Kunst und Kirche – eine Symbiose?

Kunst in der Kirche steht im Spannungsfeld von Kunstschaffenden, Institution Kirche und Gläubigen. Der offene Austausch und der gegenseitige Respekt sind Voraussetzung für jede gelungene Umsetzung.

Opaion von steffenschöni mit Mariensäule auf der Ottenegg bei Fischingen TG, «Göttliche Landschaft» 2020. (Bild: Reto Friedmann)

 

Kunst scheint sich mit Theologie ideal zu verbinden. Ein Blick in die Kunst- und Kirchengeschichte
bestätigt dies. Und auch aktuell erfreuen sich kirchliche Kunstprojekte grosser Beliebtheit. Gelungene Beispiele sind die Peterskapelle in Luzern oder die temporäre Kapelle Winterthur-Veltheim. Aber auch andernorts spriessen kirchliche Biotope für Kunstprojekte. 

In der Praxis ist es mit einer komplementären Beziehung zwischen Kunst und Kirche aber oft so eine Sache. Verschiedene Fallstricke, Gruben und Hürden in der nicht immer heiligen Dreifaltigkeit von Institution Kirche, Gläubigen und Kunstschaffenden erschweren die Realisierung eines kirchlichen Kunstprojekts. Wer bringt welche Anliegen und Bedürfnisse mit und welche Süppchen ergeben sich aus einer solchen Gemengelage? 

Kirche als Veranstalter

Bei der Institution Kirche stellt sich zuerst einmal die Frage nach dem Motiv. Wozu möchte die Kirche Kunst veranstalten? Soll mit der Kunst das Evangelium verkündet werden? Möchte die Kirche mittels Kunst ein neues Publikum in die Kirche locken? Wird über das Veranstalten von Kunst ein Dialog mit kirchenfernen Gläubigen gesucht? Benötigt die Pfarrei einen neuen liturgischen Gegenstand? Soll eine Wand geschmückt werden? Die möglichen Antworten sind vielfältig.

Bereits bei der ersten Frage zur Verkündigung des Evangeliums liegt ein tückischer Fallstrick. Diente die Kunst einst selbstverständlich der kirchlichen Verkündigung, so steht diese heute der Kirche autonom gegenüber. Die meisten im kirchlichen Kontext arbeitenden Künstlerinnen und Künstler bewegen sich hauptsächlich in einem säkularen Umfeld, was auch der staatlichen Kunstförderung geschuldet ist. Diese Realität steht in einem Konflikt mit dem kirchlichen Bedürfnis nach «religiöser Kunst». 
Ein heikles Thema ist die öffentliche Kunstförderung für ein kirchliches Kunstprojekt. Bei ausserkantonalen Kunstschaffenden ist es üblich, dass der Herkunftskanton ein Projekt mitfinanziert. Die Institution Kirche kann dabei aber ein Hindernis sein mit der Begründung, dass der Kanton religiös neutral sei. So bei der Kunstausstellung «Göttliche Landschaft», die im Rahmen des Jubiläums «150 Jahre Landeskirchen im Kanton Thurgau» 2020 realisiert wurde, mit einem Westschweizer Kanton geschehen, wo die Trennung von Staat und Kirche ausgeprägter ist als in der Deutschschweiz. Generell stösst ein religiöses Thema bei staatlichen Förderstellen häufig auf Widerstand. So wurde bei «Göttliche Landschaft» die Förderung an die Bedingung geknüpft, dass auch die Aussenperspektive auf die Religion eingenommen wird. Der kirchliche Grundauftrag der Verkündigung ist den staatlichen Förderstellen grundsätzlich suspekt.

Soll ein liturgischer Gegenstand hergestellt werden, so muss zwischen Design und Kunst unterschieden werden. Lässt sich eine Pfarrei auf die Kunst ein, so muss die Konsequenz mitbedacht werden. Der das Abendmahl von Leonardo da Vinci zitierende Altar von Judith Albert in der Kathedrale von Solothurn veranschaulicht dieses Problem sehr schön.1 Der behauene weisse Marmor stellt den durch ein Altartuch bedeckten Altar dar. Da liturgisch die Bedeckung des Altars mit einem Altartuch vorgeschrieben ist, wird das steinerne Altartuch im Gebrauch mit einem textilen Altartuch abgedeckt. Ein Designer müsste dies zähneknirschend akzeptieren. Bei der Kunst stellt sich die Frage der Deutungshoheit darüber, ob es sich bei der künstlerischen Darstellung des Altartuchs nicht schon um das Altartuch selber handelt und es deshalb keiner zusätzlichen Abdeckung bedarf. Grundsätzlich hätte geklärt werden müssen, ob ein Altar überhaupt ein Kunstwerk sein kann. Solche Fragen müssen zuerst diskutiert werden.

