Kraft zu jedem guten Werk und Wort (2 Thess 2, 17)

32. Sonntag im Jahreskreis: 2 Thess 2,16–3,5 (2 Makk 7,1–2.7a.9–14; Lk 20,27–38 oder 20,27.34–38)

2 Thess 2,16–3,5 steht am Übergang zum paränetischen Teil des 2. Thessalonicherbriefes (3,1–15). Darin gibt der Verfasser Anweisung und Ermutigung zur Standhaftigkeit und zu einem Lebenswandel, der dem Glauben an Jesus Christus entspricht. Wie in anderen neutestamentlichen Briefen, wird der grundlegende Abschnitt des Schreibens durch einen Gebetswunsch abgeschlossen (2 Thess 2,16). Die formale Nähe zu 1 Thess 3,11–13 ist hier auffallend (vgl. ausführlicher auch Eph 3,14–21). Die Gnade Gottes kennt zwei Entfaltungen: Gottes Liebe für den Menschen und ewigen Trost und gute Hoffnung. Letztere sind als Folgen jener Liebe zu verstehen, die Gott den Menschen im Christusgeschehen verdeutlicht hat. 2 Thess verkündigt diese Liebe als das entscheidende Beziehungsmoment für das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen in Anlehnung an bereits vorhandene paulinische Überlegungen, wie sie z. B . in Röm 8,37–39 zum Ausdruck kommen: «Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.»

Das Wortfeld «Trost/Ermutigung» prägt die Aussageabsicht des Verfassers. Darin kommt eine Perspektive zur Sprache, die er im Handeln Gottes verankert und die ins Endzeitliche reicht (2,16: Gott hat uns «ewige Ermutigung» geschenkt, d. h. Ermutigung mit der Perspektive der Endzeit). Das kann tatsächlich Grundfrage für «gute Hoffnung» sein; die Wortverbindung ist einzigartig im Neuen Testament – ähnliche Formulierungen finden sich Tit 2,13 («selige Hoffnung») oder 1 Petr 1,3 «lebendige Hoffnung »).

Was der Verfasser als bereits geschehen konstatieren kann, greift er nun im Blick auf die Adressatinnen und Adressaten erneut als Inhalt seines Bittgebetes auf: Gott, der so handelt, «tröste/ermutige euch …» (2,17). Darin sind Jesus Christus und Gott als Vater (die Reihenfolge der Nennung ist selten und daher beachtenswert) in Handlungseinheit engagiert. Gemäss der Intention des Verfassers soll durch sie «Kraft zu jedem guten Werk und Wort» gewährleistet werden (2,17). Der Akzent auf dem entsprechenden Handeln (Erstnennung) fällt auf. Er ist auch in anderen neutestamentlichen Schriften verankert (vgl. bes. Mt, Jak). Schon eingangs des Briefes hat der Verfasser das Feststehen der Angesprochenen in ihrer Glaubensüberzeugung trotz Verfolgung angesprochen und damit auf mehr als ein Lippenbekenntnis angespielt (vgl. 1,3–4). Auch das Vertrauen des Verfassers gegenüber den Adressatinnen und Adressaten, das er in der Folge äussert, bezieht sich auf ihr Handeln: «… dass ihr jetzt und auch in Zukunft tut, was wir anordnen» (3,3).

Vor dieser Weiterführung des Grundgedankens seiner Bitte für die Angesprochenen stellt sich der Verfasser jedoch selbst unter das fürbittende Gebet der fiktiven Gemeinde von Thessalonich (3,1–2). Die Sorge um seine eigene Tätigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, bezieht sich auf die Verkündigung der Botschaft über Jesus Christus und auf die Gefährdung seiner Person durch feindlich gesinnte Personen. Hier kommt wohl die Befindlichkeit des unbekannten Verfassers ebenso zum Zuge wie die an Paulus orientierte pseudepigrafische Fiktion. Die Behinderung der Verkündigung durch Verfolgung der Verkündigenden kennzeichnet die ersten christlichen Generationen, ohne auf diese beschränkt zu sein. Die Wechselseitigkeit im Gebet und in der Sorge füreinander, die zwischen dem Verfasser und der Gemeinde in 3,1 erkennbar wird, entspricht schon einem paulinischen Grundanliegen (vgl. 1 Thess 1,2–10). Grundlage dafür ist die gleiche Berufung, deren Realisierung in unterschiedliche Aufgaben und Dienste fliesst.

