«Ah, du bist Arbeiterseelsorger», sagen mir manchmal ältere Leute, die sich erinnern, dass früher Priester freigestellt wurden als Seelsorger für das Arbeitermilieu, als Präses von Kolping, zur Unterstützung der KAB oder auch als Betriebsseelsorger. Doch ein Arbeiterpriester ist etwas anderes: Da wird der Priester selber zum Arbeiter und verdient sich sein Brot in einem gewöhnlichen Beruf, teilt die Lebens- und Arbeitsbedingungen der einfachen Leute.
Aus der Not geboren
In Frankreich sind die Arbeiterpriester ein fester Bestandteil der katholischen Kirche. Ihre Geschichte begann im Zweiten Weltkrieg. Als tausende französischer Arbeiter zur Industrieproduktion nach Deutschland «verschoben» wurden, schickte die Kirche heimlich Priester mit, die als Arbeiter das Leben mit diesen Zwangsarbeitern teilten. Als die Priester nach dem Krieg zurückkamen, blieben viele von ihnen weiter an der Seite der Arbeiter und teilten ihr Leben in den grossen Industriebetrieben. Das bedeutete für sie auch, mit ihnen für ihre Rechte zu kämpfen angesichts der Übermacht des Kapitals. Deshalb wurden sie bald als Marxisten und Kommunisten verschrien und in Rom verklagt, was Papst Pius XII. veranlasste, die Arbeiterpriester zu verbieten. Ein grosser Teil beugte sich dem Verdikt, einige blieben. Gegen Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils hob Papst Paul VI. das Verbot auf. Dies führte zu einem grossen Aufschwung, sodass es in Frankreich bald über 700 Arbeiterpriester gab. Heute sind es noch einige hundert, die meisten in vorgerücktem Alter. Ein paar junge Arbeiterpriester sind in den letzten Jahren dazugestossen. Die französischen «prêtres ouvriers» leben nicht als Einzelgänger, sondern immer in einer «équipe» und sind regional und national vernetzt. Sie tragen Sorge zu ihrem speziellen Charisma, treffen sich zu gemeinsamen Weiterbildungen und Exerzitien. Die Feier der Eucharistie, meist am Sonntag in der Ortsgemeinde, ist und bleibt Kern und Bezugspunkt im Leben eines Arbeiterpriesters.
Das Leben kompromisslos teilen
Von den französischen «prêtres ouvriers» inspiriert, zogen auch deutsche Priester in die Fabriken. Ein erstes Treffen ist aus dem Jahr 1972 dokumentiert, als sich ein gutes halbes Dutzend von ihnen zusammenfanden. Seitdem gibt es einen Kreis, der sich jedoch nicht mehr Arbeiterpriester, sondern «Arbeitergeschwister» nennt, weil sich ihm nach einigen Jahren auch Laien, Ordensfrauen sowie reformierte Pastoren anschlossen. Heute ist es ein Kollektiv von rund 40 Leuten, darunter nur noch wenige Priester, die sich zweimal im Jahr zu einem Wochenende des Austausches, der Weiterbildung und der Feier der Gemeinschaft treffen. Sie haben sich entschieden, sich mit ihrem kirchlichen und theo- logischen Hintergrund in die Arbeitswelt zu begeben, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der kleinen Leute zu teilen und an ihren Kämpfen teilzunehmen. Oft landen sie so selber in prekären Arbeitsverhältnissen, bekommen nur noch schlecht bezahlte Teilzeitstellen, sind von Betriebsschliessungen betroffen und müssen ums Überleben kämpfen. Arbeiterpriester gibt es heute z. B. auch in Spanien, Italien, Belgien oder in England, wo sie sich «tentmakers» nennen, in Anlehnung an den Zeltmacher Paulus.
Und in der Schweiz?
Anfang der 1980er-Jahre gab es ein paar Einzelkämpfer in der Schweiz, die sich von den Arbeiterpriestern Frankreichs inspirieren liessen und ähnliche Wege suchten. Dem damaligen Regens des Priesterseminars in Luzern, Otto Moosbrugger, war es ein Anliegen, sie miteinander in Verbindung zu bringen. Seither gibt es auch einen schweizerischen «Arbeitergeschwister»-Kreis, der sich zweimal im Jahr trifft, rund ein Dutzend Frauen und Männer, drei davon sind Priester. In unserem «Seitenwechsel» finden wir uns bestätigt durch Papst Franziskus. Er sieht Mission nicht als Bekehrung, sondern als gelebte Solidarität mit den Armen und Benachteiligten, mit den an den Rand Gedrängten. Wie können diese Menschen etwas vom Reich Gottes erfahren? Wo sind sie, die ihnen durch eine verbindliche Weggemeinschaft die Erfahrung vermitteln, dass sie geliebt sind? Wäre das nicht auch eine Perspektive für junge Menschen heute, die nach einer stimmigen Form ihres kirchlichen Dienstes suchen?
Josef Moser