Katechese als Echolot - Interview mit Monika Jakobs und Stephan Leimgruber

Stärke, eine der 7 Gaben des Geistes

Dieses Interview erscheint exklusiv online als Ergänzung zum Themenschwerpunkt der SKZ Nr. 35/2017

Katechese ist die Hinführung auf den Weg des Glaubens. Bis daraus ein persönlicher Glaubensweg wird, wirken soziale, kulturelle und religionsspezifische Faktoren auf jeden dieser Wege. SKZ-Redaktor Stephan Schmid-Keiser befragte Monika Jakobs und Stephan Leimgruber zu ihren Sichtweisen auf die Katechese.

 

Was bedeutet Katechese vom Ursprung her – und welchen Bedingungen muss sie entsprechen?

M. Jakobs:

Katechese bezeichnet von der Definition her die systematische Einführung in kirchliche Glaubensvollzüge gegenüber informellen, wie z.B. der Sozialisation in der Familie. Katechese ist stets im Wandel: Bei den ersten Christengenerationen handelte es sich um erwachsene Menschen, die zum Christentum konvertierten. Mit dem Siegeszug der Kindertaufe verbindet sich die Katechese mit dem allgemeinen Bildungsprozess von Kindern und Jugendlichen. Heute bilden Bedeutungsverlust von Kirche, religiöse Pluralität und Individualisierung des Glaubens den Rahmen. Auf diesen Wandel muss Katechese reagieren.

S. Leimgruber:

Der Kirchenvater Tertullian hat treffend erläutert, was es mit der Katechese auf sich hat, als er formulierte: «Christianus non nascitur, sed fit». Das bedeutet, dass die Menschen nicht als Christen geboren werden, sondern es im Laufe ihres Lebens erst werden können: Katechese meint den vielschichtigen, gestuften Prozess des Christwerdens oder Christseinlernens. Auf vielerlei Weise können Menschen sich schenken lassen und lernen, was ein christliches Leben ausmacht. Dazu müssen sie Grundeinstellungen des Vertrauens aufbauen, sich Tugenden der Nächstenliebe aneignen, im Gebet die Seele zu Gott erheben und das Leben insgesamt vom dreifaltigen Gott her verstehen. Zur Katechese gehören heute Formen der Einübung des christlichen Lebens, etwa bei der Vorbereitung auf die Sakramente.

Gibt es Sichtweisen auf die Katechese, denen Sie nicht zustimmen können? Aus welchem Grund?

S. Leimgruber:

Ich stimme Reduktionen der Katechese auf einzelne Aspekte (nur Lehre, nur vergnügliche Katechese-Stunden oder nur Liturgie) nicht zu. Das wäre für mich eine Verfälschung der Katechese. Katechese verstanden als Indoktrination bzw. Ideologisierung ist heute unzulässig. Denn Christus hat die Glaubenden zur Freiheit berufen. Christinnen und Christen sollen lernen, ihr Leben aus dem Glauben frei und verantwortlich zu gestalten, den Dekalog in seiner Menschenfreundlichkeit wahrnehmen bzw. die Gottesliebe in der Nächstenliebe konkret werden zu lassen. Liturgie, Martyrie (Zeugnis) und Diakonie bilden ein Ganzes, das zur Katechese gehört. Es sind drei zentrale Dimensionen der Katechese.

M. Jakobs:

Katechese ist niemals mit dem Einfüllen vorgegebener Glaubenswahrheiten in ein leeres Gefäss zu vergleichen. Das Hineinwachsen in den Glauben ist ein aktiver Prozess. Jeder Mensch bringt sich selbst mit ein und ist eingeladen, die Glaubenstradition für sich selbst zu entdecken und fruchtbar zu machen. Im Leitbild «Katechese im Kulturwandel» ist dies in Leitsatz 3 unter «Subjektorientierung» festgehalten.

Welche Klärungen wünschten Sie sich im Kontext der Deutschschweiz? Auf welchen Ebenen?

