Konflikttransformation und Friedenskultur

Ein neues Weiterbildungsangebot der Uni Freiburg und Bienenberg

Die Menschheit muss zwischen Liebe und Hass wählen» – mit diesen Worten fassten 200 Vertreter verschiedener Religionen, die am 22. Januar 2002 in Assisi versammelt waren, ihre Schlusserklärung, adressiert an alle Staats- und Regierungschefs der Welt, zusammen. In Form eines Dekalogs gehalten, bekunden sie darin ihre Überzeugung, dass Gewalt und Terrorismus dem wahren religiösen Geist widersprechen. Sie wollen sich für die Ausrottung der Ursachen von Gewalt engagieren – ebenso für die Erziehung der Menschen im gegenseitigen Respekt ihrer Kulturen und Religionen, für die Förderung einer aufrichtigen und ehrlichen Kultur des Dialogs, die Gemeinsamkeiten sucht und Mauern überwindet, für das Recht eines jeden Menschen auf ein würdiges Leben, für das gegenseitige Verzeihen von Irrtümern, Fehlern und Vorurteilen und den Sieg über den Egoismus, den Hass und die Gewalt, für die Parteinahme zugunsten der Leidenden und Entrechteten, für die Verpflichtung der Regierenden der Völker und Staaten, alles nur Mögliche zu tun, damit auf nationaler wie internationaler Ebene eine solidarische Welt auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden aufgebaut wird. Und dennoch: Nach dieser Friedensprosa ist die Welt bekanntlich nicht friedlicher geworden – ebenso wenig wie nach den Friedensschriften der Humanisten im 16. oder der Pazifisten im 20. Jahrhundert.

Gewalt und Religion

Die Gewalt scheint in der Natur des Menschen zu liegen und ist auch eine Begleiterscheinung der Religionsgeschichte. Ja sogar eine Religion wie das Christentum, die uns zur Feindesliebe einlädt – nach dem italienischen Komiker Roberto Benigni die bewundernswerteste Einladung der Menschheitsgeschichte – hat z. B. mit der Verquickung von Mis-sion und Kolonialismus oder mit der Anmassung zur Ketzerbekämpfung eine Spur religiös begründeter Gewalt in der Geschichte hinterlassen. Die historische Anthropologie lehrt uns, dass wir in der Menschheitsgeschichte bis in die Gegenwart hinein die schlimmsten Formen der Gewalt wider den Nächsten finden, so dass der Mensch die einzige Spezies ist, die sich selbst auslöschen könnte – trotz der guten Vorsätze. Um nur ein Beispiel zu nennen: 1815 beschworen die Völker Europas im Manifest der Heiligen Allianz, «sich untereinander nur als Glieder einer und derselben Na-tion von Christen anzusehen» und ein friedliches Europa aufzubauen. Aber hundert Jahre später gingen sie beim Ersten Weltkrieg brutal aufeinander los, und auf allen Seiten hielten Vertreter der jeweiligen Kirchen feurige Kriegspredigten. Die Geschichte erscheint in der Tat wie eine «Höllenmaschine», um es mit Adornos «Minima Moralia» zu sagen.

Die historische Anthropologie verzeichnet aber auch eine Fortschrittsideologie. Demnach befindet sich die Menschheit in einem Zivilisationsprozess, der zur Zähmung oder Kontrolle der willkürlichen Gewalt führen werde: sei es durch das Gewaltmonopol des modernen Rechtsstaates oder durch die kulturelle Domestikation der tierischen Natur des Menschen. Vieles spricht aber dafür, dass die Natur des Menschen bei allen Zivilisationsschüben eine Strukturkonstante der Geschichte geblieben ist. Kant ahnte deshalb, dass der Fortschritt hin zur Idee der Menschheit «gerade an der Natur des Menschen scheitern könnte»: «aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden» – hielt der Königsberger Philosoph in seiner Schrift «Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht» fest.

