wenn von Gott nach Nietzsche nur noch Trümmerteile übrigbleiben, gilt es in jedem Fall zu vermeiden, dass der Mensch ein noch schlechteres Ende findet, indem sich keiner mehr an ihn erinnert. 

15 H. Jonas, Philosophical Essays: From the Ancient Creed to Technological Man. Chicago 1974.

16 H. Jonas: Technik, Medizin und Ethik (1985). Frankfurt 1987, 200.

17 Ebd., 168.

18 Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur (wie Anm. 14), 50.

19 Vgl. N. Bostrom: In defence of Posthuman Dignity, in: «Bioethics» 19 (2005), No. 3, 203–214; Id.: Superintelligence: Paths, Dangers, Strategies. Oxford 2014; Id.: Anthropic Bias: Observation Selection Effects in Science and Philosophy, New York 2010.

20 Vgl. M. Serres: le temps humain: de l’évolution créatrice au créateur d’évolution, in: P. Picq / M. Serres / J.-D. Vincent: Qu’est-ce que l’humain? Paris 2003.

21 Vgl. H. Jonas: Materie, Geist und Schöpfung. Frankfurt a. M. 1988; P. Becchi / R. Franzini Tibaldeo: Né darwinismo né intelligent design. Un confronto tra Hans Jonas e J. Ratzinger, in: Annuario Filosofico, 29, 2013, 242–275.

22 Vgl. C. Fuschetto: Darwin teorico del postumano. Natura, artificio, bioetica. Milano-Udine 2010.

23 Vgl. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur, (wie Anm. 14), 25.

24 Ebd., 55.

25 Vgl. H. Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt a. M. 1979, 184.

26 Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur (wie Anm. 14), 62: «Wie ich zeigen möchte, ist Menschenwürde im streng moralischen und rechtlichen Verstande an diese Symmetrie der Beziehungen gebunden. Sie ist nicht eine Eigenschaft, die man von Natur aus besitzen kann wie Intelligenz oder blaue Augen; sie markiert vielmehr diejenige ‹Unantastbarkeit›, die allein in den interpersonalen Beziehungen reziproker Anerkennung, im egalitären Umgang von Personen miteinander eine Bedeutung haben kann. Ich gebrauche ‹Unantastbarkeit› nicht gleichbedeutend mit ‹Unverfügbarkeit›, weil eine nachmetaphysische Antwort auf die Frage, wie wir mit vorpersonalem menschlichem Leben umgehen sollen, nicht um den Preis einer reduktionistischen Bestimmung von Mensch und Moral erkauft werden darf.»

27 Vgl. H. Jonas: Werkzeug, Bild und Grab. Vom Transanimalischen im Menschen, in: Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen. Frankfurt a. M. 1992, 36.

28 Man beachte, dass Habermas seit Glauben und Wissen im Jahr 2001 und dann im Dialog mit Joseph Ratzinger mehr als zuvor auf die Präsenz der Religion in der heutigen Gesellschaft hinweist, vgl. J. Habermas: Glauben und Wissen. Berlin 2001.

29 Vgl. Jonas, Das Prinzip Verantwortung (wie Anm. 25), 90.

30 Vgl. Jonas, Technik, Medizin und Ethik (wie Anm. 16), 211: «Beim Menschen aber meldet sich das Absolute zu Wort und bringt jenseits aller Nutzen- und Schadensrechnungen letzte sittliche, existentielle, ja metaphysische Aspekte ins Spiel – und mit der Kategorie des Heiligen alle Reste der Religion, die für den Westen einmal in dem Satz des sechsten Schöpfungstages begonnen hatte: ‹Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Weib erschuf er sie›.»

Paolo Becchi

Paolo Becchi

Prof. Dr. Paolo Becchi ist Ordinarius für Rechts- und Staatsphilosophie an der Universität Luzern und Extra­ordinarius für Rechtsphilosophie an der Univer­sität Genua