Interkommunion des Lebens

Im Glauben der orthodoxen wie auch der katholischen Kirche werden sieben Sakramente gefeiert. In aller Einheit gibt es doch auch Unterschiede im Sakramentenverständnis.

Die orthodoxe Taufe erfolgt immer durch vollständiges Untertauchen. Die drei Kerzen am Taufbecken stehen für den dreieinen Gott. (Bild: Vera Markus)

 

Der orthodoxe Theologe Alexander Schmemann gibt seinem Buch über die «Eucharistie» (Einsiedeln 2005) den Untertitel «Sakrament des Gottesreiches» und stellt dar, wie die heilige Eucharistie die Verwirklichung bzw. die Erfahrung des Gottesreiches in der Menschheitsgeschichte ist. Für einen orthodoxen Christen ist die Eucharistie also der Ort, um sich an Gottes Heilstaten in der Geschichte zu erinnern, sie im Heute zu feiern und sie als Vorwegnahme und Erwartung der künftigen Herrlichkeit zu bekennen. In der kirchlichen Gemeinschaft ist die Fülle des Heils bereits zugänglich. So leben orthodoxe Christen in der Gewissheit des geschenkten Heils auf die von Gott eröffnete Zukunft hin. Wenn die eucharistische Feier die Fülle des Lebens nicht nur symbolisiert, sondern sie in gewisser Weise bereits ist – wenn auch in geschichtlich vorläufiger Gestalt –, dann stellt sich die Frage: Soll nicht jeder glaubende Mensch zu dieser Gabe Jesu Christi, des Heilands, als Vorgeschmack der göttlichen Liebe Zugang haben?

Eucharistie als Zeichen der Einheit

In der orthodoxen Kirche herrscht die strenge Zusammengehörigkeit von Kirchengemeinschaft und Kommuniongemeinschaft. Der Kelch bzw. die Kommunion steht nur orthodoxen Christen offen. Auch wenn diese «Geschlossenheit» für viele Gläubige anderer Konfessionen unverständlich erscheint, ist sie aus dem orthodoxen Kirchenverständnis heraus einsichtig: Bekanntlich besteht heute die byzantinische orthodoxe Kirche aus vierzehn sogenannten autokephalen (sich selbst verwaltenden) Kirchen. Jede dieser Kirchen hat das Recht, in pastoralen und kirchenrechtlichen Angelegenheiten frei Entscheidungen zu treffen, ohne die Erlaubnis anderer autokephaler Kirchen einzuholen. Diese Freiheit gilt jedoch nicht für dogmatische Entscheide oder grundlegende Veränderungen in der Liturgie. Trotz dieser Selbstverwaltung verstehen sich die 14 autokephalen Kirchen als die eine orthodoxe Kirche und nicht als Bund von Kirchen. Das Prinzip der Einheit der orthodoxen Kirche beruht nicht auf einem sichtbaren Oberhaupt (wie es der Papst für die katholische Kirche ist), sondern auf dem Sakrament der Eucharistie. So wird der Kelch das einzige sichtbare Zeichen für die innere Einheit der orthodoxen Kirche. Der Kelch ist somit der (einzige) Garant der innerorthodoxen Einheit und macht aus den verschiedenen autokephalen Kirchen die eine orthodoxe Kirche. Würde der Kelch interkonfessionell geöffnet, wäre die einheitstiftende Kraft des Kelches für die orthodoxe Kirche hinfällig und somit die Einheit der orthodoxen Kirche an sich. Aus diesem Grund kann für die orthodoxe Kirche die Öffnung des Kelches nicht als Weg zur Einheit gelten, sondern nur zustande kommen, nachdem die kirchliche Einheit vollzogen ist.

An diesem Punkt stellt sich auch die Frage, ob umgekehrt Orthodoxe der eucharistischen Einladung anderer Konfessionen folgen dürfen. Die Antwort folgt dem gerade genannten Prinzip: Da die Eucharistie für die orthodoxen Gläubigen die Einheit ihrer Kirche darstellt, ist es ihnen nicht gestattet, Einladungen zur Kommuniongemeinschaft mit anderen Christen zu folgen. Die katholische Kirche argumentiert offener. Bereits im Zweiten Vatikanischen Konzil heisst es in Bezug auf die Ostkirchen: Da sie «wahre Sakramente haben, vor allem aber kraft der apostolischen Sukzession das Priestertum und die Eucharistie, durch die sie in engster Beziehung immer noch mit uns verbunden sind, ist eine gewisse Gemeinschaft in heiligen Dingen, sofern geeignete Umstände gegeben sind und die kirchliche Autorität zustimmt, nicht nur möglich, sondern auch angeraten» (Nr. 15). Hier wird allerdings zugleich der gebotene Respekt vor der orthodoxen Praxis formuliert.

