Jesus auf Facebook?

«Wenn Jesus 1994 geboren wäre, dann wäre er auf Facebook und Instagram unterwegs, würde da seine Follower sammeln, Likes an Zöllner und Aussätzige verteilen und zwischendurch einen bissigen Kommentar unter Posts von Politikern oder religiösen Führungspersonen platzieren.» Solche sicherlich gut gemeinten Jesus-Analogien hat meine Generation nicht selten gehört. Ich möchte mittlerweile aber stark bezweifeln, ob Jesus heute tatsächlich in den sozialen Medien unterwegs wäre. Ohne den Teufel auf den Bildschirm zu malen, begegne ich den neuen Medien mit grosser Skepsis. Instagram ist nicht bloss die moderne Form von Brieffreundschaften. Der Brief des Briefreundes hat still und leise im Briefkasten auf mich gewartet. Wenn ich ihn geöffnet habe, bewarb er nicht das Müesli, welches ich kurz davor zum Frühstück gegessen hatte, und er hat auch mein Leseverhalten nicht aufgezeichnet, um sich beim nächsten Mal schmucker präsentieren zu können. Hinter den weltweit marktmächtigsten Unternehmen wie Google, Meta und Co. steht ein Profitmodell, in dem der Konsument selbst zur Ware wird. Der Einsatz von Algorithmen im Digitalen hat den optimistischen Ansatz von «Alles ist gut, es kommt nur auf die Verwendung an» definitiv begraben. Die digitalen Dienste leben davon, dass sie unsere Aufmerksamkeit so lange wie möglich an sich binden, und tun dies mit rechenbasierten, manipulativen Tricks, die unserem Gehirn weit überlegen sind. Die Folge daraus ist Abhängigkeit im höchsten Grad. Das Gegenteil jener Freiheit, zu der Jesus uns beruft. Würde Jesus heute solche Geschäftsmodelle nutzen, dann wäre er vor 2000 Jahren auch nicht als Zimmermann in Galiläa aufgewachsen, sondern hätte in Rom im Senat intrigiert, eine grossflächige Reichspropaganda gestartet (Münzen mit Bildern drauf waren zum Beispiel damals voll im Trend) und dem Kaiser die Follower abgeworben. Ich glaube vielmehr, Jesus würde heute immer noch auf Gemeinschaft bei einer Flasche (oder ein paar Krügen) Wein und analogen Gesprächen im realen Leben setzen.

Johannes Tschudi


Johannes Tschudi

Johannes Tschudi (Jg. 1994) studierte Philosophie und Religionswissenschaft. Er ist Regionalleiter bei der christlichen Studierendenbewegung VBG sowie Geschäftsführer des Hilfswerks Mary's Meals Schweiz. Er präsidiert zudem den Verein Oasis, ein christliches Orientierungsjahr im Kloster Maria Opferung in Zug.