M. Jakobs:

Es muss neben der systematischen Katechese Orte geben, wo Glauben gemeinsam gelebt und gefeiert wird, wo man sich eingebunden fühlt, in der Liturgie, in kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit, bei pfarreilichen Aktivitäten. Daneben dürfen durch die an manchen Orten weniger werdenden Möglichkeiten des schulischen Religionsunterrichts der Bereich der systematischen religiösen Bildung, unabhängig von der Sakramentenkatechese, nicht vernachlässigt werden. Die Kirche und die Zivilgesellschaft brauchen gebildete, auskunftsfähige Christinnen und Christen. Der neue Lehrplan für die Deutschschweiz, «LeRuKa» nimmt dieses Anliegen explizit auf. (unter: www.reli.ch)

S. Leimgruber:

Ich wünschte mir zuerst, dass die Dringlichkeit der Katechese ins Bewusstsein der deutschsprachigen Schweizer Kirche träte. Es wären Absprachen über ein gemeinsames Firmalter in einem Pastoralraum nötig. Ein kritisches Hinterfragen unserer individualistischen Taufpraxis wäre nötig. Z.B. das Festlegen von Taufsonntagen, gruppenweisen Taufgesprächen wie es mancherorts bereits geschieht und gemeinsame Tauffeiern in gemeindlichen Gottesdienstes.  Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Ausländischen Missionen leisten hervorragende Arbeit in den Taufseminaren und in der gruppenweisen dialogischen Ehevorbereitung.

Nicht wenige unterstellen der kirchlichen Katechese, dass sie mehr belehrend unterwegs ist als zu selbständigem Denken anregt. Wo macht ihre Eingrenzung auf Katechismen Sinn? Welche Vermittlungswege schlagen Sie vor?

M. Jakobs:

Katechese leidet mancherorts immer noch unter dem Image der Indoktrination, sein Symbol ist der Katechismus. Der Katechismus ist in der Zeit der konfessionellen Trennung entstanden, gleichzeitig mit einem starken Effort, religiöse Unterweisung zu stärken, z.B. durch verbindliche Christenlehre. Sie waren zu ihrer Zeit willkommene und praktische Mittel der Katechese. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts ist die Vermittlung durch den Katechismus, in die Krise gekommen, neue Formen haben sich entwickelt, z.B. die Münchener Katechetische Methode. Katechismen werden heute vor allem von konservativer Seite als Mittel angesehen, die Richtigkeit der vermittelten Lehre zu garantieren. Katechismen, die für den Unterricht gedacht sind, repräsentieren nicht das Ganze, sondern nur eine didaktische Auswahl, d.h. sie sind nicht automatisch «richtig». Für die heutigen religionspädagogischen Anforderungen eignet sich der Katechismus nicht mehr.

Die Rolle der Katechetin / des Katecheten besteht darin, die Schätze der Glaubenstradition so anzubieten, dass Anschluss gefunden werden kann. Der Vermittlungsprozess ist nicht einseitig, sondern besteht auch im Dialog, in der gemeinsamen Suche nach dem Wichtigen. Die Methoden dieser Vermittlung können und müssen vielfältig sein: mit «Herz, Kopf und Hand». Der jeweiligen Situation, den Zielen und den Teilnehmenden müssen sie angepasst sein.

S. Leimgruber:

Über die Verwendung eines Katechismus lässt sich trefflich streiten. Katechese mit dem Katechismus allein ist sicher langweilig und lässt eine ganzheitliche Didaktik vermissen. Auswendiglernen von Katechismusfragen genügt auch nicht, denn diese Fragen müssen zuerst verstanden und im Leben lokalisiert werden. Anstelle von Belehrung soll der Dialog in der Gruppe treten und ein partizipatorisches Lernen ermöglichen. Der Bezug auf Katechismen kann gleichsam ein «Hintergrundwissen» aufbauen, nicht aber den Glauben ersetzen. Tatsachen sind, dass Martin Luther einen kleinen und einen grossen Katechismus verfasst hat, um das grundlegende Anfangswissen kurzzufassen. Nur sollten die einzelnen Aussagen des Katechismus höchstens Ausgangspunkte katechetischen Lernens sein oder nützlich zum Nachlesen. Katechismen sind kurzgefasste Lehrbücher der Dogmatik. Viel geeigneter ist es, den Kindern Geschichten zu erzählen, die das Gemeinte anschaulich machen.

Vom griechischen Wort ‘kat-echein’ herausgefordert, lässt sich Katechese mit einem Echolot vergleichen. Ist Katechese heute nicht ein Signal, das zwar mehr oder weniger laut ertönt - und wenige mehr darauf eingehen?

S. Leimgruber:

Ja, Katechese ist derzeit eine grosse Herausforderung für die Christinnen und Christen in allen Ländern, nicht zuletzt für die Schweiz. Ich denke, dass man wieder zuhause beginnen muss, kleine Schritte des Lebens und Glaubens zu gehen, das ABC des Glaubens und Lebens zu buchstabieren, in der Achtung der Mitmenschen zu wachsen und das Leben als Dienst an der Gemeinschaft zu verstehen.

M. Jakobs:

Für katechetisch Verantwortliche ist die Gesellschaft und der Alltag der Menschen Resonanzraum für die christliche Botschaft und damit auch die Katechese. Wenn die Resonanz nicht da ist, liegt es vielleicht daran, dass der Resonanzraum nicht genug geöffnet worden ist.

