Heilig werden und noch mehr heilig sein, scheint unerreichbar zu sein. Es ist wie ein Kleid, das unserer Körpermasse nie entspricht, das entweder zu eng oder zu breit ist! Ich kann mir alle Mühe geben, abzunehmen oder zuzunehmen − es wird nie richtig zugeschnitten sein. Man denke nur an das Crescendo dieser drei kleinen, sehr anspruchsvollen Mahnungen Jesu: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», «Liebe deinen Feind» und «Was du dem Kleinsten getan oder nicht getan hast, das hast du mir getan!» Wie kann ich dem überhaupt entsprechen?
«Werdet heilig wie ich heilig bin», heisst es doch. Mein Gott, wie soll das gehen?
Der Schneider ist zum Glück nur Gott. Am Kreuz übernimmt Jesus mein zu weit oder zu eng geschnittenes Kleid und fertigt so das unerlässliche, mir passende weisse Kleid für meine Teilnahme am himmlischen Mahl an. Bei der Beichte erfahre und erlebe ich das ganz klar. Massgeschneidert!
Wir sind alle aufgefordert, uns auf den Weg eines synodalen Prozesses der Erneuerung unseres christlichen Lebens und Handelns zu machen. Lassen wir uns hierfür von Mutter Teresa an das Wesentliche erinnern. Sie antwortete einem Journalisten, der von ihr Kritik an der Institution Kirche erwartete, auf die Frage, was es an der Kirche zu ändern gäbe, schnell und spontan: «Mich und dich!» Ihre gelebte Antwort. Die Antwort einer Heiligen.
Nun, heilig bin ich nicht. Wie soll ich diesen Zustand erreichen? Das Ziel ist, heilig zu werden und nichts anderes. Heilig ist nur die Liebe. Und Gott ist Liebe. Und nichts tut uns so gut, wie zu lieben und geliebt zu werden. Dafür sind wir am Leben!
Lassen wir uns also von Grund auf erneuern. Und was gibt es im Kirchenleben zu ändern? Mich und dich, uns alle! Und wie schaffen wir das? Fragen wir besser: Wer schafft das? Für Christinnen und Christen gibt es nur eine Antwort: Jesus Christus!
Am Kreuz bekommt jede und jeder von uns sein oder ihr Kleid exakt zugeschnitten. Erheben wir doch unseren Blick auf den Gekreuzigten! Papst Franziskus wird nicht müde, uns daran zu erinnern: Es gibt keinen synodalen Prozess ohne Anbetung. Solange wir uns nicht von Jesus am Kreuz prägen lassen, werden wir in unangepasster Kleidung umherwandeln und lassen uns von zu langen Ärmeln und zu kurzen Hosenbeinen immer wieder stören. Massgeschneidertes zu tragen, kann uns nur der gemeinsame Blick auf die Liebe Christi ermöglichen. In ihm sehen wir, wie jede und jeder von uns zum Topmodel werden kann − zum Topmodel der Liebe.
Wie christlich bin ich? Was soll ich, was sollen wir erneuern? Anders gesagt: Wie heilig soll ich, sollen wir werden? Das kann uns allen nur Jesus (in Wort und Sakrament) zeigen und ermöglichen. Massgeschneidert.
+ Weihbischof Alain de Raemy