Hildegard von Bingen

Hildegard von Bingen empfängt eine göttliche Inspiration und gibt sie an ihren Schreiber weiter. Um 1151, unbekannter Künstler. Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber scivias (Bild: Wikimedia)

 

 

O Feuer, Geist, Tröster,
Leben des Lebens aller Welt,
heilig bist du, du belebst die Geschöpfe.
Heilig bist du, du salbst die gefährlich Geschwächten,
heilig bist du, du reinigst die stinkenden Wunden.
Belebender Raum der Heiligkeit,
Feuer der Liebe,
o süsses Schmecken in unserem Inneren,
in unsere Herzen giesst Du ein den Wohlgeruch
der guten Kräfte.
O reinster Quell, in dem wir betrachten,
wie Gott die Entfremdeten sammelt und
die Verlorenen sucht.
O Schutzraum des Lebens
und Hoffnung der Glieder auf Einheit
und o Gürtel der Ehrbarkeit, heile die Seligen.
schütze die, die vom Feind, heile die Seligen.
Schütze die, die vom Feind gefangen sind,
und befreie, die gefesselt sind,
die göttliche Kraft will sie heilen.
Stärkster aller Wege, der alles durchdringt,
in den höchsten Höhen, auf der Erde und
in allen Tiefen.
Du vereinigst alles.
Durch dich ergiessen sich die Wolken, fliegt die Luft,
haben die Steine Feuchtigkeit,
bildet das Wasser Bäche
und bringt die Erde lebendiges Grün hervor.
Du erziehst auch die Gelehrten und
machst sie glücklich durch weise Inspiration.
Darum sei dir Lob, der du der Klang des Lobes bist
und die Freude des Lebens und die Hoffnung und grosse Ehre.
Du gibst die Gaben des Lichtes.

(Hildegard von Bingen)

 

 

Quelle: Zátonyi, Maura (Hg.), Das grosse Hildegard von Bingen Lesebuch. Worte wie Feuerzungen, Freiburg i. Br. 2022, 146.