Als Kirchenleute unternehmerisch werden

Auf das menschlichste aller Bedürfnisse musste sich selbst das Volk Gottes einstellen und erhielt die entsprechende Weisung im 5. Buch Mose (Dtn 23, 12– 14). Draussen eine Grube graben, um den eigenen Unrat zuzudecken. Denn es solle «dein Lager zeigen, dass es Gott gehört. Er soll nichts Hässliches bei dir sehen und sich von dir abwenden». Die markige Stelle veranlasste 1971 den Theologen und Erwachsenenbildner Hubert Bausch-Hug zu einer eindrücklichen Grubengeschichte.

Eines Tages sprachen einige in der Gemeinde: «Wir wollen eine Grube bauen, damit es nicht mehr so übel stinkt, wenn wir die Nähe Gottes feiern.» Darauf versammelten sich Männer und Frauen von überall her. Inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel und es war sehr heiss, so dass einige zu murren anfingen. «Wären wir doch zu Hause geblieben, um uns im Schatten auszuruhen, als hier uns kommandieren zu lassen.» Da sich nun aber die meisten nicht kannten und zudem diese Art von Arbeit nicht gewohnt waren, wurde der Beste von ihnen mit der Leitung beauftragt. Dieser gab jedem eine Arbeit nach seinem Ermessen. Bald schon entstand jedoch ein Durcheinander, weil jeder tat, wie er mochte. So begann jener zu fluchen und zu schimpfen und gar laut zu kommandieren.

Als es nun aber Abend geworden war, kehrte der Geist Gottes zu ihnen zurück und sie sprachen: «Was streiten wir denn und sind uns gram, wir wollten doch die Nähe Gottes feiern.» Und der Mann, dem die Leitung übergeben war, entschuldigte sich für sein ungehaltenes Tun. Einige sagten ihm darauf: «Dass du ungeduldig bist, wussten wir schon, aber das Fest steht nahe bevor, und da geht es nicht an, dass jeder nach seinem Gutdünken arbeitet, führe uns wieder an.» Und von jenem Tag an nannten sie die Grube «Klärgrube», weil ihnen an dieser Grube viel klarer wurde, wie es sich mit dem Reich Gottes verhält.

Menschen bilden Kirchen

Wie es sich mit dem Reich Gottes verhält, erfahren Menschen demnach sowohl in ihren Einrichtungen wie auch im klärenden Austausch untereinander. Kirchen sind nicht nur Gebäude, sie sind Orte des Engagements von Menschen verschiedenster Herkunft, begabt mit Fähigkeiten und eigenem Ballast. Christenmenschen bilden Kirchen deshalb, weil sie sich getragen von Sehnsucht nach Begründung ihres Daseins auf das Angebot des «Weges» einlassen. Seit Beginn ihrer Existenz haben die Christenleute als Menschen des Weges gegolten. Seither sind die christlichen Kirchen – welcher Denomination auch immer – für Menschen offen, die ihrem Glaubenspotenzial eine Richtung geben, die über den Tag hinausweist. Der verborgene Grund für die lange Geschichte der christlichen Kirchen liegt in der Kraft dieses Glaubens als einem Potenzial, welchem göttliche Kraft innewohnt. Selbstkritisch müssen sich Kirchenleute fragen, ob sie dabei immer zur Förderung der Menschlichkeit beigetragen haben.

Anhaltspunkt bleibt Jesus aus Nazareth

Wo Menschen sich diesem Potenzial öffnen, nehmen sie seit je in Person und Wesen des Jesus von Nazareth ihren Anhaltspunkt – nicht eingeschränkt für sich selbst – vielmehr aus der Mitte ihrer Existenz unter anderen. Weil Jesus von Nazareth in seiner Geschichte Menschen zusammenführte und aus Gruppen und Gemeinschaften das Potenzial einer Solidargemeinschaft par excellence generierte, wurden seine Person und sein Wesen aus göttlicher Herkunft zum Angebot für alle. Nach seinem Tod begegnete er kraft seiner Auferstehung Menschen unterwegs. Aus Begegnungen «im Geiste Jesu Christi» hat sich darum das Kernpotenzial für eine Solidarität unter Menschen über alle Grenzen herausgebildet. Diese Herkunft bindet Menschen in Kirchen.

