Haltung des Gottvertrauens und der Hoffnung

Die Benediktsregel gibt neben praktischen Hinweisen auch Impulse für die geistliche Begleitung. Dabei sind eine unendliche Geduld und die Ausrichtung auf Jesus Christus zentrale Elemente.

Geistliche Begleitung erfordert viel Geduld und Verständnis. (Bild: Priscilla Du Preez/unsplash.com)

 

Unter den «Werkzeugen der geistlichen Kunst» im 4. Kapitel der Benediktsregel findet sich die Weisung: «Böse Gedanken, die sich in unser Herz einschleichen, sofort an Christus zerschmettern und dem geistlichen Vater eröffnen» (RB 4,50). Diese Herzenseröffnung ist die Wurzel dessen, was wir heute geistliche Begleitung nennen. Im Folgenden möchte ich anhand zweier Worte aus der Regel einige Reflexionen über geistliche Begleitung aus benediktinischer Perspektive anstellen.1

«Mit unerschöpflicher Geduld» (RB 72,5)

Dieses Wort aus dem 72. Kapitel fällt mir ein, wenn ich meine Erfahrungen als geistlicher Begleiter Revue passieren lasse. Psychotherapien wird es zum Vorwurf gemacht, wenn sie zu lange dauern. Wie ist das in der Begleitung? Wenn sich über längere Zeit scheinbar nichts bewegt? Gilt es dann die Begleitung abzubrechen oder Methoden zu finden, um solche Phasen rasch zu überwinden?

Selbstverständlich kann eine Intervention des Begleiters oder die Konzentration auf den Kernpunkt weiterführen. «Das Bleiben bei einer bestimmten Frage- und Problemstellung im Prozess der geistlichen Begleitung»2 erweist sich oft als hilfreich. Gleichwohl ist es wichtig zu betonen, dass geistliche Prozesse nicht mit Kategorien der Effizienz erfassbar sind. Jeder Fortschritt im geistlichen Leben ist Gnadengeschenk Gottes, das zugleich der freien Zustimmung des Beschenkten bedarf – zwei Freiheiten, die unbedingt zu respektieren sind. Diesbezüglich hilft mir ein Merksatz, der sich mir bei einer Weiterbildung einprägte: «Keine Verantwortung übernehmen, die mir nicht gehört.»

Die Wege Gottes mit einem Menschen haben ihre eigenen Rhythmen, die der Begleiter oft nicht auf Anhieb erkennen kann. Er ist gut beraten, sich einzugestehen, dass scheinbare Erfolglosigkeit eine Versuchung darstellt: nun Gott das Heft aus der Hand zu nehmen. Gottvertrauen und Hoffnung sind in einer solchen Situation als Haltungen des Begleiters gefordert. Wenn er dies von innen heraus lebt und nicht bloss der begleiteten Person aufoktroyieren will, nimmt er diesen Menschen mit hinein in die Bewegung des glaubenden Vertrauens auf Gottes unerschütterliche Treue. Er verwirklicht dadurch die Mahnung an den Abt: «Er mache alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch sein Reden sichtbar» (RB 2,12).

Benedikt stellt dem Abt als dem ersten geistlichen Begleiter das Vorbild Christi unter den Bildern vom Arzt und vom Hirten vor Augen. Als Arzt hat er «die ganze Heilkunst einzusetzen» (RB 2,8; vgl. RB 27,2), das heisst, er soll im Lichte des Heiligen Geistes abwägen, was dem Begleiteten weiterhilft. «Er lasse sich vom Gespür für den rechten Augenblick leiten und verbinde Strenge mit gutem Zureden. Er zeige den entschlossenen Ernst des Meisters und die liebevolle Güte des Vaters» (RB 2,24).

So sehr Benedikt den Abt ermahnt, nicht über Fehler hinwegzusehen (vgl. RB 2,26–29), beeindruckt doch die unerschütterliche Geduld, die dem Abt im Umgang mit fehlbaren Brüdern aufgetragen wird. Nach biblischem Vorbild soll jemand dreimal ermahnt werden. Als weitere Massnahmen sind Strafen vorgesehen. Diese verfüge der Abt aber stets in der Perspektive der Heilung gemäss dem Pauluswort: «Ein solcher Mensch ist dem Untergang des Fleisches ausgeliefert, damit der Geist gerettet wird für den Tag des Herrn» (RB 25,4; 1 Kor 5,5). Es mag antiquiert klingen, von der «Rettung der Seele» zu sprechen. Sieht der Begleiter seine Aufgabe jedoch im Licht des Neuen Testamentes, so wird er genau dies als letztes Ziel seines Tuns sehen. Nicht dass er sich selber anmasst, Seelen retten zu können, aber es verleiht seiner Tätigkeit einen unabweisbaren Ernst. Im Spannungsfeld von unerschöpflicher Geduld und eschatologischer Dringlichkeit vollzieht er seinen Dienst.

Im 27. Kapitel kommt noch etwas zur Sprache, das weiterhilft, wenn nur Stagnation wahrnehmbar ist. «Senpekten» («erfahrene, weise Brüder») sollen den angefochtenen Bruder «trösten». Trösten bedeutet ein Zweifaches: Einmal schlicht die Treue in der Wegbegleitung. Wenn der begleitete Mensch meint, er sei ein hoffnungsloser Fall und stehle dem Begleiter nur die wertvolle Zeit, dann empfängt der Begleiter ihn weiterhin mit offenen Armen. Damit verbunden ist, dass dieser stellvertretend die Hoffnung lebendig und das Ziel im Auge behält. So bewahrt er die begleitete Person vor «allzu grosser Traurigkeit» (RB 27,3), vor Resignation; eingedenk des Schlusswortes im 4. Kapitel: «Und niemals die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit aufgeben» (RB 4,74).

