Kirche als komplexe Wirklichkeit

Der Zugang zum Thema Management fällt den Leitungspersonen im kirchlichen Dienst unterschiedlich leicht. Im folgenden Beitrag wird deshalb auf die Schrift von Dietrich von der Oelsnitz «Management - Geschichte, Aufgaben, Beruf» hingewiesen, die das Verständnis dafür fördern soll. Der folgende Text mag als Rahmen dazu dienen.

Kirche-Welt-Verhältnis

Art. 8 der dogmatischen Konstitution über die Kirche «Lumen gentium» erklärt: «Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft» seien «nicht als zwei verschiedene Grössen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst ». Analog stellt etwa im bekannten Gleichnis der Samariter das geistliche und der Wirt das unternehmerische Element dar. Nur durch ihr gemeinsames Engagement wird der unter die Räuber geratene Mann geheilt. Auf diesem Hintergrund ist ein weiteres Konzilsdokument zu sehen. Art. 62 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute «Gaudium et spes» hält fest: «In der Seelsorge sollen nicht nur die theologischen Prinzipien, sondern auch die Ergebnisse der profanen Wissenschaften (...) wirklich beachtet und angewendet werden.» Der Kommentator vermerkt dazu, eine Theologie, die keinen Kontakt mit den profanen Wissenschaften halte, verliere schliesslich ihre Lebendigkeit; zu diesen Disziplinen gehört auch die Betriebswissenschaft.

Zum betrieblichen Charakter der Kirche

Die Erfüllung des unsichtbar-geistlichen Auftrages der Kirche ist auf eine sichtbar-menschliche Institution angewiesen, aus der sich die Bedeutung der Betriebswirtschaftslehre (BWL) für die Kirche ableitet. Normative Grundlage ist und bleibt die christliche Botschaft. Die betriebliche Dimension verhilft der Kirche, ihren Auftrag möglichst wirksam zu erfüllen; daraus leitet sich die Bedeutung der BWL für die Kirche ab. Ein eigenständiges Kirchenmanagement fehlt allerdings noch weitgehend. Der Hauptgrund dafür mag sich aus der skizzierten komplexen Wirklichkeit ergeben mit den damit verbundenen Spannungen zwischen Kirche und Welt, zwischen Spiritualität und Management. Überdies ist zu bedenken, dass die Managementlehre zu den jungen Wissenschaften zählt. An Belegen für die sich daraus ergebenden Probleme für die Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst fehlt es nicht. «Ein Pfarrer oder eine Gemeindeleiterin, die vor lauter Manageraufgaben kaum mehr Zeit haben für die Seelsorge – das kann es doch nicht sein» (Luzerner Synodalrätin Simone Rüd, in: Luzerner Kirchenschiff 07/2010, 3). «Heute sind nicht wenige Priester ausgelaugt, überfordert und leiden unter den vielen Verwaltungsaufgaben» (Felix Gmür, Bischof der Diözese Basel, im Gespräch mit Josef Bossart, in Kipa-Woche Nr. 48 in: SKZ 178 [2012], 818). In der gleichen Ausgabe betont Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, dass angesichts der erheblichen Schwierigkeiten mit dem kirchlichen Management Verwaltungsaufgaben fachkundige Laien übernehmen sollten (819).

Quo vadis, Kirchenmanagement?

Wenn es um Fragen der Managementlehre und -praxis geht, führt kein Weg an meinem Lehrer Hans Ulrich, dem Begründer des St. Galler Management- Modells, vorbei. Ihm kommt das Verdienst zu, «die Voraussetzungen für die umfassende ganzheitliche und interdisziplinäre Ausbildung von Führungskräften für alle gesellschaftlichen Bereiche» geschaffen zu haben (Systemorientiertes Management – Das Werk von Hans Ulrich – Studienausgabe. [Verlag Paul Haupt] Bern-Stuttgart-Wien 2001, 7). Management bedeutet für ihn Gestalten und Lenken von Institutionen, ist die notwendige Kraft überall, wo es um arbeitsteiliges Zusammenwirken von Menschen geht, und zwar nicht nur in Wirtschaft und Verwaltung, beim Militär und in der Schule, sondern ausdrücklich auch in der Kirche (ebd., 243); dazu aus der bereits beträchtlichen Literatur lediglich folgende Hinweise:

– Pastoraler Orientierungsrahmen Luzern (St. Gallen 1998): Zu den Herausforderungen der nächsten Jahre in Kapitel III trägt der Abschnitt 2 den Titel «Vernetzung der kirchlichen Strukturen – Ziel-, effizienz- und ergebnisorientierte Führung». Darin wird der Aufbau eines kohärenten, möglichst vollständigen Zielsetzungs-, Planungs- und Kontrollsystems gefordert (26).