Die sozialen, kulturellen und religionssoziologischen Verhältnisse erfordern in der Katechese eine besondere Sensibilität? Worauf achten Sie bei der Ausbildung und Fortbildung der katechetisch Tätigen besonders?

M. Jakobs:

1. Theologisch versiert sein, besonders auch im Hinblick auf die Bedeutung von Glauben für das konkrete Leben der Menschen.

2. Pädagogisch versiert sein, d.h. die Adressatinnen und Adressaten der Katechese einschätzen und entsprechend Lernprozesse inhaltlich und methodisch gestalten können.

3. Die eigene Spiritualität gestalten und sich ihr bewusst sein und dabei anerkennen, dass der eigene Weg nicht unbedingt der passenden für andere ist, oder anders ausgedrückt: die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel.

4. Menschenfreundlichkeit und Sozialkompetenz. Diese können vielleicht eingeübt, aber nur teilweise erlernt werden, sind aber Voraussetzung für eine Tätigkeit im religionspädagogischen Bereich.

S. Leimgruber:

1. Es ist heute ein Gebot der Stunde, dass die Ausbildung der Katechetinnen und Katecheten, der Untimütter anlässlich der Vorbereitung der Kommunion, der Firmhelferinnen und -helfer sensibler wird für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aller Art. Diese Menschen hat man öfter vergessen oder übersehen. Einzelne Pfarrer wollten nichts mit ihnen zu tun haben, weil sie stören. Zugegeben, inklusives Lernen, also unter Einbezug der Kinder/Jugendlichen/Erwachsenen mit Behinderungen in die ordentlichen Lerngruppen stellt hohe Anforderungen an die Leitenden, aber das wäre ein Gebot der Stunde und ein schönes Zeichen für ernsthaftes Christsein.

2. Sensibilität ist auch gegenüber immigrierten Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen angesagt. Teilweise besuchen sie die Katechese in der «Mission», teilweise machen sie in interkulturellen Gruppen mit. Zu beachten ist dabei, dass diese Kinder oft andere kulturelle und religiöse Standards pflegen, welche ins Bewusstsein zu heben sind, ohne die Menschen anderer Kulturen abzuwerten.

3. Eine besondere Sensibilität brauchen heute ältere Menschen, etwa bei der katechetischen Vorbereitung der Krankensakramente in der Gemeinde oder in den Spitälern. Älteren Leuten ist der Sinn der Krankensalbung aufzuzeigen: Weg von der «Letzten Ölung» hin zum Sakrament verstanden als «Stärkung» in allen Lebenssituationen. Auch die Pfarrei soll mit dem Sinn der jährlichen Krankensalbung in der Fastenzeit vertraut gemacht werden.

Blicken Sie auf die Rahmenbedingungen für die Durchführung katechetischer Wege heute, welche Chancen sehen Sie, die der Weitergabe des Glaubens Impulse geben können?

S. Leimgruber:

Eine gute Rahmenbedingung für die Katechese sind die Räumlichkeiten, über die fast jede Pfarrei in der reichen Schweiz mittlerweile verfügt. Hier haben wir grosse Möglichkeiten der Begegnung miteinander, von gemeinsamen Gruppentreffen und auch zum Einzelgespräch. In der Regel fehlt es auch nicht an Geld, um Katechese zu ermöglichen, Katechetinnen anzustellen und zu bezahlen.

M. Jakobs:

Die personellen Bedingungen und die Ressourcen in den Pfarreien sind immer noch sehr gut. Sie erfordern einen sorgsamen Umgang mit den Charismen der kirchlichen Angestellten sowie Ermutigung für neue Projekte, die auch einmal scheitern dürfen.

Katechese wird sich aktiv mit elektronischen Medien und sozialen Netzwerken auseinandersetzen müssen, damit die Generation der «Digital Natives» nicht verloren geht oder anderen Gruppen überlassen wird.

Religiöse Themen werden von vielen Mensch auf eine undifferenzierte, manchmal auch unklare Weise interessant gefunden. Das ist eine Chance.

 

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.

Prof. Dr. phil. Monika Jakobs ist Professorin für Religionspädagogik und Katechetik an der Universität Luzern und leitet das dort angegliederte Religionspädagogische Institut (RPI).

Literaturangaben:

Monika Jakobs: Neue Wege der Katechese, München 2010

Angela Kaupp / Stephan Leimgruber / Monika Scheidler (Hg.): Handbuch der Katechese. Für Studium und Praxis, Freiburg i. Breisgau 2011


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)