Kunst als Gegenüber

Kirchennahe Kunstschaffende achten häufig darauf, dass sie nicht in die Schublade «religiöse Kunst» geraten. Denn was in diesem Bereich so gebastelt wird, ist mitunter fürchterlich: symbolgeladene Figuren in sanften Pastellfarben und Ähnliches. Künstlerinnen und Künstler betreiben zuerst einmal Kunst und in zweiter Linie können sie sich einem religiösen Thema zuwenden oder sich gar in den Dienst der Verkündigung stellen. Eine kirchliche Bindung ist nicht mehr einfach gegeben, das Verhältnis zwischen Kirche und Kunst muss erst ausgehandelt werden. Beim Kunstprojekt «Göttliche Landschaft» fragten etwa steffenschöni2 zu Beginn kritisch nach, welche kirchliche Ausrichtung hinter dem Projekt stehen würde, bevor sie sich auf das Kunstprojekt einliessen. Bei der Realisierung zeigte sich, dass sie trotz der Distanz zur Institution Kirche mit dem religiösen Thema sehr verbunden waren. Manchmal lohnt es sich auch, eine unentschiedene Haltung gegenüber dem Glauben in Kauf zu nehmen. So fand bei diesem Projekt eine Studierende der Hochschule Luzern über das Thema Natur den Link zur Schöpfung und so zum christlichen Glauben. Das Engagement für «Göttliche Landschaft» war für sie Anlass, den eigenen Bezug zum Glauben zu klären.

Eine Standardfrage der kirchlichen Veranstalter gegenüber Kunstschaffenden betrifft die Mitgliedschaft in der Kirche. Um jeden Preis soll verhindert werden, dass eine Künstlerin an der Vernissage den Medien erklärt, dass sie eben gerade aus der Kirche ausgetreten sei. Das wäre für gewisse Verantwortliche der Super-GAU, gerade wenn es bei einem solchen Projekt auch um eine Aufbesserung des angeschlagenen Images geht. Um ein solches Motiv darf es bei einem Kunstprojekt aber nicht gehen. Das wäre fatal. So ist es zum Beispiel ohne Weiteres denkbar, dass die am Projekt beteiligten Kunstschaffenden der Kirche gegenüber kritisch eingestellt und auch nicht (mehr) Mitglied der Kirche sind. Im Mittelpunkt soll die künstlerische Aussage stehen. Die persönliche Haltung gegenüber der Kirche kann als Chance genutzt werden, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Die Skandale der Katholischen Kirche können für die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden zum Problem werden. So erklärte bei der Projektierung von «Göttliche Landschaft» eine Künstlerin mit kirchlichem Bezug, dass sie sich nicht beteiligen könne, weil sie dies wegen der Missbrauchsskandale derzeit nicht verantworten könne und die Arbeit deshalb womöglich für beide Seiten unbefriedigend ausfallen würde.

Bitte nicht stören

Nicht zu vernachlässigen ist bei der Planung eines Kunstprojekts auch das Publikum, zu dem selbstverständlich auch angestammte Kirchgängerinnen und Kirchgänger gehören. Eine besondere Anekdote dazu gibt es zur «KunstKulturKirche Allerheiligen» in Frankfurt am Main zu erzählen, wo blablabor3 eine Klanginstallation zu Gen 1–2,4a realisierte. Schon bei der ersten Kirchenbegehung hing der mahnende Satz in der Luft: «Aber wenn die Spanier kommen!» Bei «den Spaniern» handelte es sich um die spanische Gemeinde, deren spezielle Kirchennutzung bei einer Kunstinstallation bedacht werden musste. Ihnen ist nämlich die im Sinne von Romano Guardinis Liturgiereform konzipierte Kirche zu nüchtern, weshalb sie am Sonntagnachmittag mit einer ganzen Staffage den Chorraum jeweils festlich ausschmücken. Und auch bei den Stuhlreihen ist für Kunstprojekte Vorsicht geboten, da die Kinder nach dem Gottesdienst fröhlich umherhüpfen dürfen. Und schliesslich sucht ein lateinamerikanischer Sänger täglich für etwa zehn Minuten die Kirche auf, um mittels eines Ghettoblasters Instrumentalmusik abzuspielen und dazu mit seiner sonoren Stimme ein Ave Maria in den Kirchenraum zu schmettern. Die sehr innovative und zugleich umsichtige Leitung der «KunstKultur-Kirche» schafft es, all diese Bedürfnisse unter dem gleichen Kirchendach zu vereinen.

Beim Zusammenspiel von Kirche, Kunstschaffenden und Publikum sind also zahlreiche Ansprüche, Bedürfnisse und Absichten zu berücksichtigen, die bei der Projektierung bedacht werden müssen. Die Kunst der Projektleitung ist es, all dies unter einen Hut zu bringen. Wenn dies ohne faule Kompromisse gelingt, können sich Kunst und Kirche gegenseitig komplementär bereichern.

Reto Friedmann

 

 

1 Siehe Abbild unter Bonusbeitrag.

2 steffenschöni ist ein Schweizer Künstlerduo, bestehend aus Heidi Schöni und Karl Steffen. 

3 Das Künstlerkollektiv blablabor – bestehend aus Reto Friedmann und Annette Schmucki – arbeitet mit Lauten, Wörtern und Sätzen. Bild der Installation unter www.kirchenzeitung.ch


Reto Friedmann

Reto Friedmann (Jg. 1965) hat einen Master in Religionslehre, ist Radiokünstler und Projektleiter und arbeitet als Kantonsschullehrer Er ist Mitglied der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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