Kirche und Organisation

Kirchenorganisationen bestehen zuerst aus Menschen, die Gemeinschaften im Glauben an Jesus Christus den Auferstandenen bilden – anders gesagt: Gemeinschaften und Netzwerke solidarischen Tun und Lassens. Den Netzwerken innerhalb der Kirchen sind die Grundlagen alles Menschlichen nicht fremd. Sie sind konfrontiert mit Schwächen und Stärken, Missgunst und Innovation, zerstörerischem und aufbauendem Potenzial. Als eine der drängendsten Herausforderungen stellt sich den christlichen Kirchen die Frage nach angemessener Führungs- und Leitungskultur für ihre pastoralen Unternehmungen. Denn ihre Herkunft aus dem Glauben an die erste «Autorität» – welche durch alle Zeiten die spirituelle Kraft aus der Geschichte mit Jesus dem Auferweckten ist und bleibt – macht die Kirchen nicht zum Spielfeld für ausserirdische Experimente. Diffuse und konfuse Zeichen zu setzen, mit denen man unklare Strukturen ohne Vereinbarungen und Aufgabenzuweisungen meint aufbauen zu können, ist auch den Kirchen verwehrt, auch wenn vorgegeben wird, allein im Bekennen des gemeinsamen Glaubens sei genügend Weisung gegeben. Werden die Menschen in den Kirchen mit ihrem Potenzial gegenseitig ausgebremst und damit die natürlichen Gesetze des Zusammenwirkens in einer Organisation ausser Kraft gesetzt, gerät jedes Kirchenregime in das Fahrwasser unbegründeten Befehlens, dem kein mündiger Gehorsam folgen kann. Wird aber im Gegenteil jedem Mit-Glied des Volks Gottes – «Kinder Gottes» ist dafür heute kein verständlicher Begriff mehr! – Gelegenheit gegeben, sein und ihr Glaubenspotenzial einzubringen, kann Kooperation und gemeinsames Am-selben-Strick-Ziehen die Chance für vieles werden.

Fazit für unternehmerisches Handeln in Kirchen

Wo die pastoralen Dinge möglichst menschennah gehandhabt werden, kann diese Handhabung – d. h. ein nüchtern besehenes kirchliches Management – nicht absehen von grundlegenden Kenntnissen aus Kybernetik, Organisations- und Betriebswirtschaft. So müsste in der Zeit, da sich das Jammern über leere Kirchen zu einem müden Slogan auf allen Boulevards ausbreitet, eine Kehrtwende angezielt werden. Nichts Spektakuläres, sondern etwas echt Bescheidenes, nämlich bei den Menschen dieser Zeit in die Lehre zu gehen.1

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Pfarrei als Kirche an der Basis

Jede Pfarrei ist Kirche an der Basis als der Ort, wo der Glaube sein lokales Gesicht zeigt. Freiwillige und Seelsorgende stellen sich diesem Kernanliegen durch einfaches Zeugnis ebenso wie in vielfältigem Einsatz. Sie feiern die Quelle ihres Glaubens in der Zeichensprache der Sakramente und stellen ihre Geschichte und ihren Einsatz unter das Wort Gottes. Denn alles, was in einer Pfarrei am Leben ist, verbindet die Beteiligten vor Gottes unverfügbarem Geheimnis. Die Pfarrei muss ein lebendiges Interesse daran haben, ihr Christsein zu leben. Dies setzt voraus, dass sich alle als Lernende verstehen, weil das «Gestern» nicht mehr das «Heute» ist, die Verhältnisse sich nachgerade dramatisch verändern.

Kirche an der Basis sein ist kein Selbstzweck. Glaubende wirken glaubwürdig, wenn sie dazu beitragen, dass die Lebenschancen für Menschen und Gruppen am Ort und in der weiten Welt gefördert werden. Dabei wird keine Pfarrei allein «Wunder» wirken können. Sie hat keine andere Wahl, als ihren Auftrag «nach aussen» ernst zu nehmen, weil erst so der Glaube in Kirche und Welt lebt. Bindet sich eine Pfarrei ausschliesslich «nach innen», wird sie träge. Sie verliert ihren Sinn, wo sie durch zersetzende Grabenkämpfe oder innerkirchliche Selbstbespiegelung gelähmt wird. Eine lebendige Pfarrei stellt sich unter das Paulus-Wort:

«Prüft alles, und behaltet das Gute! Löscht den Geist nicht aus!» (1 Thess 5,21.19)

1 Weiterhin lesenswert Pius Bischofberger und Manfred Belok (Hrsg.): Kirche als pastorales Unternehmen. Anstösse für die kirchliche Praxis, Zürich 2008, und Beat Hänni, Felix Marti: Kirchgemeinde leiten und entwickeln. Impulse aus Theologie und Organisationsberatung, Luzern, 2. Aufl. 2011.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)