– Xaver Pfister kommentiert die Ökumenische Basler Kirchenstudie (Hrsg. Manfred Bruhn, Basel 1999) wie folgt (in: SKZ 167 [1999], Nr. 48, 670.672–676, hier 672): «Die aktuelle Entwicklung zwingt uns dazu, Organisation und Arbeitsinstrumentarien gründlich zu überprüfen, wenn uns daran liegt, die Aufgabe der Kirche auch in veränderter Situation treu zu erfüllen (...). Kirchenmarketing hat nicht das Ziel, die Botschaft, der die Kirche verpflichtet ist und die nicht in ihrer Verfü-gungsgewalt liegt, zu korrigieren und zu verändern (...). Es will die Erfahrungen und Erkenntnisse des Marketings für die spezifischen Anliegen der Kirche nutzbar machen. »

– Abschliessend sei auf die eingangs erwähnte Publikation kurz eingegangen, die das Thema Management anschaulich und kenntnisreich beschreibt: Dietrich von der Oelsnitz: Management – Geschichte, Aufgaben, Beruf (Verlag C.H. Beck), München 2009, 128 Seiten: Mir ist keine Publikation bekannt, die auf so knappem Raum in handlichem Taschenbuchformat einen umfassenden Überblick über eine derart schwierige Thematik vermittelt und damit den Zugang zu einzelnen Teilaspekten ermöglicht. Auf die Frage, seit wann es «Management» gebe, antwortet der Verfasser, dass die Römer ihren Standortnachteil im Landesinnern gegenüber den konkurrierenden Karthagern in erster Linie durch ihren hohen Stand an Wissenschaft und Ausbildung wettmachen konnten. Für die sagenhaften Strassen und Viadukte waren Managementfähigkeiten letztlich ebenso unverzichtbar wie später für die Inka im 15. Jahrhundert. Im Unterschied zur heutigen Wirtschaftselite wurden «die managementähnlichen Leistungen früher jedoch eher in einem militärischen, politischen oder kirchlichen Kontext erbracht» (10). Was die Managerethik betrifft, ist für den Autor die Grenze dort erreicht, wo zugunsten kurzfristiger partikularer Profite der Mensch auf Arbeit und Konsum reduziert und die Natur schlicht zum Material degradiert wird (vgl. ebd., 107). In diesem Zusammenhang verweist der Autor auf die Enzyklika «Quadragesimo Anno» von Papst Pius XI. und auf die Bergpredigt als soziale Programme. Auch die neutrale Betriebswirtschaftslehre beschäftigt sich mit der Frage, wie Manager gewinnorientiert und gleichzeitig sozial handeln können. «Eine Speerspitze dieser Bewegung ist das alljährliche Treffen von massgeblichen Führern aus Wirtschaft und Politik im schweizerischen Davos» (110). In diesem Zusammenhang wird ferner auf die «Grenzen des Wachstums» des «Club of Rome» verwiesen. Beizufügen wäre allerdings, dass solche Manifeste ohne konkrete Kontrollmechanismen die erwünschte Wirkung kaum erzielen. Zusammenfassend sei festgehalten, dass dieses kleine Kompendium leicht lesbar ist, allfällige Barrieren abbaut, Zusammenhänge aufzeigt und damit das noch fehlende Verständnis für ein auch für den kirchlichen Dienst wichtiges Fachgebiet zu fördern vermag. Sofern dies gelingt, dürfte sich eine vertiefende Lektüre sowohl für die Leitungsorgane wie auch auf die Zusammenarbeit zwischen haupt- und ehrenamtlichen Personen und Gremien «gewinnbringend » auswirken.

 


 

Dr. Pius Bischofberger studierte an den Universitäten Pittsburgh (USA) und St. Gallen und doktorierte über die Durchsetzung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in der öffentlichen Verwaltung. Er war beruflich auf Bundes- und Kantonsebene und in der Beratung kirchlicher Institutionen tätig und publizierte zu Managementfragen in der Kirche (die letzte Veröffentlichung, gemeinsam mit Manfred Belok: Kirche als pastorales Unternehmen – Anstösse für die kirchliche Praxis [Zürich 2008]).

Pius Bischofberger

Pius Bischofberger

Dr. Pius Bischofberger studierte an den Universitäten Pittsburgh (USA) und St. Gallen und doktorierte über die Durchsetzung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse in der öffentlichen Verwaltung. Er war beruflich auf Bundes- und Kantonsebene und in der Beratung kirchlicher Institutionen tätig und publizierte zu Managementfragen in der Kirche (die letzte Veröffentlichung, gemeinsam mit Manfred Belok: Kirche als pastorales Unternehmen – Anstösse für die kirchliche Praxis. Zürich 2008)