Wir finden in der Forschung verschiedene Deutungsmuster von Gewalt, Aggression und Konflikt: naturalitische (Instinkt- und Triebtheorien, Befunde der Neurowissenschaften), nicht-naturalistische oder halb-naturalistische (Frustrations-Aggressions-Theo-rie, Theorie der strukturellen Gewalt), kulturalistische und lernpsychologische (für diese Theorien gibt es «keinen angeborenen Trieb und keine spezifischen Auslöser», die die Gewalt erzwingen, vielmehr sind die Bereitschaft zu Aggression und der Drang oder die bei einigen Menschen erkennbare Lust zur Aggression kulturell und sozial bedingt, d. h. sie werden gelernt); und schliesslich auch Deutungsmuster zwischen Naturalismus und Kulturalismus wie die mimetische Theorie René Girards, die als eine «Theorie des Konflikts» und dessen Überwindung verstanden wird.

Christliche Ethik, Vertrauen und Hoffnung

Allen Deutungsmustern zum Verstehen von Gewalt und Konflikt hat christliche Ethik mit Vertrauen in die Stimmigkeit des eigenen Narrativs der «conditio humama» zu begegnen, Konvergenzen suchend und Entschuldigungsmechanismen entlarvend: Im Allgemeinen kann man sagen, dass die naturalitischen Deutungsmuster mit ihren Entschuldigungsmecha

nismen darauf hinauslaufen, die menschliche Freiheit zu leugnen. Aus diesem Grund sind sie mit dem Grundnarrativ christlicher Ethik kaum kompatibel, während die kulturalistischen oder lerntheoretischen Ansätze anschlussfähiger wären. Christliche Ethik hat die Grunderkenntnis der philosophischen und historischen Anthropologie zu beachten, dass die Gewalt – gleich, ob wir es mit Heinrich Popitz im engen Sinne als eine «Machtaktion, die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt», verstehen, oder den von Johan Galtung eingeführten weiten Begriff der «strukturellen Gewalt» verwenden – nicht wie ein Blitz vom Himmel kommt, sondern «ein menschliches Phänomen» ist. Dabei hat christliche Ethik einzuklagen, dass der Mensch als sittliches Subjekt, das mit Verstand und freiem Willen ausgestattet ist, weder einem biologischen noch einem sozialen Determinismus bloss ausgeliefert ist. Auch angesichts der Befürchtung in mancher Konflikt- und Gewalttheorie, dass wir einer (selbstgemachten) Katastrophe zusteuern, braucht christliche Ethik Mut zum eigenen Narrativ. Während die Kulturpessimisten fürchten, dass wir dem Untergang geweiht sind, gehört zum christlichen Narrativ unverzichtbar die Hoffnung, dass im dramatischen Kampf der Geschichte das Lamm letztlich stärker als der Drache ist.

Konstruktiver Umgang mit Gewalt

Vor diesem Hintergrund ist ein konstruktiver Umgang mit Gewalt und Konflikten im Horizont einer Kultur des Friedens eine dringende Aufgabe. Aus diesem Grund bieten die Theologische Fakultät Freiburg und das Theologische Seminar Bienenberg den Fortbildungskurs «Konflikttransformation und Friedenskultur» (Certificate of Advanced Studies) an, in dem es einerseits darum geht, theoretische und praktische Ansätze kennenzulernen, um mit Konflikten umzugehen, andererseits aber auch darum, die grösseren gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse zu erfassen und zu verstehen.

Ein besonderer Akzent liegt darauf, friedenswirksame Ansätze auch im Rahmen einer theologischen Friedensethik zu begründen und zu entfalten. Wie leitet die biblische Botschaft Menschen darin an, eine «Kultur des Friedens» und der Gewaltlosigkeit zu prägen? Darin liegt ein enormes friedensförderndes Potenzial, das nicht nur die Transformation von entstandenen Konflikten im Blick hat, sondern auch präventiv und restaurativ wirkt durch Ausbildung einer konstruktiven Konfliktfähigkeit. Das Thema wird mit Hilfe psychologischer, soziologischer und theologischer Erkenntnisse der Konflikt- und Friedensforschung dargestellt und eingeübt. Es verbindet das theologische und methodische Arbeiten mit persönlicher und praxisorientierter Kompetenzentwicklung.

