Hörer des Wortes und Diener der Begegnung

Cover

Die vorliegende SKZ-Ausgabe ist dem Andenken an den Mailänder Kardinal und Erzbischof Carlo Maria Martini SJ gewidmet – mit Beiträgen der Bischöfe Peter Henrici und Ivo Fürer, die beide mit dem Genannten über Jahre zusammengearbeitet haben. Beide erwähnen die letzte Publikation des bereits schwerkranken Kardinals mit dem Titel «Il vescovo » – «Der Bischof» (Reihe «Dubbio & speranza» des Verlags Rosenberg & Sellier, Turin 2011, 92 Seiten) – über das kirchliche Amt also, das für die katholische Kirche von herausragender Bedeutung ist, aber nicht immer wie etwa bei Kardinal Martini positiv wahrgenommen wird. So lohnt sich ein Blick in das Büchlein, in dem Carlo Maria Martini durchaus auf seine Erlebnisse und Erfahrungen aus insgesamt 22 Jahren bischöflicher Tätigkeit zurückgreift, aber keine Autobiografie vorlegen, sondern das Amt des Bischofs an sich uns näherbringen will.

Wie wird man Bischof?

Man merkt schon aus den ersten Zeilen des Büchleins, dass der Autor sehr gut um die Schwierigkeiten und Tücken des Bischofsamtes weiss, angefangen bei denjenigen Seminaristen, die schon ab dem Eintritt ins Seminar und auch später alles daran setzen, Bischof zu werden. Martini warnt vor dem Ehrgeiz solcher Leute, und aus seinen zurückhaltenden Ausführungen wird deutlich, dass er Kandidaten für das Bischofsamt bevorzugt, die diese Bürde nicht anstreben, sondern davon überrascht werden. Dem mit wenigen Ausnahmen (in Deutschland und der Schweiz) allgemein geltenden Ernennungsrecht der Bischöfe durch den Papst, was in den meisten Fällen die faktische Ernennung durch die römische Kurie bedeutet, steht Martini durchaus reserviert gegenüber, wenn er betont, dass das «perfekte», gemeint ist sicher das «gute» System (kein System ist ja perfekt) der Bischofsernennungen noch ausstehe. Nicht wenige Fälle in den letzten Jahrzehnten belegen dies leider schmerzlich – mit grossem Schaden für die Kirche und das kirchliche Amt.

Das Umfeld des Bischofs

Wenn ein Geistlicher zum Bischof ernannt und geweiht ist, muss er sich zuerst um die Frage des bischöflichen Sekretariats und um die Ernennung des Generalvikars, seines «alter ego», kümmern. Auffällig sind die klaren Äusserungen Martinis bezüglich des direkten Umfelds eines Bischofs, die sich in ihrer Deutlichkeit von den übrigen Bemerkungen zum Thema Bischof, die zurückhaltend formuliert sind, abheben. Carlo Maria Martini betont, dass der bischöfliche Sekretär treu, diskret und schweigsam sein soll. Er soll nach fünf bis sechs Jahren ausgetauscht werden, nicht zuletzt deswegen, um die Risiken eines allfälligen Machthungers zu bremsen. Wenn Personen aus dem direkten Umfeld eines Bischofs auf den Bischof selbst massiv Einfluss nehmen wollen und können, kann der Bischof in eine falsche Richtung geraten, so dass von aussen her nicht mehr klar ist, wer eigentlich die Zügel in den Händen hält: der Bischof oder sein Umfeld. Martini erinnert daran, dass es historische (und sicher auch aktuelle) Beispiele gibt, wo omnipotente Sekretäre zu einer «Geissel für die Kirche» («un vero flagello per la chiesa») geworden sind. Die Gefahren, die Martini bezüglich des bischöflichen Sekretariats nennt, gelten dabei sicher für alle unmittelbar dem Bischof Zuarbeitenden, wenn das «Dienen» mehr dem eigenen Ego als dem Bischof und dessen Diözese nützen soll.

Hauptaufgaben und Schwächen

Martini betont, dass ein Bischof mutig und kreativ sein soll. Er schätzt den Kontakt zu den Pfarreien mit Hilfe der Visitationen als sehr wichtig ein. Unter den gefährlichen Schwächen eines Bischofs, durch welche dem Bistum grosser Schaden beigefügt wird, nennt er ein überzogenes autoritäres Gehabe und Sturheit. «Autoritär ist derjenige Bischof, der in keinem Fall den Dialog zulässt und nicht auf seine Berater hört, sondern alles macht, was ihm einfällt, ohne einen guten Rat zu berücksichtigen oder überhaupt um Rat zu fragen.» So zerstört ein Bischof das Vertrauen zu seiner Diözese, das sein Vorgänger aufgebaut hat, und ein solcher Bischof fühlt sich nicht nur als Bischof, sondern als Papst und Herr seiner Diözese.