Einheit und Verschiedenheit

Das bedeutet keinesfalls, dass in der orthodoxen Kirche keinerlei Form von Sakramentengemeinschaft praktiziert wird. Bekanntlich kennt die orthodoxe Kirche dieselbe Zahl von sieben Sakramenten wie die katholische Tradition. Bei der Taufe wird in Theologie und Praxis die unterschiedliche Perspektive deutlich: In den Westkirchen gibt es in den letzten Jahren Initiativen zur offiziellen gegenseitigen «Taufanerkennung». Einige orthodoxe Kirchen haben zwar diese Erklärungen unterzeichnet, aber sie stellen in der Regel die Frage anders. Sie sagen nicht: Wir erkennen die in anderen Kirchen gespendete Taufe an, sondern: Wenn jemand in die orthodoxe Kirche eintritt und bereits auf den dreieinigen Gott getauft ist, dann muss er nicht erneut getauft werden. Wichtiger für das Gespräch miteinander ist die Taufpraxis: In der orthodoxen Kirche empfangen auch Säuglinge bei der Taufe alle drei Initiationssakramente: Taufe – Chrismation (Firmung) – Eucharistie. Als orthodoxe Christen geben wir nicht der bewussten menschlichen Entscheidung, sondern der Gnade Gottes, die sich bereits den «Unmündigen» schenkt, den Vorrang. Vor allem verstehen wir nicht, wie die Erstkommunion im Westen vor der Firmung gespendet werden kann. Das Busssakrament hat bei orthodoxen Christen nicht so sehr an Bedeutung verloren wie in der katholischen Kirche. In der Regel beichten Orthodoxe vor jedem Kommunionempfang. Das Sakrament ist zwar auch ein Ort «geistlicher Begleitung», aber vor allem ein demütiges Eingeständnis vor Gott, dass man hinter der Berufung zurückgeblieben ist. Auch im Sakrament der Eheschliessung gibt es Gemeinsamkeiten und orthodoxe Besonderheiten. Während es in der katholischen Theologie heisst: Die Eheleute spenden sich das Sakrament gegenseitig, betont die orthodoxe Theologie, dass das Sakrament durch den kirchlichen Akt des Priesters zustande kommt. Besonders schön ist der Ritus der «Krönung», der zur Eheschliessung gehört. Die Kronen auf oder über dem Haupt der Ehepartner zeigen an, dass das Paar an der Herrschaft Christi teilhat, die sich darin zeigt, dass er aus Liebe sein Leben hingibt bis zum Kreuz. Im strengen Sinn ist nach den orthodoxen Kanones eine Eheschliessung mit einem nichtorthodoxen Partner verboten, doch das sogenannte Prinzip der Oikonomia (Ausnahme gemäss der Barmherzigkeit Gottes) hat in den letzten Jahrzenten dazu geführt, dass in verschie- denen orthodoxen Kirchen, vor allem in der Diaspora, interkonfessionelle Eheschliessungen vollzogen werden. Das Heilige und Grosse Konzil der Orthodoxen Kirche, das im Juni 2016 auf Kreta stattgefunden hat, geht im Dokument «Das Sakrament der Ehe und seine Hindernisse» auf die pastorale Situation der orthodoxen Diaspora ein und hat diese Praxis gutgeheissen. Wir haben es also mit einer «offiziell erlaubten Ausnahme» zu tun.

Entstehung des Lebens als Ursakrament

Trotz der offiziellen Siebenzahl der Sakramente betont die orthodoxe Kirche, dass man die Sakramente nicht arithmetisch einschränken sollte. Ist nicht jeder Ausdruck der göttlichen Offenbarung und Einwirkung in der Geschichte ein Mysterium (Sakrament), das Gottes geheimnisvolles Wirken in der Geschichte bezeugt? In diesem Sinne ist schon die Geburt eines Menschen ein Mysterium. Die Entstehung des Lebens ist letztendlich das «Ursakrament», da Gott selbst hier ex nihilo neues Leben entstehen lässt. Am Sakrament des Lebens nehmen alle teil, und so werden wir alle «Zeichen» Gottes in der Geschichte. In dieser Sicht ist uns allen die «sakramentale Interkommunion» des Lebens in die Wiege gelegt, die wir im Licht der eucharistischen Kommunion tiefer erfahren und leben. Das Sakrament des Lebens wird somit das Sakrament, das alle Menschen aufruft, in Gemeinschaft und Frieden zu leben. Letztlich ist dies auch das wichtigste Sakrament auf dem Weg zur Einheit der Kirche.

Oft wird bezüglich der Kirchenspaltung zwischen Ost und West die These aufgestellt, dass wir uns auseinandergelebt haben, und ohne Zweifel ist dies einer der Hauptgründe der Kirchenspaltung. Wir haben gewissermassen aufgehört, das Sakrament des Lebens gemeinsam zu empfangen. Heute leben viele orthodoxe Christen in nicht mehrheitlich orthodox geprägten Ländern. So entsteht eine neue historische Chance, das Sakrament des Lebens gemeinsam zu erfahren und zu praktizieren. Aus dieser Sakramentengemeinschaft des Lebens kann durch Jesus Christus und im Heiligen Geist die substanzielle Gemeinschaft im Glauben entstehen. Jede Generation trägt die Verantwortung, die Sakramentalität der Einheit im Leben zu erkennen, zu leben und weiterzugeben. Die Einheit im Glauben und in der Eucharistie wird so zur Frucht der Interkommunion des Lebens.

Stefanos Athanasiou


Stefanos Athanasiou

Dr. Stefanos Athanasiou (Jg. 1981) ist Mitglied im erweiterten Direktorium des Zentrums St. Nikolaus für das Studium der Ostkirchen, Doktor und Dr. habil. (Theologische Fakultät Thessaloniki) der orthodoxen Theologie und ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern. Derzeit ist er Lehrbeauftragter an den Theologischen Fakultäten in Freiburg i. Ue. und Chur.