Konzerne in der Verantwortung

Konzernverantwortungsinitiative

Verbindliche Spielregeln für Konzerne mahnt eine Initiative in der Schweiz an. Als Mitglied des Initiativkomitees informiert Anne-Marie Holenstein.

Die nicht mehr ganz Jungen erinnern sich: 1974 provozierten Berner Studenten mit der Broschüre «Nestlé tötet Babys» eine gerichtliche Klage des grössten Schweizer Nahrungsmittelkonzerns wegen Ehrverletzung. Obwohl Nestlé formal Recht bekam, trugen die Angeklagten einen moralischen Sieg davon. In seinem Plädoyer stellte der junge Rechtsanwalt Moritz Leuenberger 1976 fest: «Durch die Aktivitäten der grossen multinationalen Konzerne wurden rechtsfreie Räume geschaffen. Gewerkschaften, Konsumentenorganisationen, vor allem aber die staatlichen Instanzen sind alle national organisiert. Den internationalen Konzernen steht deshalb auf internationalem Niveau keine Gegenmacht gegenüber.»1

«Nestlé tötet Babys» war eine der ersten «name and shame»-Kampagnen, die schädliches Verhalten von Konzernen öffentlich anprangerten. In den 70er-Jahren wurden neben etablierten Vereinen und Parteien die Arbeitsgruppen Dritte Welt und die Erklärung von Bern (heute Public Eye) zu Initianten systemkritischer Kampagnen. Zu den Pionierinnen gehörten bereits 1972 auch die Frauenfelder Frauen, die mit ihrer Bananen- Aktion die Migros mit arbeits- und menschenrechtlichen Forderungen konfrontierten. Schlag auf Schlag folgten die Kaffee-Aktion Ujamaa und Jute statt Plastik.

1981 formulierte die Erklärung von Bern im Rahmen ihrer Kampagne mit Del-Monte-Ananas als Symbolobjekt die Forderung an die Grossverteiler, nur menschengerecht, umwelt- und gesundheitsgerecht produzierte Produkte zu verkaufen. Mehrere tausend Konsumentinnen unterstützten die Kampagne mit ihrer Unterschrift. Auf dieser Basis entwickelten Brot für alle, Caritas, Fastenopfer, HEKS, Helvetas und Swissaid das Fair-Trade-Label Max Havelaar. An ihre Rolle im Aufbau von Gegenmacht und Kontrollinstanzen gegenüber den Konzernen ist hier zu erinnern. Migros und Coop stiegen in den Fairen Handel ein.2

Freiwillig? Die internationale Debatte

In der globalisierten Welt sind Konzerne wichtige Player für die Gewährleistung der Menschenrechte. Deshalb lud UNO-Generalsekretär Kofi Annan 1999 am WEF in Davos die Konzerne zur Beteiligung am «Global Compact» ein. Der Pakt sollte Menschenrechte, Arbeitsrechte und international vereinbarte Umweltziele umfassen, die in 10 Geboten konkretisiert wurden. 15 Jahre nach dem Start hatten sich 8041 Unternehmen aus 156 Ländern angeschlossen, 53 davon in der Schweiz. Der Global Compact beruht auf Freiwilligkeit. Es gibt keine externen Kontrollen und keinen systematischen Wirkungsnachweis.3

Den Schritt zur Verbindlichkeit machten 2011 die «UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte». Sie verpflichteten die Staaten, von Unternehmen die Respektierung der Menschenrechte einzufordern. Für Transparenz sollen Sorgfaltsprüfungen und öffentliche Berichterstattung sorgen. Die Schweizer Regierung bekräftigte mehrmals, wie wichtig die «UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» auch als Massstab der Schweizer Konzerne seien. Die Wirtschaftslobby lehnt jedoch verbindliche gesetzliche Vorgaben ab und beharrt auf Freiwilligkeit im Rahmen der selber formulierten «Corporate Social Responsability».

Inzwischen belegen hochrangige wissenschaftliche Studien das Ungenügen des Selbstregulierungsprinzips.4 Die Dringlichkeit international und national verbindlicher menschen- und arbeitsrechtlicher Vorschriften hat beispielhaft die Brandkatastrophe in einer Textilfabrik in Bangladesch bewiesen, bei der im Frühjahr 2013 über 1100 Menschen ums Leben kamen. Die betroffenen Konzerne, unter ihnen H & M und Walmart, versprachen Entschädigungen, Investitionen für Sicherheit am Arbeitsplatz, höhere Löhne und Einhaltung gesetzlich festgelegter Arbeitszeit und Kontrolle über die Zielerreichung. Drei Jahre später waren die Arbeitsbedingungen weiterhin unmenschlich, Notausgänge fehlten…5 Das Prinzip der Freiwilligkeit hat den Realitätstest nicht bestanden.

