Kirche in Kenia begegnen

Ein glücklicher Zufall: Papst Franziskus besuchte bereits zum dritten Mal in Folge die Gastkirche für den Monat der Weltmission. Nach den Philippinen und Bolivien steht in diesem Jahr Kenia im Zentrum des Weltmissionsmonats. Damit sind auch die drei Kontinente «abgedeckt», in denen Missio besonders tätig ist und in einem Dreijahreszyklus eine Kirche als Gastkirche vorstellt: Asien und Ozeanien, Lateinamerika und Afrika.

Papst Franziskus versteht es, auf seinen Reisen durch seine bekannt bildhafte Sprache besondere Akzente zu setzen und die Botschaft eines barmherzigen Gottes verständlich und greifbar zu machen. Er scheut es nicht, in gefährliche Länder zu reisen und an die «Ränder» zu gehen, wie z. B. die Besuche des Flüchtlingslagers Saint-Sauveur bei Bangui in der Zentralafrikanischen Republik oder des Gefängnisses Palmasola in Santa Cruz, Bolivien, eindrücklich zeigen.

Dass dem Papst diese Nähe zu den Menschen an den «Rändern» ein Herzensanliegen ist, zeigt eine kleine Anekdote: Beim Ad-Limina-Besuch der Kenianischen Bischofskonferenz im April 2015 überreichte Bischof Virgilio Pante, Bischof unter den Nomaden Nordkenias und «Hirte unter den Hirten» – wie er selber sagt –, dem Papst eine Mitra aus Ziegenhaut. Papst Franziskus hielt auch gleich seine Nase an die ungewöhnliche Kopfbedeckung, um sich von der Echtheit zu überzeugen. Das geflügelte Wort des Papstes, dass die Priester und Bischöfe den «Geruch der Schafe» annehmen sollen, also ganz bei ihnen und mit ihnen zu sein, hat Bischof Pante wörtlich genommen.1 Und diese Mitra trug Franziskus während der Messe in Nairobi! Die Bilder davon machten sofort die Runde in den sozialen Medien Kenias und weit darüber hinaus. Papst Franziskus ist es mit dem «Geruch der Schafe» also ernst.

Missio und der «Geruch der Schafe»

Wie dem Papst liegt auch Missio der «Geruch der Schafe» am Herzen. Auf seinen Pastoralreisen stärkt und ermutigt Franziskus die Menschen vor Ort, legt den Finger auf wunde Stellen und sucht die Nähe der Menschen. Missio nimmt diese pastorale Stossrichtung auf und macht den Transfer des «Stallgeruchs» in die heimische Kirche. Nun sind das nicht unbedingt ziegenlederne Mitren, sondern Erfahrungen der Weltkirche, von denen wir lernen können und die auch uns hier in der Kirche Schweiz guttun.

In diesem Jahr sind es die Begegnungen mit der Kirche in Kenia, die den Monat der Weltmission prägen. Das Leitwort «Da, wo du bist, ist Leben für alle» erinnert an den Abschnitt im Johannesevangelium (Joh 10,10), dass unter der Führung des guten Hirten die «Schafe das Leben in Fülle» haben sollen.

Exponenten der Begegnungen in Kenia waren sehr verschiedene Personen. Da ist zunächst der schon oben erwähnte Bischof Virgilio Pante, ein Consolata-Missionar aus Norditalien. In seinem erst 2001 gegründeten Bistum ist das Christentum gerade mal 50 Jahre alt. Eine Viertelmillion Menschen leben auf einer Fläche von 200 000 km2; 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung gehören der katholischen Kirche an. Angesichts der riesigen Dimensionen seines Bistums ist er oft mit dem Motorrad unterwegs. Andere Verkehrsmittel sind kaum tauglich.

Bischof Pante als Friedensstifter

Er versteht es nicht nur, die pontifikale Paramenten-Kammer schmunzelnd zu erweitern, sondern auch Frieden zu stiften: Als «Ausländer» in Maralal gehört er keiner der dort heimischen Ethnien an; er ist eine «neutrale» Person. Das hat den Vorteil, bei Streitigkeiten und Zwisten im labilen Verhältnis der verschiedenen Ethnien vermitteln zu können. Denn Bischof Pante muss nicht die Interessen einer Gruppe vertreten und kann auch nicht mit einer Ethnie identifiziert werden. So sieht er die Friedensbildung als ein wichtiges Thema in seinem Episkopat. Sein Bischofswappen trägt deshalb auch das Lamm, das neben dem Löwen ruht: eine Anspielung auf den Tierfrieden beim Propheten Jesaja 11,6. In einer grossen Aktion für den Frieden hat er in allen Pfarreien Olivenbäume gepflanzt. Die Bäume haben nicht überall überlebt. «Der Frieden braucht halt viel Pflege», meint er.

