«Jede Architektur tritt in einen Dialog»

Mario Botta ist ein weltbekannter Architekt. Er überrascht immer wieder mit neuen Ideen und liebt dabei das Spiel mit Formen und Licht.

Santa Maria degli Angeli (Monte Tamaro) in Rivera TI. (Bild: Wikimedia, Adrian Michael)

 

SKZ: Das Tessin hat viele berühmte Architekten wie Domenico Fontana, Carlo Maderno, Francesco Borromini oder Domenico Trezzini hervorgebracht. Liegt den Tessinern die Architektur im Blut?
Mario Botta1: Es scheint so. Doch man darf den jungen Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Um diese Arbeit zu tun, braucht es zunächst einmal eine sehr starke Leidenschaft und dann die Bereitschaft zu arbeiten, zu arbeiten und noch einmal zu arbeiten.

 

Unter Ihren Werken sind viele Sakralbauten. Was unterscheidet diese von anderen Bauten?
Architektur bringt die Idee des Sakralen mit sich, weil sie einen Zustand der Natur in einen Zustand der Kultur verwandelt. Der allererste Schritt in der Architektur besteht darin, eine Begrenzungslinie zu ziehen, einen Teil vom Ganzen zu trennen. Die Räume des Sakralen bringen eine tausendjährige Geschichte mit sich, in der die Rolle der Technik minimal ist, jene der Symbolik und Metaphorik hingegen enorm.

 

Glauben Sie, dass das Kirchengebäude Einfluss auf das Beten und Feiern der Menschen hat? Wenn ja, in welcher Weise?
Die Qualität eines Raumes beeinflusst die Seele und den Geist des Menschen. Einen geeigneten Raum zu finden für Gebet, Meditation oder Stille, ist ein Bedürfnis, das im Menschen vorhanden ist.

 

Hatte umgekehrt das Entwerfen von Sakralbauten einen Einfluss auf Ihren Glauben, auf Ihre Spiritualität?
Sicherlich auf meine Spiritualität. Aber die Qualität des Raumes muss nicht der Qualität des Glaubens entsprechen. Man darf nicht das mögliche Missverständnis aufkommen lassen. Ein tiefgläubiger Mensch baut nicht notwendigerweise eine schöne Kirche.

 

In einem Interview haben Sie erzählt, dass Ihnen die Kirche von Mogno besonders am Herzen liegt. Warum?
Weil es das am stärksten durchlittene Objekt ist: Dem Bau gingen zehn Jahre Streit voraus.

 

Die beiden Kirchen im Tessin (San Giovanni Battista und Santa Maria degli Angeli) wirken von aussen sehr unterschiedlich. Was inspiriert Sie zu Ihren Werken?
Jede Architektur tritt in einen Dialog mit den landschaftlichen Eigenheiten und natürlich jedes Mal auf eine andere Art und Weise. Die Stärke der Architektur liegt nicht in ihrer Autonomie, sondern in der räumlichen Beziehung, die sie mit der sie umgebenden Landschaft herstellt.

 

Sie schaffen Werke in der ganzen Welt, sind aber Ihr Leben lang dem Tessin treu geblieben. Warum?
Weil ich dort geboren bin und ich es als ein Privileg erachte, dort zu arbeiten, wo ich aufgewachsen bin.

Interview: Rosmarie Schärer

 

 

1 Mario Botta (Jg. 1943) ist Architekt und hat ein eigenes Büro in Mendrisio. Er ist Professor an und Leiter der Accademia di Architettura in Mendrisio. 2018 erhielt er den Joseph-Ratzinger-Preis.

 

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