Das CAS richtet sich insbesondere an Menschen mit im weitesten Sinne Führungsverantwortung in Kirche, Organisationen (NGOs z. B.) und Unternehmen (Pfarr- und Lehrpersonen, Personen mit Personalverantwortung, Verantwortliche für Gruppen), die den Wunsch haben, in konflikthaften Situationen vermehrt konfliktfest und friedensfördernd zu handeln. Das Fortbildungsprogramm ist ökumenisch ausgerichtet.

Das Theologische Seminar Bienenberg ist in der täuferisch-mennonitischen Kirche beheimatet, die zu den «Historischen Friedenskirchen» gehört. Als solche gelten zunächst jene protestantischen Freikirchen, die Gewaltfreiheit als ein Merkmal ihrer ekklesialen Identität nennen; «historisch», weil es sich hierbei um kirchliche Traditionen handelt, deren Wurzeln weit in die Kirchengeschichte zurückreichen: die Mennoniten (älteste evangelische Freikirche, hervorgegangen aus der Täuferbewegung der Reformation im 16. Jhdt.) und die «Church of the Brethren» (hervorgegangen aus dem Pietismus des 18. Jhdts.), sowie die Gesellschaft der Freunde (auch «Quäker» genannt, hervorgegangen aus dem englischen Puritanismus im 17. Jhdt.). Friedenstheologie und Friedensarbeit, die der Gewaltfreiheit verpflichtet sind, sind in diesen Traditionen wesensmässiges Element einer theologischen Ethik und wirken zugleich als «regulatives Prinzip» allen theologischen Nachdenkens. Die enge Verschränkung von Theologie und Ethik prägt die christliche Werteorientierung und Lebenspraxis (Nachfolge Jesu) einer sichtbaren Kirche. Dementsprechend sind diakonisches Handeln und Friedensarbeit dem Anliegen der Gerechtigkeit und der Versöhnung verpflichtet. Mennoniten bringen ihr theologisches Denken und friedenskirchliches Zeugnis in die ökumenische Bewegung ein und haben auf akademischer, praktischer und institutioneller Ebene Beiträge geleistet zu Visionen, Konzepten, Initiativen oder Kampagnen wie beispielsweise dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung, «Restorative Justice», «Christian Peace Maker Teams», Mediation, «Dekade zur Überwindung von Gewalt: Kirchen für Versöhnung und Frieden» (2001–2010) des ÖRK.

Ebenso hat die katholische Kirche spätestens seit der Enzyklika «Pacem in terris» (1963) Papst Johannes’ XXIII. und der Pastoralkonstitution «Gau-dium et spes» (1965) des Zweiten Vatikanischen Konzils ihr friedensethisches Nachdenken und Engagement vertieft – und mit der Initiative zu den Weltgebetstreffen von Assisi (erstmals am 27. Oktober 1986) hat sie auch gezeigt, dass sie als grösste christliche Kirche sich ihrer Verantwortung im Dienste des interreligiösen Dialogs und des Friedens in der heutigen Welt sehr bewusst ist. So sind der interreligiöse Dialog, die Konflikt- und Friedensethik zu einem wichtigen Forschungsschwerpunkt heutiger katholischer Theologie geworden, der an der Theologischen Fakultät Freiburg besonders gepflegt wird.

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Programm

http://www.unifr.ch/theo/de/studium/studienangebot/weiterbildung

http://www.friedenskultur.info/

Kontakt

 

Mariano Delgado / Marcus Weiand

DDr. Mariano Delgado ist Ordentlicher Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Freiburg und dort auch Direktor des Instituts für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog; er ist ausserdem Präsident der Vereinigung für Schweizerische Kirchen-geschichte.

Dr. Marcus Weiand ist Theologe am Theologischen Seminar Bienenberg in Liestal (BL).