Integrieren statt disputieren

Die Dispute um das Nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia (AL) dauern an. Bislang haben nur wenige Bischofskonferenzen solche Dispute nach vorn ausgerichtet und auf pastorale Umsetzungen hingearbeitet. Dabei lässt das päpstliche Schreiben an der Dringlichkeit inkulturierter Lösungen mit Blick auf örtliche Traditionen und Herausforderungen (AL 3) keinen Zweifel. Dies gilt nicht zuletzt für den Dreiklang von Begleiten, Unterscheiden und Integrieren, in dem auf dem dritten Stichwort besondere Emphase liegt: Es gilt, «vor allem einzugliedern» (AL 312).

Das Nachdenken über solches Integrieren muss mit Respekt beginnen: Respekt vor den Menschen in Partnerschaft, Ehe und Familie. Bereits die Bischofssynoden stellten sich (anfanghaft) der Einsicht, dass die Menschen, deren Situation Gegenstand der Beratungen war, Subjekte sind. Als Subjekte sind sie in die Reflexion (deswegen die Umfragen!) ebenso wie in das pastorale Handeln (vgl. AL 200; 287; 290) aktiv einzubeziehen. Deswegen darf sich der Wunsch, Menschen in kirchliche Zusammenhänge zu integrieren, nicht über deren Kopf hinweg in vereinnahmende Strategien übersetzen. Pastorales Handeln vollzieht sich im Modus des Angebotes, das sich der Freiheit der Adressaten aussetzt. Dabei entspricht es einer langen Tradition der Kirche, sich nicht in elitäre Verengung hineinzubegeben und zu respektieren, dass Menschen nicht auf all das eintreten, was pastoral Verantwortliche als wünschenswert erachten (aufschlussreich hierzu: AL 230).

Die Pastoral wird also auf ihre Grenzen zu achten haben. Integrieren bedeutet: Menschen begleiten und ermutigen, selbst jene Schritte der «Integration» zu gehen, die für sie stimmig sind.

Logik der Integration

Die Logik der Integration bezieht sich auf verschiedene Personenkreise: auf die Familien allgemein, speziell auf «Schwache» und die «am meisten Bedürftigen» (z. B. Migranten: AL 47) und – dies ist im Folgenden auszuführen – betont auf Menschen in komplexen Partnerschafts- und Familiensituationen (AL 296; 299; 312).

Menschen in den sogenannten «irregulären» Partnerschaftssituationen sind «Teil der Kirche». Papst Franziskus beschreibt in AL 243 den kirchenrechtlichen Ist-Zustand, um zugleich eine Dynamik in den Blick zu nehmen: Sie sind «keineswegs exkommuniziert» und sollen auch «nicht so behandelt werden», es gilt, sie ihre Zugehörigkeit «spüren zu lassen».

Deswegen nahm die Bischofssynode faktische Ausschliessungen «im liturgischen, pastoralen, erzieherischen und institutionellen Bereich» (AL 299) in den Blick. Im Einzelnen muss das Gespräch mit betroffenen Menschen klären, welche konkreten Schritte angezeigt sind. Eine Fixierung auf das Thema Sakramentsempfang ist nicht angezeigt. So erwähnen die argentinischen Bischöfe «eine grössere Präsenz in der Gemeinschaft, Teilnahme in Gruppen des Gebets oder der Reflexion, Engagement in verschiedenen kirchlichen Diensten» (Nr. 4). Zum Letzteren anerkennt AL 299: «Sie sind Getaufte, sie sind Brüder und Schwestern, der Heilige Geist giesst Gaben und Charismen zum Wohl aller auf sie aus. Ihre Teilnahme kann in verschiedenen kirchlichen Diensten zum Ausdruck kommen.» Der Heilige Geist schenkt der Kirche auch durch Menschen in den sogenannten «irregulären» Situationen seine Gaben.

Teilnahme an den Sakramenten: Unterscheidung

Von der Teilnahme an den Sakramenten spricht AL bekannterweise in zwei Fussnoten. Anm. 326 basiert auf der Unterscheidung, die anerkennt, dass der Grad der Verantwortung nicht in allen Fällen gleich ist. Die Anmerkung erweitert dies zu der Folgerung, dass auch die Konsequenzen einer Norm nicht immer dieselben sind, «auch nicht auf dem Gebiet der Sakramentenordnung, da die Unterscheidung erkennen kann, dass in einer besonderen Situation keine schwere Schuld vorliegt».