Urbild solcher Begleitung ist der gute Hirte, der die 99 Schafe zurücklässt, um das eine verirrte zu suchen (RB 27,8). Dieses Bild legt dem Begleiter besonders auch «schwierige Kunden» ans Herz. Indem er sich ihrer «mit unerschöpflicher Geduld» annimmt, legt er ihnen dar, was Ziel geistlichen Leben ist: Glaube, Hoffnung und Liebe.

«Christus überhaupt nichts vorziehen»

Eine «Fokussierung» gibt es, die fraglos richtig ist: die Zentrierung auf Jesus Christus. Doch: Bedeutet dies schon eine zu grosse «Gängelung» der begleiteten Person? Ich möchte anhand zweier Beispiele auf das Plus christologischer Fokussierung hinweisen.

Ich erlebe bei Menschen, die ihre Berufung klären möchten, dass sie fixiert sind auf die Frage, wie sie ganz sicher sein könnten. Ob die Ehe oder der ehelose Stand die richtige Lebensform sei? Welches der richtige Orden sei? Oft erweist es sich als hilfreich zu ermutigen, diese konkreten Fragen mal beiseitezulassen und stattdessen die persönliche Christus-Beziehung durch Schriftmeditation und Anbetung zu vertiefen. Dies führt zu Gelassenheit aus dem Vertrauen in das Mit- und Voran-Gehen Jesu. Und es hilft auch zur Klärung der Motivation. Benedikt gibt als oberstes Kriterium für das Prüfen einer Berufung an die Hand, «man solle sorgfältig darauf achten, ob einer wirklich Gott (d. h. Christus) sucht» (RB 58,7). Die Zentrierung auf Jesus Christus erdet zugleich die Spiritualität gegenüber Fluchttendenzen und Idealisierungen. Und die Begegnung mit der Person Jesu Christi, mit dem Meister, der in seine Nachfolge ruft, hilft auch, die Dringlichkeit einer Entscheidung zu erfassen. Die Notwendigkeit von Bindung und Hingabe erschliesst sich nicht, wenn es bloss darum geht, abstrakte Dimensionen des Menschseins zu verwirklichen.

Ein zweiter Aspekt: Geistliche Blockaden wurzeln häufig in Traumata aus der frühen Beziehungsgeschichte eines Menschen. Daraus entstandene Verhaltensmuster überträgt dieser oft auf die Gottesbeziehung oder sie werden zu «Götzen», die Lebendigkeit ersticken. Beim Bewusstmachen solcher Muster sind psychologische Methoden hilfreich. Aber selten kommt es auch wirklich zu einer Heilung «bis in die Tiefen des Herzens»3. Diese kann nur durch die Begegnung mit der Wahrheit selber, mit dem menschgewordenen Wort Gottes, geschenkt werden. Die tief verletzte Seele glaubt dem noch so gut gemeinten menschlichen Zuspruch oft doch nicht, da allem Menschlichen letztlich eine nie ganz auszuräumende Ambivalenz anhaftet. Nur das reine Licht des Logos befreit wirklich aus der Sklaverei trügerischer Wahrnehmungen und irreführender Verhaltensweisen. Diese Begegnung mit dem Erlöser Jesus Christus geschieht primär im Wort der Schrift und im Sakrament. Deshalb gehört es wesentlich zur Begleitung, zusammen mit den begleiteten Personen nach Schriftstellen zu suchen, die zu diesem Zeitpunkt der Begleitung weiterführen. «Was kann beglückender für uns sein als dieses Wort des Herrn, der uns einlädt?» (RB Prolog 19).4

Bruno Rieder

 

1 Vgl. hierzu: Rieder, Bruno, «Christus führe uns gemeinsam zum ewigen Leben» (RB 72,12). Erfahrungen als geistlicher Begleiter aus benediktinischer Sicht, in: Rudolf Prokschi / Marianne Schlosser (Hg.), Vater, sag mir ein Wort. Geistliche Begleitung in den Traditionen von Ost und West, Würzburg 2007, 149–158.

2 Thürig, Markus, Geistliche Begleitung: an etwas bleiben und «fokussieren», in: Geist und Leben 72/4 (1999), 253-263 (hier 254).

3 Vgl. Pacot, Simone, Evangelisierung bis in die Tiefen des Herzens, Ravensburg 1999.

4 Als weiterführendes Standardwerk vgl. Driever, Willibrord, Der geistliche Begleiter nach der Regula Benedicti. Historische, textanalytische und pastorale Perspektiven, St. Ottilien 2018.

 


Bruno Rieder

P. Dr. phil., lic. theol. Bruno Rieder OSB (Jg. 1961) studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte in Zürich sowie Theologie in München. Er ist seit 1988 Benediktiner der Abtei Disentis GR. Seit 1997 ist er Novizenmeister und seit 2012 Dekan des Klosters. Er arbeitet als Lehrer am ordenseigenen Gymnasium und ist daneben in der Jugendseelsorge und in der Einzelbegleitung tätig, leitet Exerzitien und ist verantwortlich für die Oblatinnen und Oblaten der Abtei.