«Mein Herr und mein Gott»

Lev 19,1–2. 17–19a (Lektionar VI, S. 852); Röm 14,17–19; Mt 19,27–29

Die Feier des Pascha-Mysteriums im heiligen Niklaus von Flüe

In diesem Jahr fällt der 25. September und damit das Fest des Landespatrons der Schweiz auf einen Sonntag. In den Diözesen der Schweiz wird das Fest auch tatsächlich an diesem Sonntag begangen. Das ist etwas Besonderes, denn in der allgemeinen Ordnung des liturgischen Kalenders ist die Feier des Sonntags höherrangiger als ein Heiligengedächtnis mit der Folge, dass das Fest des oder der Heiligen vor- oder nachgeholt wird. Das Direktorium der Schweiz weist den im sonstigen deutschsprachigen Raum als «nichtgebotenen Gedenktag» gefeierten Festtag sogar als Hochfest aus. Natürlich hat dies auch mit der besonderen Bedeutung dieses Heiligen für die Geschichte der Schweiz und das Glaubensleben der Schweizer Katholikinnen und Katholiken zu tun. Aber mehr noch: Die Kirche feiert an diesem Tag das Pascha-Mysterium Jesu Christi im heiligen Niklaus von Flüe.

Dieser etwas komplizierte Satz findet sein Fundament in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. In Art. 104 heisst es: «In den Gedächtnisfeiern der Heiligen verkündet die Kirche das Pascha-Mysterium in den Heiligen, die mit Christus gelitten haben und mit ihm verherrlicht sind.» Heiligen zu gedenken, ist demnach ganz eingebunden in das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus. Die Gedächtnisfeiern der Heiligen sind Entfaltungen der christlichen Osterfeier und rückgebunden an die Feier von Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi, die das Zentrum aller Liturgie ist. Von daher sind die Heiligen weit mehr als nur moralische Vorbilder, denen es nachzueifern gelte. In ihnen kommt zum Ausdruck, dass sich die Heilsgeschichte Gottes mitten unter den Menschen fortsetzt. Als besonderen Ausdruck der pfingstlichen Gemeinschaft aller Gläubigen sieht das Konzil die Heiligen. In ihrer Gestalt drückt sich nicht nur aus, was Heiligkeit bedeutet, sondern sie selbst sind Zeichen des Heils, in das alle Getauften hineingestellt sind. In der Zeit zwischen Pfingsten und Parusie zeugen die Heiligen davon, dass die Gemeinschaft der Gläubigen sich vom Heil umfangen wissen darf. Sie sind als Frucht der Erlösungstat Christi eine «geschichtliche Weise, wie uns durch die einzige Mittlerschaft des Herrn der Zugang zu Gott als Begegnung mit ihm gegeben ist» (Wolfgang Beinert). Insofern ist ihr Leben und Zeugnis für das Heute der Kirche bedeutsam, weil das Christentum insgesamt aus der Begegnung mit lebendigen Christinnen und Christen wächst.

Lässt sich dieses Verständnis auch in den liturgischen Texten für den 25. September nachzeichnen?

«Nimm alles von uns, was uns trennt von dir»

Schauen wir zunächst in das Tagesgebet. Es setzt beim Besonderen des Zeugnisses von Bruder Klaus an und führt aus, dass ihn der Gehorsam in der Nachfolge Jesu Christi zum «Mittler des Friedens» machte. Das Leben des heiligen Niklaus von Flüe wird so als Gedächtnis des Pascha-Mysteriums Jesu Christi entfaltet. Das Bruderklausenlied klingt an, wenn es im Gebetstext weiter heisst: «Nimm alles von uns, was uns trennt von dir.»

Im Tagesgebet des Messformulars werden also nicht einfach Taten des Heiligen als nachzuahmendes Beispiel vorgestellt, sondern das Handeln des Heiligen wird in Bezug zur Nachfolge Christi gesetzt. Damit wird nicht einfach «etwas» aus der Vita des Heiligen erzählt, um es den Hörenden nahezubringen, sondern es ist Gebet, das des Heilshandelns Gottes in Niklaus von Flüe gedenkt.1

Die Präfation vom Festtag mutet zunächst ganz als Nacherzählung aus dem Leben des Heiligen an.2 Der Mensch Niklaus von Flüe tritt in den Vordergrund. Ist der Heilige nun doch in erster Linie moralisches Vorbild für die heute Lebenden? Nimmt man die anderen Texte des Messformulars hinzu, dann wird deutlich, dass auch hier das Leben des Heiligen als Ausdruck seiner Christusnachfolge verstanden wird. Im Vers, der im Messbuch zur Kommunion vorgesehen ist, kommt dies besonders gut zum Ausdruck, wenn es dort heisst: «Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; so lebe nun nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir» (Gal 2,19). Auch hier ist der Bezug zum Bruderklausenlied unübersehbar. Damit steht Bruder Klaus den Feiernden in der Liturgie nicht gegenüber, sondern an ihrer Seite, wenn sich irdische und himmlische Liturgie zum Lobpreis Gottes vereinen.

Das Leben von Bruder Klaus im Licht der Heiligen Schrift

Im Rahmen der Messfeier des 25. September stellen die Lesungen auch einen wichtigen Teil der Texturen dieses Gedenktages dar. Werfen wir daher noch kurz einen Blick hier hinein. Mit Röm 14,17–19 («Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist. Und wer Gott so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet. Lasst uns also nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau [der Gemeinde] beiträgt») erscheint der Heilige vor allen Dingen als Künder und Mahner des Landesfriedens. Die Evangelienlesung spielt mit Mt 19,27–29 («Jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben erlangen») auf das Leben des Heiligen an, das sich im Licht der frohen Botschaft als evangeliumsgemäss erweist. Die Wortliturgie lässt die Hörenden also jene Art der Heiligkeit entdecken, die Bruder Klaus in seinem Leben verwirklichte.

Liturgie als Ort der Einübung in die Heiligkeit

In Bruder Klaus lässt sich also wahrhaft das Wochenostern, der Sonntag also, feiern. Durch die Mitfeier dieses Heiligengedächtnisses können sich die heute Lebenden einüben in eine Heiligkeit, in die sie selbst durch die Taufe berufen sind. Die Liturgie eröffnet den Raum, in dem nicht nur über ein evangeliumsgemässes Leben gesprochen wird, sondern in dem es sich bereits ereignet als Begegnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch.

 

 

1 Das Tagesgebet des Messformulars findet sich im Messbuch 1975, 787

2 Siehe den Präfationstext aaO. 788 f.

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.