Darüber hinaus greift selbst im Rückblick auf Schuldsituationen die Logik der Integration: Sie wird zweimal mit dem Appell verbunden, dass niemand «auf ewig» verurteilt werden darf (AL 296f). Wichtig ist zudem, dass der Gesamttext von AL die «objektiven» Situationen der sogenannten «irregulären» Partnerschaften nicht einseitig unter dem Aspekt des Widerspruchs zum Ideal der christlichen Ehe bewertet. Es sind «Situationen, die nicht gänzlich dem entsprechen, was der Herr uns aufträgt» (AL 6), das Ideal aber möglicherweise «zumindest teilweise und analog» (AL 292) verwirklichen, insofern Menschen darin Liebe, Hingabe und Treue leben (AL 291.298.305). Vor diesem Hintergrund ist ein genereller Ausschluss der betreffenden Personen von den Sakramenten nicht verantwortbar.

Sakramente als Heilmittel

Anm. 351 läuft zwar ebenfalls auf die mögliche Zulassung zu den Sakramenten hinaus, hat aber eine andere Sinnrichtung. Dem Thema der «Würdigkeit für die Sakramente» wird – charakteristisch für die Spiritualität von Papst Franziskus – das Thema der «Hilfe durch die Sakramente» zur Seite gestellt. Denn – so sein Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium Nr. 47 – die Eucharistie ist «nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein grosszügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen». Insofern Menschen auch in den sogenannten «irregulären» Situationen Liebe und Treue verwirklichen und «im Leben der Gnade und der Liebe wachsen» können (AL 305), kommt die Aufgabe der Kirche in den Blick, die Menschen für diese Verwirklichung des Guten zu unterstützen und Hilfe zu gewähren. Hier verändert sich die Perspektive: Aus dem Bedenken, ob die Kirche zu den Sakramenten zulassen darf, wird die Frage, ob sie das Heilmittel und die Nahrung verweigern darf, wenn damit das «mögliche Gute» gefährdet ist.

Zur Ausgestaltung des Integrationsprozesses

Es ist unübersehbar, dass Papst Franziskus das «Integrieren» nicht als einen normativ steuerbaren oder als Automatismus verlaufenden Prozess ansieht (vgl. AL 300). Jedenfalls aber lässt AL keinen Zweifel daran, dass das Gewissen der Menschen einen grösseren Stellenwert haben muss, als die katholische Kirche in den vergangenen Jahrzehnten es vorsah (AL 37; 303). Das Integrieren ist, wie sich oben bereits abzeichnete, nicht als kirchenamtlicher Akt zu verstehen, der eine einseitige Entscheidung über Menschen und ihre Integrationsmöglichkeiten trifft. Es handelt sich gemäss AL um eine Suchbewegung, deren Subjekt die Menschen in den sogenannten «irregulären» Situationen sind (AL 300; 312). Auf dieser Linie formulieren die deutschen Bischöfe: «Die individuelle Entscheidung, unter den jeweiligen Gegebenheiten nicht oder noch nicht in der Lage zu sein, die Sakramente zu empfangen, verdient Respekt und Achtung. Aber auch eine Entscheidung für den Sakramentenempfang gilt es zu respektieren.»

Dass die Menschen selbst Subjekte eines Integrationsweges sind, dürfte nicht zuletzt für den Beginn eines solchen Prozesses gelten. Das kirchliche Angebot muss klar und auffindbar sein, die Inanspruchnahme setzt (in aller Regel) eine Initiative von Betroffenen voraus. Dass auch praktizierende Katholiken nicht durchwegs geneigt sein dürften, einen formellen Integrationsweg zu gehen, hat verschiedene Gründe. Wenigstens erwähnt sei die grosse Gruppe von nach Scheidung zivil verheirateten Personen, die seit vielen Jahren ihren Weg gehen und Reifungs- und allenfalls Unterscheidungsprozesse schon hinter sich haben. Papst Franziskus benennt in AL 234 zudem unbeschönigt das Misstrauen von Menschen, welche die kirchliche Pastoral nicht als verständnisvoll und realistisch erfahren haben.

Gerade deswegen ist es dringlich, die Haltung des Integrierens zu erlernen, statt sich disputierend zu verweigern.

 

Quellentexte:

Amoris Laetitia: w2.vatican.va

Bischöfe der Pastoralregion Buenos Aires: www.lifesitenews.com

Bischöfe von Malta: ms.maltadiocese.org

Deutsche Bischofskonferenz: www.dbk.de

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur