Menschen von Gottes Farbe

Menschen von Gottes Farbe

Ein ausnehmend gefälliger Einband mit angenehmen Farbstreifen, auf denen Verfasser, Titel und dargestellte Personen in klarer weisser Schrift verzeichnet sind, verlockt zur Lektüre. Der Titel lässt vermuten, dass Personen gemeint sind, auf die irgendwie Gott "abgefärbt" hat; er geht auf den mittelalterlichen Mystiker Johannes Tauler zurück, der einprägsam sagte, dass Menschen, deren Leben auf Gott ausgerichtet war, "ganz gottfarben, göttlich, gottförmig" geworden seien – und wenn man dieses Buch gelesen hat, weiss man, wie sich solche Eigenschaften auswirken: Fridolin Wechsler: Menschen von Gottes Farbe. (Rex Verlag/Verlag Katholisches Bibelwerk) Luzern-Stuttgart 2015, 208 Seiten.

Die Personen, die vorgestellt werden, dürften vielen Lesern schon irgendwie bekannt sein, umso mehr, als die meisten Texte im Laufe der Jahre schon in der SKZ erschienen und auf grosse Aufmerksamkeit gestossen sind. Aber wer sie zu kennen meint, ist von neuem überrascht von der sorgfältigen und geradezu spannenden Darstellung von Nikolaus von Flüe, Blaise Pascal, Edith Stein, Dag Hammarskjöld usw. Was macht die Kennzeichen dieser modernen Biographik aus?

Informativ und performativ

Das erste Adjektiv ist allbekannt. Den zehn "Gottfarbenen" (zwischen 1300 und 1909 geboren) werden alle nörigen Informationen zuteil, um ihr Leben, die Zeitumstände und ihr "Werk" (das nicht immer nur geschrieben ist) gut kennen zu lernen; ausführliche Anmerkungen im Anhang bestätigen die sorgfältige Arbeit des Biographen. Vielleicht kennen einige Johannes Tauler weniger, oder wissen wenig von Friedrich Spee, der "O Heiland, reiss die Himmel auf" gedichtet hat. Simone Weil dürfte bekannter geworden sein, "faszinierend und irritierend", wie es sehr zutreffend heisst, aber auch der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld tritt ins Blickfeld mit einigen klugen Zitaten aus seinem geistlichen Tagebuch. Aber wer kennt noch genauer den genialen Physiker, Mathematiker, theologischen Polemiker und brennenden Mystiker Blaise Pascal aus dem 17. Jahrhundert? Seine Fragment gebliebene "Apologie des Christentums", in zerstreuten "Pensées" aufbewahrt, löst unaufhörlich neue Kommentare und Deutungen hervor. "Der gute Papst" Johannes XXIII. tritt wieder neu lebendig vor Augen, der aus allerbescheidensten Verhältnissen stammend immer den richtigen Ton fand, mit seinen bäuerlichen Verwandten wie mit dem Schwiegersohn und der Tochter von Chruschtschew. Die beiden Jüdinnen Simone Weil und Edith Stein hatten ein ganz verschiedenes Schicksal und einen ganz verschiedenen Weg ins Christentum, die eine sogar lebenslang ohne Taufe (die Taufe auf dem Totenbett ist nicht sicher verbürgt). Die beiden aus der Kirche der Reformation hervorgehenden Dag Hammarskjöld und Dietrich Bonhoeffer rücken die fragwürdige Aussage von der römischen Kirche als der alleinigen "Kirche im eigentlichen Sinn" in ein merkwürdiges Licht. Leuchtend ragt aus allen der frühere Anglikaner und dann katholische Theologe und sogar Kardinal John Henry Newman heraus, die wohl am besten bezeugte christliche Figur der Neuzeit, so viele Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Werke wurden überliefert, und so weltbekannt war er schon zu Lebzeiten.

