Kirche, Kultur und Wissenschaft

Am Sonntag, 24. Juli 2016, wurde Metropolit Hilarion Alfeyev, Leiter der Abteilung für kirchliche Aussenbeziehungen des Moskauer Patriarchats und Rektor der Aspirantura und Doktorantura, einer höheren theologischen Ausbildungsstätte am Moskauer Patriarchat, 50 Jahre alt. Eine Delegation des Instituts für Ökumenische Studien der Universität Freiburg, Schweiz, war zu den dreitägigen Feierlichkeiten eingeladen.

Metropolit Hilarion habilitierte sich 2005 an der Theologischen Fakultät in Freiburg und erhielt die Venia legendi für das Fach Dogmatik. Die Fakultät ernannte ihn zum Titularprofessor. Diese Qualifikation trägt nun dazu bei, dass die Aspirantura das Akkreditationsverfahren bei den staatlichen russischen Behörden einleiten konnte. Das Fach «Theologie» ist inzwischen offiziell als Wissenschaftsdisziplin anerkannt. Die Geburtstagsfeierlichkeiten fanden unter breiter öffentlicher Beteiligung statt und zeigten den Dreiklang von kirchlichem Dienst, kultureller Kreativität und wissenschaftlicher Arbeit, der das Profil des Metropoliten kennzeichnet.

Kirche: «Alles in meinem Leben verdanke ich der Kirche …»

So ist das Interview überschrieben, das Metropolit Hilarion anlässlich seines Geburtstags für die Website «Pravoslavie i mir» (Orthodoxie und Welt) gab. Auch in seiner hohen kirchlichen Verantwortung ist der Metropolit der Vorsteher einer Gemeinde in der Moskauer Innenstadt geblieben (Kirche der Ikone der Gottesmutter «Freude aller Betrübten») und feierte dort gemeinsam mit Patriarch Kyrill an seinem Geburtstag die Liturgie. Die Anteilnahme und der warme Empfang durch Gemeinde und Klerus zeigten, dass er dort kein fremder Gast geblieben ist, sondern seit 2009 als «Pastor» der Gemeinde wahrgenommen wird. Es wundert nicht, dass in der Kirche des Musikers und Komponisten Hilarion der vielleicht beste Chor Moskaus singt.

Bei den Feierlichkeiten fand Patriarch Kyrill warme Worte für einen seiner engsten Mitarbeiter, dessen Gaben er lobte und auf dessen Unterstützung er auch künftig zählen will. Klar erkennbar sind beide Hierarchen nicht nur dienstlich, sondern auch freundschaftlich verbunden. P. Hyacinthe Destivelle o. p., Mitarbeiter im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, überbrachte mit einem frei gehaltenen russischen Grusswort warme Glückwünsche und Geschenke von Papst Franziskus und Kardinal Kurt Koch. Die engen Beziehungen aus der Zusammenarbeit zur Vorbereitung der Begegnung zwischen Papst und Patriarch auf Kuba sind weiterhin spürbar und tragen Früchte.

Kultur: eine Metropole mit Lebensqualität

Im Stadtzentrum von Moskau sind deutliche Wandlungen wahrzunehmen: Der aggressive Ökonomismus ist zurückgetreten. Der neue Bürgermeister von Moskau, Sergei Semjonowitsch Sobjanin, bemüht sich um eine bürgerfreundliche städtebauliche Entwicklung. Moskau ist eine Stadt mit wachsender Lebensqualität geworden, in der die Kluft zwischen Arm und Reich sich abzuschwächen beginnt.

«Die nächste Generation wird in Oxford studieren …»

In einem Interview mit Patriarch Kyrill berichtet er von seinem Wunsch als junger Student, seine Ausbildung im Ausland fortzusetzen. Damals antwortete ihm Metropolit Nikodim: «Die nächste Generation wird in Oxford studieren, doch deine Generation muss arbeiten.» Diese prophetischen Worte haben sich unter anderem in Metropolit Hilarion erfüllt, der in Oxford sein erstes Doktorat abschloss, in Paris ein weiteres theologisches Doktorat erwarb und in Freiburg, Schweiz, habilitierte.

Seine beeindruckende Reihe von Publikationen hat ihn schliesslich zum Werk über Jesus Christus geführt, dessen erster von sechs geplanten Bänden («Die Anfänge des Evangeliums», bereits 800 Seiten!) gleichsam das Geburtstagsgeschenk des Metropoliten an sein Publikum darstellt. Die Inspiration durch den dreibändigen Zyklus von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI über «Jesus von Nazareth» verleugnet er nicht. Und doch hat das Buch auch ganz eigene Wurzeln in seiner persönlichen Entwicklung. In einer öffentlichen Veranstaltung in der Aspirantura wurde das Buch präsentiert. Es beruht auf umfangreichen Studien westlicher exegetischer Literatur. Ganze Kisten voll wurden allein aus Fribourg dem Metropoliten übergeben. Die Kritik am Westen ist durchaus scharf: Die Person des Erlösers trete dort zurück hinter Texten, die als historische Produkte menschlichen Schaffens betrachtet und analysiert werden. Demgegenüber hält der Metropolit einen doppelten Schlüssel zur Person Jesu Christi für unverzichtbar: sein authentisches historisches Menschsein – und das glaubende Bekenntnis zum wahren Gott und Erlöser. Die wahre Bedeutung des Buches wird in der Frage einer Interviewerin deutlich: «Wir wissen, wie man irgendein Gebet liest, wie man in der Beichte spricht, doch Christus vermissen wir sehr im täglichen christlichen Leben ...»

 


Barbara Hallensleben

Prof. Dr. Barbara Hallensleben (Jg. 1957) ist Professorin der Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und Direktorin des Zentrums für das Studium der Ostkirchen.