Aber die Grundstimmung des Textes wird nicht pessimistisch. Wie ein proklamierendes Bekenntnis klingt die Feststellung «Aber der Herr ist treu» (3,1; siehe den ähnlichen Satz «Gott ist treu» 1 Kor 1,9; 10,13; 2 Kor 1,18), mit welcher der Verfasser wiederum auf die Angesprochenen zugeht. In der ermutigenden Ermahnung (3,3–5) ist die Verflechtung von Gottes führender Gnade und eigenem Bemühen erkennbar: Die Adressatinnen und Adressaten müssen sich an die Weisung des (fiktiven) Apostels halten, um Liebe gegenüber Gott bemüht und in der Hoffnung beharrlich bleiben – dies alles aber unter dem Vorzeichen der bekräftigten Treue Gottes, der sie stärkt, vor Bösem bewahrt und ihre Gesinnung entsprechend disponiert.

2 Thess im jüdischen Kontext

Die Wendung «das Herz darauf richten» (3,5) kommt öfters in der Septuaginta vor (vgl. 1 Chr 29,18; 2 Chr 12,14; 19,3; Sir 49,39). Das Ziel der Ausrichtung des Herzens ist das Bewusstsein der Liebe Gottes, das Grundlage für die beharrliche Geduld auf sein noch ausstehendes Kommen sein kann (so 2,16; 3,5).

Auch die «Kräftigung» der Glaubenden (2 Thess 2,17; 3,3) besitzt als Handlungsweise Gottes gegenüber den Menschen einen umfangreichen Hintergrund in der jüdischen Tradition (siehe z. B . Ri 15,5.8; Sir 6,37; 22,16; Ps 26,14; 30,25; Jes 35,3; des weiteren 1 QH II 7; VII 6; PsSal 16,15).

Auch die Rede von der Ausbreitung des Wortes des Herrn (2 Thess 3,1) weist in ihrer Formulierung mit dem griechischen Verb trechein (laufen) jüdische Wurzeln auf, z. B . Ps 147,4 LXX. In der Formulierung seiner Bitte um Bewahrung vor bösen Menschen (3,2) greift der Verfasser mit dem Wort «wegreissen/herausreissen» (rhyomai) einen markanten Begriff auf, der Kol 1,13 im Erlösungskontext vorkommt und in der Jüdischen Bibel mehrfach das Herausreissen Israels aus der Sklaverei Ägyptens umschreibt.

Ein weiteres Beispiel für die Kontinuität zur jüdischen Tradition stellt der Hinweis auf die Treue Gottes dar (vgl. 2 Thess 3,3), die Gott in der Jüdischen Bibel immer wieder zugeschrieben wird (vgl. Dtn 7,9; 32,4; Jes 49,7; Ps 144,13 LXX).

Heute mit dem Verfasser des 2 Thess im Gespräch

Der komplexe Textabschnitt kann Einladung dazu sein, die eigene Haltung im Einfordern von Anordnungen bzw. gegenüber von Anordnungen zu überprüfen. Darüber hinaus – und im Fokus von 2 Thess 2,16–3,5 – bewegen bis in die Gegenwart die Liebe Gottes und der Trost/die Ermutigung Gottes, dem die Menschen nur im Glauben entsprechen können. Den Glauben zu leben, bleibt die Aufgabe des Menschen. Seine Frucht bildet dann das Gebet füreinander in der Gemeinschaft der Kirche als Pfeiler der Wirksamkeit der Verkündigung des Wortes des Herrn. Der Abschnitt ruft das gegenseitige Fürbittgebet in Erinnerung, das Christinnen und Christen ungeachtet ihres Platzes in der Kirche dazu ermutigen soll, in der Liebe zu Gott und in der beharrlichen Erwartung des Kommens Jesu Christi nicht nachzulassen.

 

Peter G. Kirchschläger

Peter G. Kirchschläger

PD Dr. theol. lic. phil. Peter G. Kirchschläger ist Visiting Fellow an der Yale University (USA) und Forschungsmitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.