Aber: performativ? Das Adjektiv, aus der sprachwissenschaftlichen Terminologie entlehnt, zielt auf die "Verwirklichung des Gesagten, Gemeinten, in den konkreten Alltag hinein". Es erinnert auch an die scholastische Gegenüberstellung von potentiell (nur der Möglichkeit nach) und aktuell (verwirklicht). Die zehn Personen in diesem Buch haben ihr Christentum gelebt, bisweilen bis in die blutige Wirklichkeit hinein, und nicht nur gepredigt. Man fühlt sich auch an die drei Denkund Redeweisen im Werk Pascals erinnert: Philosophie (mit menschlichen Mitteln erarbeitet), Theologie (mit dem Zutritt der göttlichen Gnade), Mystik (reden zu Gott, nicht mehr über Gott, letztlich: Begegnung mit Gott, nicht theoretisches Umkreisen).

Aber performativ meint zusätzlich auch die Wirkung auf den Leser: Er kann sich dem Anruf der Personen nicht entziehen, die ihm hier vorgestellt werden. "Tua res agitur": Es geht ganz und gar auch um dich persönlich! Was kann man nicht bei ihnen lernen: die Gelassenheit bei Johannes Tauler, nicht ein beschauliches "dolce far niente", sondern das Loslassen, damit Gott die Leere füllen kann. Die Spannung bei Bruder Klaus zwischen der Verantwortung für Frau und Kinder und die politische Gemeinschaft, die kluge Ratgabe, aber auch "sich ganz Gott zu eigen geben". Das frühreife Genie bei Pascal, der sich nach einigermassen mondänem Leben ganz für die Wahrheit Gottes hingibt, unter Einsatz seines ganzen Scharfsinns und seiner eminenten Sprachbegabung. Newman kam "aus Schatten und Bildern zur Wahrheit" und blieb ihr durch alle oft kläglichen Phasen seines Lebens treu. Bemerkenswert übrigens, dass er wie manche andere seine Einsichten in poetischer Form fasst, wie Bonhoeffer, wie Hammarskjöld in seiner dichterischen Prosa (auch Edith Stein). Erstaunlich, wie der volksfromme, gescheite Angelo Roncalli seine kirchliche Laufbahn emporklettert, ohne je eitel oder anpasserisch zu werden. Ganz dramatisch ist der Weg Bonhoeffers aus seiner grossbürgerlichen, eigentlich kirchenfernen Herkunft in die Hinrichtung drei Wochen vor Kriegsende, weil Hitler es so in der letzten Lagebesprechung bestimmt hatte. Oder: die "Aufmerksamkeit" ("attention") Simone Weils, die sie mit dem "Abwarten" ("attente") abwechselt bzw. kombiniert.

Narrative Theologie

Biographien eignen sich ganz besonders, um dasVerhältnis zu Gott einsehbar und nachvollziehbar zu machen, vermutlich besser als die gescheitesten Abhandlungen. Diese befriedigen nur den Intellekt, die lebendigen Zeugnisse aber das "Herz", wie Pascal nicht müde wird zu betonen. Ich war wieder erstaunt zu sehen und zu hören, in welch schlichter Weise etwa Papst Franziskus in der Osternacht die Geschichte von den drei Frauen erzählt, die in der Morgenfrühe aufbrechen (während die Männer sich vorsichtig im Haus einschliessen) und sich ins Grab – das heisst: ins Mysterium – vorwagen. Fünf Minuten, sorgfältig artikuliert und mit Wärme vorgetragen, ganz anders als die ellenlangen, unendlichen Vorlesungen früherer Zeiten. Dogmatik als Skelett ist unumgänglich, aber es muss mit Muskeln und Nerven und Blutbahnen umgeben werden, damit ein lebendiger Körper entsteht. Fridolin Wechsler hat es vortrefflich zustande gebracht, uns lebendige Personen vorzustellen, denen man gerne nacheifert, soweit es in unseren Kräften steht.

Iso Baumer

Iso Baumer

Dr. Iso Baumer, geboren 1929 in St. Gallen, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und war als Gymnasiallehrer in Bern und Lehrbeauftragter für Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg (Schweiz) tätig. Er befasste sich früh mit Theologie und verfasste viele Publikationen zur westlichen und östlichen Kirchengeschichte (religiöse Volkskunde, Ostkirchenkunde).