Zeit reif für Konzernverantwortungsinitiative

In der globalisierten Welt führt kein Weg an rechtlich verbindlichen Vorgaben vorbei, die multinationale Konzerne verpflichten, öffentlich über die Achtung von Menschenrechten und Umwelt Bericht zu erstatten. Um dies durchzusetzen, braucht es national und international die Gegenmacht zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie sie Moritz Leuenberger bereits 1976 forderte.

In der Schweiz reichte 2012 eine breite Koalition von Nichtregierungsorganisationen die Petition «Recht ohne Grenzen» mit 135 000 Unterschriften ein. Sie verlangte von Bundesrat und Parlament Gesetze, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz weltweit Menschenrechte und Umwelt respektieren müssen. Die Petition blieb ohne direkten Erfolg, die offizielle Politik hielt an der Freiwilligkeit fest.

Darum lancierte eine Koalition mit über 80 Organisationen die Konzernverantwortungsinitiative6 mit der Forderung, den Schutz von Menschenrechten und Umwelt verbindlich in sämtliche Geschäftsabläufe auch im Ausland einzubauen. Die Sorgfaltsprüfungspflicht soll sich auch auf die Tochterfirmen erstrecken. Die Initiative wurde im Oktober 2016 mit 120 418 gültigen Unterschriften eingereicht. «Ein Konglomerat von Empörten und Hilfsbereiten» stehe dahinter, schrieb die NZZ in einem Kommentar. In Wirklichkeit gab es kaum je zuvor eine Initiative mit einer derart breit in der Bevölkerung verankerten Trägerschaft aus Hilfswerken, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Kreisen sowie Aktionärsvereinen. Die breite Akzeptanz in der Bevölkerung bestätigte auch eine Umfrage im Juli 2016, wonach 89 Prozent der Befragten das Anliegen der Initiative unterstützen.

Im Dezember 2016 erschien der lange erwartete Nationale Aktionsplan (NAP) des Bundesrates für Wirtschaft und Menschenrechte. Der Bundesrat erwartet, dass «in der Schweiz ansässige oder tätige Unternehmen (…) ihre menschenrechtliche Verantwortung gebührend wahrnehmen». Der NAP enthält aber keine einzige verbindliche Massnahme zur Umsetzung des Ziels. Die Konzernverantwortungsinitiative lehnt der Bundesrat ohne Gegenvorschlag ab. Sie wird wahrscheinlich in etwa 2 Jahren zur Abstimmung kommen. Damit bleibt die Schweiz hinter den Regierungen Frankreichs, Italiens und Deutschlands zurück, die mit gesetzlichen Vorschriften die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen.

Konzernverantwortungsinitiative als Chance

Ist die Initiative am Ende nicht ein verkapptes Unternehmen-Bashing wirtschaftsfeindlicher Grüppchen? Im Gegenteil: Sie will in der globalisierten Welt konstruktiv menschenfreundliches Wirtschaften fördern. Kluge Konzerne können die Arbeit an menschenrechtlichen Problemen nach dem Modell der Clean Clothes Campaign als Marktchance nutzen wie Migros und Coop im Textilsektor. Die gesetzliche Verbindlichkeit für sämtliche Geschäftsabläufe wird die Marke Schweiz als zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort stärken.

 

1 Erklärung von Bern, Dokumentation V/2004: Aktenzeichen Babynahrung ungelöst, 7.

2 2015 betrug der Umsatz mit Max-Havelaar-Produkten bei Migros 113,8 Mio., bei Coop 334 Mio. Fr.

3 Alliancesud stellte namens grosser Schweizer Hilfswerke fest: «Freiwillige Vereinbarungen sind kein Ersatz für eine verbindliche internationale Regelung des Verhaltens transnationaler Konzerne.» So Markus Mugglin: Konzerne unter Beobachtung. Zürich 2016, 157.

4 Michel Egger: Reguliert werden, um sich selbst besser zu regulieren. In: Global, alliancesud, Nummer 60, 12 ff.

5 Mugglin, 181.

6 www.konzern-initiative.ch

Anne-Marie Holenstein

Dr. phil., Dr. theol. h. c. Anne-Marie Holenstein studierte Germanistik und Romanistik und ist heute Publizistin und Fachfrau für Entwicklungszusammenarbeit. Sie leitete das Projekt der DEZA «Entwicklung und Religion».