Ist gutes Sterben selbstbestimmtes Sterben?

Die Bedeutung der Selbstbestimmung hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Es verwundert daher nicht, dass viele Menschen sich Gedanken darüber machen, wie sie sterben möchten oder, anders gewendet, wie sie auf keinen Fall sterben möchten, etwa unter grossen Schmerzen oder hilflos auf der Intensivstation eines Spitals. Welche Möglichkeiten bestehen aus rechtlicher Sicht?

Grundsatz: Der Patient entscheidet

Das Verständnis der Arzt-Patienten-Beziehung hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. Heute steht aus rechtlicher Sicht fest, dass der Patient, solange er urteilsfähig (entscheidungsfähig) ist, selber bestimmt, ob und wie er behandelt wird. Entsprechend darf der Arzt keine Behandlung durchführen, in die der Patient nicht eingewilligt hat.

Keine lebensverlängernden Massnahmen

Auch eine Behandlung, die aus Sicht des Arztes sinnvoll wäre, darf aus persönlichen Motiven abgelehnt werden. Selbst lebensrettende oder lebenserhaltende Massnahmen müssen unterlassen bzw. abgebrochen werden, wenn der Patient dies so wünscht. Man spricht hier auch von einer nach schweizerischem Recht zulässigen passiven Sterbehilfe.

Leidensverminderung (Palliative Care)

Die Palliativmedizin ist darauf spezialisiert, Schmerzen und andere schwere Krankheitssymptome effektiv zu bekämpfen. Das Ziel ist hier also nicht (mehr) die Lebensverlängerung, sondern das Wohlbefinden des schwerkranken Menschen. Palliativmedizinische Massnahmen sind rechtlich ebenfalls zulässig, und zwar auch dann, wenn als Nebeneffekt eine Verkürzung des Lebens in Kauf genommen wird. Das kann beispielsweise bei einer sehr hohen Dosierung von Schmerzmitteln zutreffen. Wenn andere Mittel wirkungslos bleiben, ist es sogar denkbar, einen sterbenden Menschen in einen künstlichen Tiefschlaf zu versetzen (sog. palliative Sedierung), um einen friedlichen, schmerzfreien Tod zu ermöglichen.

Suizidhilfe

Schwieriger ist die Rechtslage bei der eigentlichen Suizidhilfe (sog. aktive Sterbehilfe), welche die Lebensverkürzung bezweckt. Sie ist nur zulässig, wenn der urteilsfähige Patient selber den letzten Schritt zur Selbsttötung ausführt (z. B. ein tödliches Gift einnimmt) und wenn überdies diejenigen Personen, die ihm die Selbsttötung ermöglichen, uneigennützig handeln. Zudem ist kein Arzt verpflichtet, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Verboten ist die Tötung auf Verlangen, wenn also der Betroffene nicht mehr selber handelt, sondern – auf seinen Wunsch hin – durch eine Drittperson getötet wird.

Der urteilsunfähige Patient

In vielen Fällen ist ein Patient in der letzten Lebensphase nicht mehr in der Lage, selber zu entscheiden. Eine Urteilsunfähigkeit kann viele Ursachen haben, etwa eine Demenzerkrankung, schwere geistige Beeinträchtigungen nach einem Schlaganfall oder Bewusstlosigkeit nach einem Herzstillstand. Das neue Erwachsenenschutzrecht, das am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist, sieht für diese Situationen vor, dass entweder direkt auf eine Patientenverfügung abgestellt wird oder dass eine Vertretungsperson an Stelle des Patienten entscheidet. Beide Möglichkeiten bergen Schwierigkeiten:
–    Bei der Patientenverfügung stellt sich oft die Frage, was der Betroffene mit seiner Formulierung genau gemeint hat bzw. was er in der nun eingetretenen Situation nun wirklich möchte.
–    Die durch das Gesetz bezeichneten Vertreter (u. a. Ehegatte, Lebenspartner, Nachkommen) sind mit dem Entscheid nicht selten überfordert. Für den behandelnden Arzt ist zudem nicht immer klar, wer nun zur Vertretung berechtigt ist und wer die Wünsche und Interessen des Patienten am besten wahrt.

Wichtiger als diese rechtlichen Instrumente ist daher, dass man sich frühzeitig Gedanken über das Sterben und die eigenen Wünsche und Wertvorstellungen macht und mit Angehörigen oder einer Vertrauensperson regelmässig darüber spricht. So ist es später für alle Beteiligten einfacher, den Wünschen des urteilsunfähig gewordenen Patienten zu entsprechen. Es ist auch möglich, in einer Patientenverfügung eine Vertretungsperson zu bezeichnen, der man vertraut.

Selbstbestimmtes Sterben

Selbstbestimmung ist für viele Menschen ein wichtiges Gut. Dabei darf aber nicht vergessen gehen, dass sich am Lebensende die Prioritäten ändern. Gutes Sterben darf daher nicht gleichgesetzt werden mit autonomem Sterben. In der letzten Lebensphase rückt für viele Menschen der Wunsch nach Selbstbestimmung in den Hintergrund. Wichtiger sind verlässliche, von Wertschätzung geprägte Beziehungen zu den Angehörigen und das Vertrauen zum behandelnden Arzt.


Regina E. Aebi-Müller


Regina E. Aebi-Müller

Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller (Jg. 1971) ist Juristin und spezialisiert auf Fragen des Medizinrechts. Sie ist ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» des Schweizerischen Nationalfonds hat sie sich eingehend mit Rechtsfragen der Selbstbestimmung am Lebensende auseinandergesetzt. Sie ist Mitglied der Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).