Die Gläubigen gestalten Kirche

Nicht nur seine Diözese ist jung, sondern auch das Christentum ist erst vor kurzem heimisch geworden. Trotzdem sagen die Menschen «Wir sind Kirche» und «Ich bin Kirche». Das ist erstaunlich, denn es gibt nur ganz wenig kirchliches Personal. Die Gläubigen haben es verstanden, dass es an ihnen liegt, die Kirche lebendig zu gestalten. Nicht immer war das so, denn zu Beginn waren die Missionarinnen und Missionare vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich tätig. So entstand eine Mentalität der Abhängigkeit. Das ändert sich nun langsam, denn auch die Verantwortungsträger und -trägerinnen in der Kirche haben dazugelernt. Diese Erfahrung aus dem Bistum Maralal, dass das Wort Gottes von sich aus Kraft hat, Menschen zu verändern und zu befähigen, den Glauben zu leben und weiter zu geben, kann uns hier in der Schweiz entlasten, wenn wir meinen, das Gelingen der Seelsorge würde nur vom Engagement der Hauptamtlichen abhängen. Und kann es nicht auch der «Fremde», der «Ausländer» sein, der dazu die Impulse gibt?

Frauen in Gesellschaft und Kirche

Nicht nur in Kenia sind es immer wieder Frauen, die eine Vorreiterinnenrolle übernehmen, wenn es um Veränderungen geht. Sie ergreifen die Initiative, die hergebrachten Traditionen mit kritischen Augen anzuschauen und Schritt für Schritt zu ändern. Das war und ist freilich nicht von einem Tag auf den anderen möglich. Basis für Veränderungen sind die Schulen und die Aus- und Weiterbildungsangebote, die von der katholischen Kirche getragen werden. War die Schule lange Zeit den Buben vorbehalten, so können jetzt unterschiedslos Buben und Mädchen die Schulbank drücken. Hand in Hand mit der intellektuellen Bildung geht die Vertiefung des Glaubens. Frauen aus verschiedenen Ethnien, die das kirchliche Weiterbildungsangebot in Maralal besuchen, berichten in einem Interview, wie ihnen der gemeinsame Glaube helfe, die Grenzen zwischen den Ethnien zu überwinden. «Wir sind viele aus unterschiedlichen Gemeinschaften, doch im Moment, wenn wir zur Kirche kommen, werden wir eins. Wir lassen unsere Unterschiede zu Hause.» Hier macht der gemeinsame Glaube aus Feindinnen Freundinnen!

Dank dem Bildungsangebot können die Frauen das tun, was ihnen in der traditionell-ländlichen Gesellschaft sonst kaum möglich wäre: Sie können das Wort Gottes lesen, und in der Kirche haben sie die Möglichkeit und Freiheit, jede Gruppe zu leiten. In unseren Ohren mag dies nicht besonders revolutionär klingen, für die Frauen in Kenia ist dies aber ein sehr grosser Schritt, weil ihnen hier Raum gegeben wird, um ihre Talente, Fähigkeiten und Charismen zu entfalten. Ihnen wird Verantwortung übertragen und Partizipation ermöglicht.

Missio und der Weltmissionsmonat

Wie der Papst versucht Missio, den «Geruch der Schafe» in aller Welt kennen zu lernen und ihn weiter zu vermitteln. Deshalb wird im Monat Oktober eine Gastkirche vorgestellt, mit der wir uns besonders verbinden möchten. Möglichkeiten dazu gibt es mit dem Gebet im Missionsmonat, das in Kenia geschrieben wurde und hier wie dort im Oktober gebetet wird. Oder mit den Liedern für die Liturgie, die zwar nicht den Duft, wohl aber den Klang Afrikas zu uns bringen können. Der Papst stärkt die Christinnen und Christen durch seine Besuche – wir können es mit einem Grusswort machen. Und wir können unsere Verbundenheit durch das solidarische Teilen unserer materiellen Güter ausdrücken, damit «Leben für alle» möglich wird.

1 «Seid Hirten mit dem Geruch der Schafe, anwesend inmitten eures Volkes wie Jesus, der Gute Hirte. Eure Anwesenheit ist nicht zweitrangig, sie ist unerlässlich. Die Anwesenheit! Das Volk selbst bittet darum, denn es will sehen, dass der eigene Bischof mit ihm geht, ihm nahe ist. Es braucht das, um zu leben und um zu atmen! Verschliesst euch nicht! Geht mitten unter eure Gläubigen, auch in den Randgebieten eurer Diözese und in all den ‹existenziellen Randgebieten›, wo es Leid, Einsamkeit und menschlichen Niedergang gibt»: So Papst Franziskus am 19. September 2013 in seiner Ansprache an die neu ernannten Bischöfe. https://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2013/september/documents/papa-francesco_20130919_convegno-nuovi-vescovi.html

Zum ersten Mal verwendete Papst Franziskus das Bild vom «Geruch der Schafe» in der Chrisammesse am 23. März 2013, indem er sich an die Priester richtete: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130328_messa-crismale.html

Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann ist zuständig für die PR Bereich Weltkirche bei Missio, dem internationalen Missionswerk in Freiburg.