Hoffnung spriesst auf ihrem Hof

Claudina Loaiza lebt in einer Region Kolumbiens, in der die lang anhaltenden bewaffneten Konflikte besonders viel Schaden angerichtet haben. Dennoch ist aus ihrem Hof eine Saatgutbank geworden.

Claudina Loaiza im selbst angelegten Rundbeet. (Bild: Mischa von Arb)

 

Agua fría – kaltes Wasser – heisst die Gegend in Kolumbien, in der Claudina Loaiza lebt. Doch Wasser hat es schon lange keines mehr, seit der letzte Regen vor rund zehn Monaten gefallen ist. Claudina Loaiza wartet, wie alle Bewohnerinnen und Bewohner der Region, auf den Regen. Doch während es auf ihrem Hof noch deutlich grünt, scheint das Land des Nachbarn mehrheitlich graubraun. Denn Loaiza weiss, wie sie mit dem kostbaren Nass umgehen muss. Sie ist eine Expertin im Bereich Wasser und Pflanzenaufzucht und eine Bewahrerin von Saatgut. Im Auftrag der verschiedenen indigenen Gemeinschaften in der Region lagert sie traditionelles Saatgut wie Mais, Bohnen und Tomaten. Ihre Samen tauscht sie mit anderen Bewahrerinnen und Bewahrern aus, sodass alle eine breite Basis an Saatgut haben.

Loaiza war früher Chicha-Brauerin. Um die Jahrtausendwende musste sie zur Herstellung des Chichas, eines fermentierten Maisgetränks, Industriemais kaufen, da es keinen lokalen Mais mehr gab. Doch dieser Mais wollte nicht fermentieren und sie konnte keine Chicha herstellen. Da war für sie klar: «Dieser Transgenmais ist nicht gesund! Wir müssen unsere traditionellen Pflanzen bewahren und sichern.»

Schwierige Bedingungen

Agua fría, der Landstrich, in dem Loaiza lebt, gehört zum Departement Tolima und liegt im Landesinneren von Kolumbien. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft1. Die Erde ist fruchtbar, dennoch ist Armut weit verbreitet. Der Klimawandel beschert der Region zwar heftige, aber kurze Regenfälle, starke Winde und lang anhaltende Trockenheit. Die Lebensader der Region, der Rio Magdalena, hat oft einen tiefen Pegelstand. Dies ist einerseits der langen Trockenzeiten geschuldet, aber andererseits gibt es auch die Reisbauern, die im grossen Stil Felder bebauen und sich verbotenerweise am Flusswasser bedienen. Der Fluss wird angezapft und Leitungen führen das Wasser aus dem Fluss direkt auf die Reisfelder. Eine solch intensive Landwirtschaft beutet die Böden aus – nach fünf bis zehn Jahren Reisanbau wächst in dieser Erde nichts mehr.

Einst war die Gegend auch eine der wichtigsten Kaffeeanbauregionen. Doch während des bewaffneten, mehr als 50 Jahre dauernden Konflikts in Kolumbien gehörte Tolima zu den Regionen mit den meisten Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen. Die Guerilla wählte die Kaffeeanbauregion Kolumbiens als strategisches Ziel und die Paramilitärs schlugen hier besonders hart zurück. Das führte dazu, dass sich die Kaffee-Ernte zwischen 1990 und 2006 beinahe halbierte. Zwar ging seit 2006 die Gewalt zurück, doch noch immer ist das Leben kein einfaches und der Friede fragil.

Familienwirtschaft stärken

Die Fastenopfer-Partnerorganisation Corporación Grupo Semillas, mit der auch Claudina Loaiza zusammenarbeitet, ist eine NGO, die seit 1994 in Kolumbien in Cauca und Tolima indigene, afrokolumbianische und bäuerliche Organisationen unterstützt. Ihre Aktivitäten dienen dem Schutz und der lokalen Kontrolle des Bodens, der Bodenschätze, der biologischen Vielfalt sowie den nachhaltigen Produktionsmethoden in der Landwirtschaft und der Sicherung der Ernährungssouveränität. Die seit 2002 registrierte Organisation betreibt in diesen Themen auf nationaler Ebene Lobbyarbeit zur staatlichen Politik. Sie setzt sich dafür ein, dass die Menschenrechte, die ILO-Konvention 1692 und die kolumbianische Verfassung angewendet werden.

