«Gott wird auch ihre Tränen abwischen»

Kinder erleben den Tod ihres geliebten Haustieres. Gibt es eine eschatologische Vollendung für die Tiere? Die traditionelle kirchliche Lehre geht nicht davon aus. In der Theologie zeichnen sich Änderungen ab.

«Kommt mein Hamster in den Himmel?» Mit dieser und ähnlichen Kinderfragen sind Eltern und auch Religionslehrer konfrontiert. Sie sind herausgefordert, eine theologisch begründete Antwort zu geben.

SKZ: Welches Hauptargument spricht für eine eschatologische Vollendung der Tiere bei Gott?
Christoph J. Amor: Gott wird im Christentum als Inbegriff der Liebe charakterisiert. Aus Liebe erschuf Gott die Welt. Da Gott ein Freund des Lebens ist, gilt sein Wohlwollen allen Geschöpfen. Echter Liebe ist ein Verlangen nach Dauer eigen. Liebe kann dem Tod des Geliebten nicht zustimmen, die Vernichtung des Anderen nicht akzeptieren. Und so ist wohl auch für die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung anzunehmen, dass Gott sich nicht mit dem Tod seiner geliebten Geschöpfe abfindet. Seine Fürsorge erlischt nicht schlagartig mit dem Eintritt des biologischen Todes. Vielmehr darf darauf vertraut werden, dass Gott die gesamte Schöpfung, somit auch die Tierwelt, zur Vollendung führen möchte.

Gibt es weitere Argumente?
Dem vorher erwähnten Argument kann das Argument der Treue Gottes zur Seite gestellt werden. Gott ist absolut treu, er vergisst seine Geschöpfe nicht und gibt sie nicht auf. «Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt, darum habe ich dir die Treue bewahrt» – Adressat dieses Liebesbekenntnisses und Treueschwurs Gottes in Jer 31,3 ist m. E. nicht nur der Mensch, sondern alles, was Gott schuf. Gottes Liebe und Treue sind dabei nicht zeitlich befristet. Gottes Beziehung zu seinen Geschöpfen ist keine «unverbindliche» Lebensabschnittspartnerschaft. Anders als in vielen menschlichen Beziehungen verliert Gott nicht irgendwann einmal das Interesse an seinem Gegenüber. Bibeltheologisch könnte auch folgendermassen argumentiert werden: In der Bibel, vor allem im Alten Testament, bilden Mensch und Tier eine Gemeinschaft. Beide sind vom Erdboden genommen, beide werden von Gott gesegnet, beide unterliegen demselben Geschick des Todes. Beide sind Bundespartner Gottes, wie der Noachbund verdeutlicht, den Gott mit jedem lebenden Wesen schloss. Auch das Tier steht somit unter dem Schutz und Segen Gottes. Vor allem aber: Auch das Tier ist ins Erlösungsgeschehen miteinbezogen. Laut Paulus seufzt die gesamte Schöpfung und liegt in Geburtswehen. Alle Geschöpfe erwarten die Vollendung. Aufgrund der in der Bibel beschriebenen Zusammengehörigkeit und Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Tier erscheint mir die Annahme einer eschatologischen Vollendung der Tiere plausibel und gerechtfertigt. Für bedenkenswert halte ich darüber hinaus das Argument aus dem Leid der Tiere. Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere sind vielfach Opfer von Gewalt und Misshandlungen. Der Schrei der gequälten Tiere wirft die Frage auf, ob Gott einst auch ihre Tränen abwischen und den Tod vernichten wird. Die Vorstellung, dass Schmerzen und Tod beim Tier nicht das letzte Wort haben, sondern dass Gott sie auf eine ihnen gemässe Weise zur Vollendung führt, ist tröstlich.

In Ihrem Beitrag in «Der Mensch und das liebe Vieh»* führen Sie als weiteres Argument die Relationalität des Menschen an.
Die Annahme einer Vollendung der Tiere bei Gott legt sich nahe, wenn vertieft bedacht wird, was Auferweckung der Toten im christlichen Sinn besagt. Gegenüber allen leibfeindlichen Tendenzen in seinem Umfeld hielt das Christentum stets an der Auferweckung des ganzen Menschen fest. Der Mensch geht mit Körper und Geist, mit Leib und Seele ins ewige Leben ein. Entscheidend ist nun aber, dass der Mensch keine isolierte Monade, sondern ein Beziehungswesen ist. In den vielfältigen Beziehungen zu Um- und Mitwelt besteht für die neuere Theologie die Leiblichkeit des Menschen. Die leibliche Auferweckung der Toten meint demnach, dass ein Mensch mit all dem zu ihm gehörenden Bezogensein auf andere von Gott gerettet wird. Im Leben vieler Menschen spielen Tiere eine grosse Rolle. Vor allem zu Haustieren unterhalten Menschen sehr enge, emotionale Bindungen. Das anthropologische Argument lautet vor diesem Hintergrund: Da Tiere wichtige «Bezugspersonen» für Menschen darstellen und einen zentralen Platz im Herzen vieler Zeitgenossen einnehmen, impliziert die Hoffnung auf eine ganzheitlich gedachte Auferweckung der Toten das Aufgehobensein auch der Tiere bei Gott. Das Argument hat jedoch eine Schlagseite. Es erweckt den Eindruck, dass nur jene Tiere auf eine Vollendung hoffen dürfen, die dem Menschen etwas bedeuten. Die überwiegende Mehrheit des Tierreichs würde dann aber für alle Ewigkeit im Tod bleiben. Denn kein Mensch wird ernsthaft behaupten wollen, dass seine himmlische Glückseligkeit erst dann vollendet ist, wenn sich im Himmel – bildlich gesprochen – Wild-, Raub- und Nutztiere, Ungeziefer und Schädlinge tummeln. Um diesen auf den Menschen fixierten Standpunkt zu überwinden, muss in aller Deutlichkeit gesagt werden: Was Erlösung und Vollendung anbelangt, ist Gott, nicht der Mensch das Mass der Dinge. Ein Gott, der seine Sonne über guten und bösen Menschen scheinen lässt, ist, so dürfen wir annehmen, ein Gott, der all seine tierlichen Geschöpfe liebt, auch die Ameise, die Qualle und die Mücke.

