Ladenöffnungszeiten – weil es um die Menschen geht

Darf ein kirchlicher Würdenträger sich zur Frage von Ladenöffnungszeiten, zu Sonntagsverkäufen usw. äussern, zu scheinbar rein weltlichen Fragen, in denen die Kirche nichts zu suchen hat? Gewerbler, Politiker und auch der Generalvikar für das Bistum Chur, Prälat Martin Grichting, ärgerten sich kürzlich, weil Abt Martin Werlen am 8. Januar 2013 als Ressortverantwortlicher für die Bischöfliche Kommission «Justitia et Pax» gegen die Liberalisierung bei den Tankstellenshops angetreten ist. Er unterstützt damit die Anliegen der «Sonntagsallianz».

Die «Sonntagsallianz»

Die «Sonntagsallianz» wehrt sich gegen die Deregulierung der Ladenöffnungszeiten bei Tankstellenshops, welche erstmals den 24-Stunden- Arbeitstag mit einem Vollsortiment im Detailhandel ermöglichen würde. Davon wären zu etwa 70 Prozent Frauen betroffen, ausserdem eher sozial tiefere Schichten, die weniger Handlungsfreiheit und Freizeit haben als sozial Bessergestellte. Die Befürworter betonen zwar, wie «bescheiden» die Tankstellenshopvorlage sei – es geht darum, das ganze Sortiment ununterbrochen verkaufen zu dürfen. Aber verschiedene andere Bestrebungen verdeutlichen, dass über kurz oder lang eine möglichst umfassende Liberalisierung angestrebt wird, so dass sogar die wirtschaftsfreundliche NZZ vermerkt, dass solch weitergehende Forderungen der Liberalisierungsbefürworter der «Sonntagsallianz » in die Hände spielen (NZZ 9. 1. 13). Dürfen hochrangige Kirchenvertreter sich in eine solche Diskussion «einmischen»? Die einen sagen Nein, die andern Ja, auch säkulare Medien.

Einmischung erlaubt, ja notwendig!

Zustimmend äusserte sich Arno Renggli in der «Neuen Luzerner Zeitung» (9. 1. 13). Die Kirche soll keine politische und strukturelle Macht über die Menschen ausüben: «Aber nicht, dass sich ihr Engagement nur auf das Spirituelle oder auf die geschlossenen Räume von Gebetshäusern beschränken soll. Wie alle gesellschaftlich relevanten Kräfte soll auch diese sich zu heutigen Fragen äussern (…). (…) gerade in diesem Prozess ist es wichtig, dass sich die Kirche möglichst nahe zur Gegenwart und zu den aktuellen Brennpunkten hinbewegt, auch als Signal an die ja ebenfalls betroffenen Gläubigen.» Kirchlichen Würdenträgern, die sich besonders lehramtstreu geben, sei dieses Lehramt im Übrigen sehr ans Herz gelegt, so etwa Äusserungen im «Kompendium der Soziallehre der Kirche», wo etwa angesichts der Liberalisierung und Globalisierung des Arbeitsmarkts vermerkt wird: «Besonders für die Arbeitswelt ist die Situation dramatisch, weil von umfassenden und radikalen Veränderungen kultureller und struktureller Art betroffen, die häufig weder von der Gesetzgebung noch vom Bildungssystem noch von sozialen Hilfestellen aufgefangen werden» (Nr. 234). – Jedenfalls: Mir graut vor einer Kirche, die sich selbst in die Sakristei einsperrt; dann wird sie ihrer Sendung und Aufgabe nicht mehr gerecht (vgl. Titel!).

 

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.