Corporación Grupo Semillas setzt zudem alles daran, dass die Menschen in der Region ihr Recht auf Nahrung durchsetzen können. Um das zu erreichen, setzt die Fastenopfer-Partnerorganisation auf ein vielfältiges Programm. Es werden an den Klimawandel angepasste agrarökologische Systeme eingeführt, die Familienwirtschaft wird gestärkt und der Zugang zu Märkten geschaffen. Auch das Modell der Spargruppen3, mit denen Fastenopfer-Partner bereits beachtliche Erfolge in Madagaskar, Indien und dem Senegal erzielen, kommt zum Einsatz. Die Menschen werden zudem über ihre gesetzlich verankerten Rechte informiert: Denn nur, wenn sie Kenntnis davon haben, können sie sich auch an politischen Prozessen beteiligen. Gemeinsam werden zudem Lobbying-Strategien zu den Themen Saatgut, Boden und Wasser entwickelt. Aber auch die Beziehungen zwischen Männern und Frauen und die oft damit einhergehenden gewalttätigen und diskriminierenden Praktiken werden thematisiert. Der über 50 Jahre dauernde bewaffnete Konflikt hat viele Menschen in der Region traumatisiert zurückgelassen, zudem herrscht in Kolumbien noch immer eine ausgeprägte Machokultur. Umso wichtiger ist es, dass über die Geschlechterrollen gesprochen wird. Denn nur wenn das meist unbewusste Verhalten unter die Lupe genommen wird, können anschliessend gemeinsam Strategien und Werkzeuge für Risikoprävention und -management erarbeitet werden.

Hüterin des Saatguts

Seitdem Loaiza den Transgenmais nicht fermentieren wollte, setzt sie sich für den Erhalt von Saatgut ein. Denn nicht nur der Mais war betroffen: Auch anderes traditionelles Pflanzgut wurde immer mehr durch industrielles Saatgut verdrängt, das in der Anschaffung teuer ist und die finanziellen Möglichkeiten vieler Kleinbäuerinnen und Kleinbauern überschreitet und zudem nicht die erhofften Erträge bringt. Im Leben der passionierten Saatguthüterin hat Saatgut schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Weil sie als Mädchen nicht wie ihre Brüder in die Schule durfte, begann sie, Samen zu sammeln. Sie hatte, wie Loaiza sagt, nichts, aber was sie immer hatte, waren ihre Samen.

«Mein Hof ist mittlerweile eine Saatgutbank», freut sie sich. «Ich bewahre die Samen und ziehe daraus Setzlinge», erklärt Loaiza stolz. Nicht nur eine beachtliche Saatgutbank hat sie im Laufe der Zeit aufgebaut. Ihr Hof ist zudem eine kleine Forschungs- und Lehranstalt, an der Interessierte verschiedene Anbaumethoden und Wassersammelsysteme kennenlernen können. Ihr Wissen über die Pflanzenzucht und wie man das Wasser aus der immer kürzer werdenden Regenzeit möglichst lange nutzen kann, gibt sie gerne weiter. Auf ihrem Hof hat sie ein tiefes Loch in die Erde gegraben. Ist die Grube gefüllt, deckt sie diese mit einer Plastikplane zu, damit das gesammelte Wasser nicht versickert. «Denn», so erzählt sie, «durch den starken Wind, der immer öfters bläst, sinkt auch der Wasserpegel in der Grube schneller, sofern sie nicht zugedeckt ist.» Einen Teil ihres beachtlichen Wissens hat sie sich selbst angeeignet oder von ihren Vorfahren überliefert bekommen. Zudem hat sie eine Weiterbildung an der Landwirtschaftsschule des Fastenopfer-Partners Corporación Grupo Semillas besucht. An dieser Schule ist sie mittlerweile auch selber Dozentin geworden und stellt ihren Hof für Lektionen zur Verfügung.

Für Frauen und Indigene

Doch damit nicht genug: Als Anführerin der lokalen Indigenen-Gemeinschaft setzt sich Loaiza auch für die Eigenständigkeit von Frauen ein. Überzeugt sagt sie: «Es ist mir wichtig, dass Frauen ein eigenes Einkommen generieren und nicht mehr von den Männern abhängig sind.» Dazu bringt sie den Frauen bei, wie sie aus lokalen Pflanzen Produkte wie Matten oder Umhängetaschen produzieren können.

Claudina Loaiza, die als Mädchen nicht in die Schule durfte, ist so zur Lehrerin geworden und ist stolz auf das, was sie erreicht hat – auf die Samen ihrer Arbeit.

Colette Kalt

 

1 In der Subsistenzwirtschaft ist das Produktionsziel die Selbstversorgung.

2 Die ILO-Konvention 169 ist das einzige international völkerrechtlich verbindliche Instrument zur Durchsetzung der Rechte indigener Völker. Sie ist seit 1991 in Kraft und befasst sich mit Themen wie dem Recht auf eigenes Territorium, eine eigene Lebensweise, Kultur, Religion und Sprache sowie dem Problem der Diskriminierung.

3 Die Mitglieder einer Spargruppe erstellen ein eigenes Reglement, das unter anderem festlegt, wie viel und wie oft Geld oder Lebensmittel in die gemeinsame Kasse einbezahlt werden. Mit den Ersparnissen können sich die Mitglieder in Notfällen gegenseitig mit zinslosen Darlehen aushelfen. Die Gruppen unterstützen sich zudem gegenseitig.

Fastenopfer-Kampagne: www.fastenopfer.ch

 


Colette Kalt

Colette Kalt (Jg. 1967) ist Verantwortliche PR, Kommunikation und Campaigning bei Fastenopfer.