Integrieren heisst Chancen eröffnen

Der Leitsatz 10 des «Leitbild Katechese im Kulturwandel» behandelt die Katechese im Zeichen der Integration.

Gott schuf die Menschen nach seinem Ebenbild. Menschen mit einer sichtbaren oder unsichtbaren Beeinträchtigung sind also genauso gottgewollt, wie jene, die keine Beeinträchtigung haben.

Beeinträchtigungen können den Alltag und das Miteinander erschweren, darum spürt wohl jeder den Impuls, einem beeinträchtigten Menschen zu helfen, so auch Jesus, als er den Blinden wieder sehen liess oder den Gelähmten heilte. Sind nun Beeinträchtigungen also gottgewollt, bedürfen aber dennoch einer «Korrektur»? «Jesus antwortet: ‹Dein Glaube hat dich geheilt›. Er hilft somit eben nicht irgendeinem armen Menschen, sondern ermöglicht auch Selbstwirksamkeit und soziale Einbindung. Unvollkommenheit gehört zum Menschsein. Daraus entstehen Bedürfnisse verschiedenster Art. Diese sind wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Ob dies nun barrierefreie Zugänge sind oder die Gewissheit, geliebt und angenommen zu sein – was ja auch ein allgemeines Bedürfnis ist», erklärt Andrea Vonlanthen1 diese Frage nach Gott und der Sicht auf Beeinträchtigungen.

Kindern und Jugendlichen, die den Religionsunterricht besuchen, werden christliche Werte und der Gedanke des Miteinanders vermittelt. Miteinander heisst, dass alle dabei sind, die zu einer Gemeinschaft gehören. Das Stichwort lautet «Partizipation»; die Möglichkeit, am Leben teilzunehmen und dies mit der individuellen Einschränkung.

Vor- und Nachteile abwägen

Ausgehend von der Art der Beeinträchtigung, sei sie nun sichtbar oder unsichtbar, sollten Fachpersonen der schulischen und kirchlichen Heilpädagogik zusammen jeden Fall betrachten und den Unterricht mit den individuellen Möglichkeiten des Betroffenen gestalten. Der Vorteil der Separation ist sicherlich, dass Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen sich weder ausgestellt fühlen noch den sozialen oder leistungsbedingten Ausschluss aus einer vermeintlich homogenen Gruppe befürchten müssen. Eine Separation kann sich für die Betroffenen wie eine Insel anfühlen. Dieses Bild hat aber zwei Seiten: Eine Insel kann Schutz geben, aber auch von anderen Menschen abschneiden.

Schülerinnen und Schüler messen sich an den Gruppenmitgliedern. Im besten Fall lernen sie Gutes voneinander. Eine Separation kann aber auch eine Art «Ghettoisierungscharakter» bewirken. Vor allem bei Verhaltenseigenheiten von Kindern und Jugendlichen ist dieses Phänomen immer mal wieder zu beobachten. Konkret kann dies so aussehen, dass unerwünschtes Verhalten abgeschaut wird, und weil sich mehrere Mitglieder der Gruppe ähnlich benehmen, ziehen andere mit. Es gibt zu wenig soziale Vorbilder. Zu einer «Ghettoisierung» kommt es bei einer integrativen Schullösung weniger, denn dort kann sich das Individuum an verschiedenen sozialen Partnern orientieren und lernt von der Gruppe, welche Verhaltensregeln in unserer Gesellschaft akzeptiert werden und welche unerwünscht sind. Ebenso können sich beeinträchtigte Kinder und Jugendliche im Leistungsverhalten an der Norm der Gesellschaft orientieren. Zu erleben, dass man zwar anders ist, aber dennoch mittendrin sein kann, ist eine tiefe Befriedigung. Andererseits können Kinder ohne Beeinträchtigung in solchen Situationen nicht nur ihre sozialen Kompetenzen erweitern, sondern lernen gleichzeitig auch, wertfrei zu denken, zu handeln und für andere da zu sein. Das ist die Integration. Die Inklusion geht einen Schritt weiter und würde die volle Akzeptanz des «Andersseins» beinhalten. Dies ist eine grosse Herausforderung für die Menschen und ihre Haltung zu Andersartigkeiten.

Wie können Pfarreien und Religionslehrpersonen der Integration begegnen? Die Entwicklung eines stetigen Interesses für Beeinträchtigungen und eine offene, tolerante Haltung Menschen gegenüber ermöglichen die Partizipation. Eine gute fachliche Begleitung ist ebenso wichtig für das Gelingen von Integration und Inklusion wie die Erweiterung des individuellen Interesses und der Neugier auf das Leben, Unterrichten und Begleiten jenseits der Norm.

Judith Meyer

 

1 Andrea Vonlanthen ist Rektorin HRU der Fachstelle für Religionspädagogik der Römisch-katholischen Kirche im Kanton Basellandschaft.

Weitere Informationen zum Modul Interkulturelle Katechese: www.religionspaedagogikzh.ch

Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch

Judith Meyer

Judith Meyer (Jg. 1973) hat nebst ihrem Abschluss als Lehrperson Sekundarstufe I an der Universität Zürich den Master of Arts in Special Needs Education an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich erworben. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit der Frage der Integration von traumatisierten jungen Menschen in das Schweizer Bildungs- und Berufsbildungssystem. Als Fachperson Integration HRU der Fachstelle Religionspädagogik, katholische Landeskirche TG begleitet und berät sie Religionslehrpersonen, Pfarreien und Pastoralräume bei Fragen der Integration im Religionsunterricht oder bei der Sakramentenvorbereitung.

 

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