Krise als Chance - zu einem Buch über die Hoffnung

Nicht ohne Hoffnung

Wer um sich blickt, scheint kaum Anlass zu viel Hoffnung zu haben. Wir sind inmitten von Krisen (seien es gefährliche Situationen oder deren Höhepunkte), wirtschaftlich, finanziell, politisch, geistig, religiös. Der Fortschrittsoptimismus des 19. und (schon weniger) des 20. Jahrhunderts ist verflogen. Wir sind in einem postoptimistischen Zeitalter, wie der Soziologe und Theologe Tomáš Halík sagt, und hält dem in einem Buch1 die Hoffnung entgegen, die "trotz allem" einen Glauben ermöglicht. Das hiess einmal "sperare contra spem", "Hoffen wider alle Hoffnung" – vgl. Römerbrief 4,18, wo von Abraham gesagt ist, dass er "Hoffnung gegen alle Hoffnung setzend" auf Gottes Verheissung hin "Glauben gefasst hat".

Der Autor dieses Buches ist kein billiger Vertröster. Früh schon hat er in der kommunistischen Tschechoslowakei seinen Glauben verloren – und dann wieder gefunden und nach soziologischen und psychologischen Studien im Geheimen Theologie studiert, ist Priester geworden und hat im Verborgenen gewirkt. Die plötzliche Freiheit hat 1989 auch die Kirche oft unvorbereitet überrascht, und Halík kann seine Enttäuschung über das manchmal klägliche Verhalten kirchlicher Personen und Instanzen damals und seither nicht verschweigen. Er sieht die Situation, durch Erfahrung gewitzigt und Studien bestätigt, nur allzu klar, um sich mit Vernebelungstaktik zu begnügen. Er versteht "Krise als Chance", wie der Untertitel der tschechischen Originalausgabe sagt.

Gott ist als Zukunft präsent

Halík ist erstaunt darüber, dass in kirchlichen Dokumenten allzu leicht "wir" und "sie" unterschieden werden: "wir", die den Glauben haben, und "sie", die ihn leider nicht haben. Er meint, dass die anscheinend "Glaubenslosen" durchaus dem Glauben nahe stehen können. Schon in einem früheren Buch hat er gesagt, dass "Nichts" auch einer der vielen Namen des geheimnisvollen Gottes sein könnte. "Gottlose" können auf einen Gott verzichten, der falsch übermittelt wurde oder von dem sie sich ein falsches Bild gemacht haben. Gott ist nicht einfach zuhanden wie irgendein Ding sonst in der Welt, er ist ausstehend, zukünftig. Er ist uns als Zukunft präsent, und wir haben uns auf diese Zukunft hin offen zu halten. Halík kann wenig anfangen mit den Fundamentalisten jeder Art, die irgendeinen geschichtlich gewordenen, nun aber vergangenen Zustand – der Kirche zum Beispiel – für ewig gültig erachten und mit verbissener Selbstgerechtigkeit darauf beharren. Skeptisch ist er auch gegenüber den Charismatikern, sofern sie auf dem Erlebnis aufbauen, daher seine Distanzhaltung zu Massenveranstaltungen mit Millionen von Teilnehmern und wenig Nachhaltigkeit.

Nüchterne Zeitdiagnose

Der Blick des Autors auf unsere Zeit – eigentlich auf jede Zeit – ist ernüchternd. Er meint, dass die Welt als Ganzes, v. a. mit dem Bösen darin, nicht verstanden werden kann. Die Natur ist absurd, nicht nur die Tiere fressen sich gegenseitig auf, auch der Mensch ist dem Menschen ein Wolf ("homo homini lupus"), Naturkatastrophen treten (vermehrt?) auf. Wir müssen lernen, die Unbegreiflichkeit auszustehen, mit ihr zu leben. Gott ist da nicht ein leicht verfügbarer Trost, er ist nur als Gegenstand der Hoffnung gegeben. Diese realitätsnahe Hoffnung ist aber nicht "Opium für das Volk", sondern eine gesunde Haltung im Widerstreit der Mächte.

Zur Hoffnung tritt der Glaube, sie stärken sich gegenseitig, wie auch Martin Luther King gesagt hat: "Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen" (vgl. Pauluskalender 2015, 21. Juni). Oder mit dem Römerbrief 8,24 f.: "Wir sind wohl durch die Hoffnung gerettet – eine Hoffnung aber, die man schon sieht, wäre keine Hoffnung (...). Hoffen wir aber auf etwas, was wir noch nicht sehen, so warten wir in Geduld." Die "Göttlichen Tugenden" – nicht zu vergessen die dritte, die Liebe! – stärken den Menschen in dieser Weltzeit: "Wir wissen ja, bis zur Stunde liegt die gesamte Schöpfung in Seufzen und Wehen; und nicht nur sie, auch wir, die doch als erste bereits den Geist als Gabe besitzen, seufzen im Innern und müssen warten auf die (vollkommene) Kindschaft, die Erlösung unseres Leibes" (Röm 8,23).

Die Theodizee-Frage und die Freiheit des Menschen

Grosse Bedeutung misst Halík dem Buch Ijob zu: Es ist ein Prozess gegen Gott. Die Freunde des völlig aller Habe und Macht Entblössten wollen ihm "theologisch" zureden, aber der völlig unschuldig Getroffene rechtet mit Gott – und bekommt gar keine abschliessend beruhigende Antwort. Jeremias 12,1 fasst das so zusammen: "Herr, wenn ich auch mit dir rechten wollte, so behältst du doch Recht; dennoch muss ich vom Recht mit dir reden. Warum gehts doch den Gottlosen so gut, und die Abtrünnigen haben alles in Fülle?" Das ist die berühmte Theodizee-Frage, die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts der Welt und der Menschheit so, wie sie sind.

Gott hat ganz offensichtlich die Freiheit des Menschen gewollt, der sich ihm frei zu- oder von ihm abwenden kann. Die "Ur-Sünde" stammt aus dem Geschenk der ambivalenten Freiheit. Die Aufgabe des Menschen ist es, die Frage(n) auszuhalten und das Geheimnis Gottes zu verehren. Seine persönliche Schuld einzusehen und zu bekennen ist kein Klein-Beigeben, auch kein Masochismus, sondern nüchterne Selbsterkenntnis in der Hoffnung auf Vergebung.

Während der transzendente Gott und die säkulare Welt sich gegenüberstehen, sind sie in Jesus Christus vereint, durch ihn ist uns der Zugang zu Gott gewährt. Halík spricht anderen Menschen, Nicht-Christen und "Gott-losen", nicht ab, dass sie Gottes auch gewahr werden können, aber die Wege Gottes sind unerforschlich. Die Toten sind in Gott geborgen, ihnen ist "ewiges Gedächtnis" (in Gott, nicht so sehr in der Erinnerung der Menschen) sicher – wie es die orthodoxen Kirchen unermüdlich singen.

Einige offene Fragen

Das Buch von Halík besticht durch die Weite seiner Sicht und die Tiefe der Ergründung der wichtigsten Fragen. Es wurde 2009 geschrieben, aber erst 2014 auf Deutsch herausgegeben. Ein Buch, das durchaus Bezug auf die Gegenwart nimmt, hätte – vor allem bei diesem Thema – eines aktualisierten Schlusskapitels oder Nachworts bedurft, denn Papst Franziskus hat vor allem eines bewirkt: dass man wieder Hoffnung schöpft. Natürlich ist das Buch so reich, dass dieser Mangel vom Leser selber ausgeglichen werden kann.

Weniger erfreulich ist, dass die deutsche Fassung an manchen Stellen geradezu fehlerhaft ist. Zu "dadurch" gehört "dass" und nicht "indem" (176). Man kann auch nicht von "Priester- oder Ordensgelübden" reden (140) – der Priester legt ein Versprechen ab. Oder "mit Hilfe unserer grossen Macht und unserem grossen Stolz" (141). Oder "zu Beginn seiner Regel, dem Klassiker des westlichen Mönchtums" (136). Wenn man einen Entschluss fasst, nimmt man sich etwas vor, nicht man "setzt sich etwas vor" (115). Es ist die Rede von "schwachen und dunklen Seiten, denen ich mir bewusst bin" (105) – das ist nur eine Auswahl, die zeigt, dass hier bei einem wertvollen, sehr lesenswerten Buch das Lektorat des Verlags zu grosse Schwächen an den Tag legt.

Der grosse Vorzug der Bücher von Tomáš Halík2 ist die Bodenhaftung, die diesen vielseitig gebildeten Mann auszeichnet, und die vornehme Haltung, wenn er irgendwo etwas bemängelt; immer wieder spielt auch die eigene, oft leidvolle Lebenserfahrung hinein, was zeigt, dass hier nicht vom Schreibtisch aus philosophiert wird.

1 Tomáš Halík: Nicht ohne Hoffnung. Glaube im postoptimistischen Zeitalter. Aus dem Tschechischen von Markéta Barth unter Mitarbeit von Benedikt Barth. (Verlag Herder) Freiburg-Basel-Wien 2014, 254 Seiten

1 Rezensionen von Iso Baumer über Bücher von Tomáš Halík: "Geduld mit Gott", in: SKZ 180 (2012), Nr. 29–30, 493 f., und: "Berühre die Wunden", in: forum (Zürich) 23/2013, 7, sowie: "Alle meine Wege sind DIR vertraut", in: SKZ 182 (2014), Nr. 25, 361 f.

Iso Baumer

Iso Baumer

Dr. Iso Baumer, geboren 1929 in St. Gallen, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und war als Gymnasiallehrer in Bern und Lehrbeauftragter für Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg (Schweiz) tätig. Er befasste sich früh mit Theologie und verfasste viele Publikationen zur westlichen und östlichen Kirchengeschichte (religiöse Volkskunde, Ostkirchenkunde).