Was sagt die klassische kirchliche Lehre zur Frage nach der eschatologischen Vollendung der Tiere?
Nach traditioneller kirchlicher Lehre ist der Himmel dem Menschen vorbehalten. Drei Hauptgründe wurden für den Ausschluss der Tiere aus dem Himmel angeführt: Erstens wies man auf die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung hin. Der Mensch ist nach Ansicht des Zweiten Vatikanischen Konzils in Gaudium et spes «auf Erden das einzige Geschöpf, das Gott um seiner selbst willen gewollt hat». Zweitens hob man die besondere Bestimmung des Menschen unter allen Geschöpfen hervor. Nur der Mensch sei von Gott auf ein übernatürliches Ziel hingeordnet und dazu bestimmt, an den göttlichen Gütern teilzuhaben. Und drittens: Allein der Mensch sei aufgrund seiner Geistseele in der Lage, seinen eigenen Tod zu überdauern und in der Begegnung mit Gott Ruhe zu finden für sein unruhiges Herz.

Der christliche Glaube geht von einer endzeitlichen Gestaltung des gesamten Kosmos aus. Weshalb waren die Tiere, aber auch die übrige Natur bislang nicht explizit Teil der Reflexion?
Das Christentum nahm jahrhundertelang eine anthropozentrische Perspektive ein. Gott habe die Welt für den Menschen geschaffen. Im Namen und im Auftrag seines göttlichen Schöpfers solle sich der Mensch die Erde untertan machen. Um den Menschen zu erlösen, habe Gott in Jesus von Nazareth Fleisch angenommen. Die Pflanzen und Tiere kamen in Verkündigung und Lehre der christlichen Kirchen nur selten vor. Erst seit Kurzem wird von christlicher Seite stärker betont, dass der Mensch nur ein Bewohner neben vielen im Haus des Lebens ist. Unseren wunderbaren blauen Planeten erschuf Gott nicht allein für den Menschen. Die theologische Anthropozentrik entspricht mehr dem neuzeitlichen als dem biblischen Menschen- und Weltbild. Es ist hoch an der Zeit, die Engführung der christlichen Schöpfungslehre auf den Menschen zu überwinden.

Inwieweit fordert eine Eschatologie der Tiere die klassische Theologie heraus?
Sie hält der Theologie einen Spiegel vor und fordert sie zu einer kritischen Selbstbetrachtung auf. Die Beschäftigung mit den Tieren wirft mehrere Gretchenfragen auf: Nun sag, etablierte Theologie, wie hältst du es mit den nichtmenschlichen Geschöpfen? Bist du in der Lage, zu denken, dass Gott alles Geschaffene liebt und zur Vollendung führen möchte? Hast du stets ausreichend deutlich gemacht, dass der Mensch die Erde nicht beherrschen und ausbeuten darf, sondern bewahren und schützen muss?

Wo sehen Sie Grenzen einer Eschatologie der Tiere?
Eine Eschatologie der Tiere ist m. E. nur ein erster Schritt hin zu einer neuen Schöpfungssensibilität und -spiritualität im Christentum. Es ist wichtig, dass wir die Tiere als unsere Mitgeschöpfe entdecken oder wiederentdecken. Genauso wichtig ist es aber, uns bewusst zu werden, dass wir mit allen Geschöpfen des Universums «eine Art universale Familie bilden», «eine Gemeinschaft, die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt bewegt», wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ schreibt. Das Evangelium ist nicht nur für den Menschen, sondern für alle Geschöpfe eine frohe, tröstliche Botschaft.

Wo sind offene Fragen?
Die Eschatologie der Tiere ist – das muss in aller Ehrlichkeit gesagt werden – ein hochspekulatives Unterfangen. Detaillierte Auskünfte über den neuen Himmel und die neue Erde finden sich in der Heiligen Schrift nicht. Und so bleiben viele Fragen offen. Wie ist etwa die Gottesbeziehung der Tiere vorzustellen? Besteht auch für sie wie für uns Menschen die «himmlische» Seligkeit darin, Gott zu erkennen und zu lieben? Dürfen wir schliesslich hoffen, dass in der vollendeten Schöpfung nicht nur unter den Menschen, sondern auch im Tierreich Frieden herrschen wird, wie es die Bibel in Jes 11 verheisst?

Interview: Maria Hässig

 

* «Der Mensch und das liebe Vieh. Ethische Fragen im Umgang mit Tieren». Von Martin M. Lintner. Innsbruck 2017. ISBN 978-3-7022-3634-2, CHF 28.90. www.tyroliaverlag.at


Interviewpartner Christoph J. Amor

Prof. Dr. Christoph J. Amor (Jg. 1979) studierte Theologie und christliche Philosophie in Innsbruck und Münster. Er ist seit 2013 Professor für dogmatische und ökumenische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen und seit 2014 Direktor der Brixner Theologischen Kurse.

 

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