Der Bezug zum Wort Gottes, zu der Kirche auf Erden und im Himmel

Ausgehend vom dreifachen Amt des Bischofs (Lehre, Leitung und Heiligung) betont Martini, dass der Bischof viele Aufgaben hat, unter denen die Aufsicht über die eigene Diözese und die Einbindung dieser Diözese in die Gemeinschaft mit den anderen Diözesen unter dem Papst als Oberhaupt die Hauptaufgabe ist. Er muss dabei zeitgleich auch die vielen Aktivitäten und die in der Diözese beauftragten Dienerinnen und Diener für die Verkündigung der Frohbotschaft leiten und organisieren. Der Bischof soll, das erachtet Martini fast noch als wichtiger, dabei immer Hörer und Diener des Wortes Gottes sein, damit er selber zu einem lebendigen Evangelium wird. Die Frohbotschaft Gottes muss allem zu Grunde liegen, und diese Frohbotschaft führt automatisch zu einer ökumenischen Ausrichtung. Wichtig ist, dass die Untergebenen des Bischofs vom Bischof selbst als echte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst genommen werden und ihre Mitarbeit geschätzt wird. Ein Bischof soll aber nicht nur mit seinem Bistum, der «irdischen» Kirche, verbunden sein, sondern auch mit der himmlischen Kirche – durch Gebet, Fürbitte und Selbstheiligung.

Ethik und Religion

Der Begriff Ethik ist heute inflationär, und viele meinen, die Kirche diene dazu, die überlieferte Moral zu gewährleisten. Das erachtet Martini als Irrtum: Die Kirche ist nicht dazu da, die Moral in einer unmoralischen Welt aufrechtzuerhalten, sondern ihre Aufgabe ist die Verkündigung der Frohbotschaft Christi, also die Verkündigung eines Gottes, der vergibt, der alle anhört und mit allen im Gespräch ist, auch wenn es selbstverständlich Regeln braucht. Der Bischof soll also nicht einfach auf die Einhaltung von Vorschriften und Regeln pochen, sondern die innere Bildung fördern, das Faszinierende der Heiligen Schrift und die positive Motivation, nach der Frohbotschaft zu leben, den Leuten näherbringen. Er soll im Gebrauch seiner Autorität darauf achten, dem einzelnen Menschen Respekt entgegenzubringen, die Eigenständigkeit des Einzelnen zu respektieren und dessen gute Anlagen zu würdigen.

Kontakte zu den Menschen

Grundlegend ist der Kontakt des Bischofs zu allen Menschen, und zwar in der ganzen Breite, von den Ungläubigen bis zu den ganz Frommen. Der Bischof ist zu einer ganz konkreten Ortskirche gesandt, in die er sich hineinleben und diese zu begreifen versuchen muss. Je mehr ein Bischof lernt zuzuhören, umso mehr kann er seiner Diözese gute Dienste leisten, auch denjenigen Menschen, die nicht der geltenden Doktrin entsprechen, wie etwa (manchmal schuldlos) wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen. Besonders wichtig erachtet Martini im innerkirchlichen Bereich den Kontakt zu und den Einbezug von Seelsorgerat, Priesterrat und Dekanenkonferenz, die, richtig eingesetzt, äusserst nützlich sein können. Die Aufzählung der Personengruppen, zu denen der Bischof Kontakt pflegen soll, ist lang und kann hier nicht aufgezählt werden. Klar aber ist, dass der Bischof sein Amt nur dann gut ausüben kann, wenn er wirklich ein guter Zuhörer und ein Diener der Begegnung ist. Er ist dann ein guter Bischof, wenn er bescheiden ist, gütig, nicht zu rigide und in seinen Antworten nicht zu sicher, einer, der um seine eigenen Fehler weiss und diese auch nicht wegzureden versucht: ein authentischer Mensch also, der bereit ist, die Frohbotschaft Christi wirklich ins Zentrum zu stellen. – Die letzte Veröffentlichung von Carlo Maria Martini ist klein, aber sehr gewichtig. Er legt uns Worte vor, die gut gelesen, überdacht und beherzigt sein wollen.


Carlo Maria Martini zur Kirchenvision:

«Der Bischof und Generalvikar müssen eine Vision von Kirche haben, die breit ist und fähig, alle zu integrieren. Barnabas in der Apostelgeschichte, der eingeladen, von der Kirche von Jerusalem her, die Kirche in Antiochien visitierte, sah die Gnade Gottes, freute sich und ermahnte alle, dem Herrn treu zu bleiben, wie sie es sich vorgenommen hatten (vgl. Apg 11,23). Es war nicht eine Visitation, die Dekrete oder Kritik zur Folge hatte, wie bei denen, welche das Wirken anderer ihrer geistigen Enge entsprechend beurteilen» [«secondo la piccolezza del proprio cervello »] (Martini, Il vescovo, 73). Wichtig erachtet Martini auch den Kontakt unter den Bischöfen, die sich gegenseitig anhören und in beständigem Gespräch sein sollen. Eine der Gefahren einer Bischofskonferenz sei das Abgleiten in Bürokratie und das Verschliessen eines Bischofs in die eigene Welt, wo er immer nur an die eigene Diözese denke. Die Bischöfe müssten sich im Gegenteil kennen, sich gegenseitig unterstützen und einander gut gesinnt sein (vgl. ebd., S. 83). (ufw)

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.