Glauben am Ende?

Christliche Glaubenskultur sieht sich in Frage gestellt. Hanspeter Schmitt zeigt auf, wie nicht zuletzt an Jesus von Nazareth das Glaubensthema in der Advents-und Weihnachtszeit eine provozierende Wende erfährt.

Die zu Beginn des letzten Jahrhunderts führende Soziologie stellte Religionen und Glaubensphänomenen eine schlechte Prognose. Max Weber etwa umschrieb die Entwicklung künftiger Moderne mit dem Begriff Rationalisierung: Empirisches Wissen, technisches Vermögen und Vernunft würden sich im Zuge dieser Entwicklung stetig vermehren, so dass es auf Religionen und kirchliche Institutionen immer weniger ankäme. Vielmehr seien ihre Potenziale an Welterklärung, Trost und Mythen durch den rationalen Fortschritt entzaubert: Sie würden als überflüssig empfunden und hätten einer säkularen, sprich vernunftorientierten Lebensweise Platz zu machen.

Inzwischen gilt diese Expertise als geschichtlich überholt. Die jüngere kulturelle Entwicklung hat gezeigt, dass der Glaube und seine religiösen wie kirchlichen Ausdrucksformen längst nicht am Ende sind. Zwar hat die Moderne besonders in Mitteleuropa dazu geführt, dass die persönliche und soziale Identifikation mit institutionalisierten Formen von Religion und Kirche stark zurückgeht. Gleichwohl werden Kirchen und ihre Angebote als gesellschaftlich relevant und in diversen Lebenslagen als persönlich bedeutsam empfunden. Dabei sind weitere Phänomene, die den Bestand religiösen Glaubens belegen, noch gar nicht benannt: der Stellenwert kirchlicher Bewegungen gerade in den fortschrittsgeprägten USA; die ungebrochene Bedeutung der Weltreligionen; die Verbreitung eines humanen demokratiefähigen Islams auch in unseren Breiten; oder religionsaffine Zeichen und Riten, die man ganz persönlich sucht – bis hin zum gelebten Vertrauen in einen Gesamtsinn allen Daseins.

Man braucht sich also um die Zukunft von Glaubens-und Religionsformen einerseits nicht zu sorgen; andererseits gilt es, sich dem Wandel und der Pluralisierung dieses Bereiches zu stellen. Besonders für tendenziell unflexible Kirchen-und Bekenntnissysteme besteht die Kunst künftiger Relevanz darin, die eigene Botschaft in den variierenden kulturellen und individuellen Chiffren anbieten und vermitteln zu lernen.

Fragen an christliche Glaubenszukunft

Trotz der Widerlegung der alten Religionssoziologie bewertet ein signifikanter Teil katholischer Kirchenmitglieder den christlichen Glauben und seine Zukunft bleibend skeptisch. Das liegt an Fakten, die ihn erfahrbar unter Druck bringen und seine Weitergabe gefährden:

Wird es, so fragt man, einer reformträgen Kirche gelingen, ihre Traditionen mit aktuellen Glaubens-, Sprach-und Lebensstilen produktiv zu verbinden? Verlaufen die religiösen Sinn-und Suchbewegungen der jungen Generation nicht zumeist jenseits christlicher Vorgaben, sodass – vor allem im Kontext herkömmlicher Gemeinden – von einer nachhaltigen Rezeption des Glaubens nicht mehr gesprochen werden kann? Schliesslich bezogen auf das existenzielle Erleben: Bin ich nicht oft selbst mit dem Glauben am Ende, weil er mir so unzugänglich und bei persönlichen, sozialen oder politischen Krisen nicht ausreichend plausibel und wirksam erscheint?

Nicht alles «beim Alten» lassen

Diese Fragen an die christliche Glaubenszukunft wiegen schwer, nicht zuletzt weil sie aus dem «Tauglichkeitstest» von Christinnen und Christen im Schnittfeld alltäglicher Glaubens-und Lebenserfahrungen stammen. Bei ihrer Reflexion lassen sich aber durchaus konstruktive Entwicklungsperspektiven anführen, vorausgesetzt, man ist bereit, nicht alles «beim Alten» zu lassen.

So hat die Kirche im weltweiten Prozess der Familiensynode 2014/2015 gezeigt, dass sie in der Lage ist, Vollzüge des Menschseins nicht nur abstrakt und pauschal, sondern aus der Perspektive realer Gegebenheiten und Möglichkeiten zu betrachten. Das lehramtlich eingeführte Prinzip situativer Unterscheidung und gewissensgetragener Anerkennung wird ein zentraler Baustein für die Anschlussfähigkeit kirchlicher Institutionen in diesen anspruchsvollen Fragen sein. Zudem lässt sich von der regionalen Inkulturation der Kirche, etwa im afrikanischen Kontext, lernen: Auch für westliche Regionen geht es darum, die dort symbolisch und sprachlich leitende «Grammatik» in ihrer Vielfalt und Vitalität für einen sozial tiefer verankerten Glauben fruchtbar zu machen.

Religiosität der Jugendlichen

Auf diesem Weg würden auch Jugendkulturen in die christliche Glaubensgenese einbezogen. Wer Jugendliche – ihr konsequentes, oft idealistisches Streben nach Glück, Glaubwürdigkeit, Sinn und überzeugenden Daseinsperspektiven – kennt, begegnet darin einer originär religiösen, um Ganzheit und Integration ringenden Dynamik. Dabei zeigen sie sich, oft mehr als andere, für eine praktische wie politische, aber auch leibhaftige und spirituelle Ausgestaltung ihrer Religiosität offen. Die ihnen angebotenen Formen und Kooperationen dürfen sie aber nicht prinzipiell befremden, sondern sind ihrem authentischen Selbstausdruck entsprechend zu verändern.

Sozialität und Zuwendung

Daraus ergibt sich ein Hinweis bezüglich der existenziellen Krisen und Suchbewegungen, die die Sicherheit und Kraft des Glaubens auf eine harte Probe stellen können. Auch hier braucht es eine konstruktive wie kompetente Pastoralkultur. Gleichwohl liegt die Zukunftsfähigkeit eigenen Glaubens gerade nach biblischer Auskunft nicht im ungefährdeten Besitz von Hoffnung und Glück, sondern in der Bereitschaft, gemeinsam aufzubrechen und das neue grössere Leben Gottes zu wagen. Biblische Propheten und christliche Mystikerinnen ermutigen dazu: der Anspruch Gottes führt sie zwar fast zwangsläufig in solche bedrängende Krisen, aber dank der Sozialität gelingender Zuwendung reifen sie darin zu gott-, mensch-wie weltverbundenen Zeugen des Glaubens.

Advent: Neue Entschiedenheit zu Gunsten der Lebensfülle

Der massgebliche Zeuge christlichen Glaubens bleibt Jesus von Nazareth. Nimmt man seine Verkündigung und Praxis der nahe gekommenen Gottesherrschaft ernst, erfährt das Glaubensthema eine provozierende Wende – auch mit Blick auf die adventliche Gestalt der Kirche: Jesus praktiziert die Ankunft Gottes im Bewusstsein des baldigen Weltgerichtes; er sieht Glauben wie Leben mit diesem definitiven, allumfassenden Ende konfrontiert.

Kirchliche Kommunikation neigt dazu, diese apokalyptische Logik zu verschweigen oder daraus eine bedrohliche bzw. weltverneinende Denkstruktur abzuleiten. Beides verfehlt die Verkündigung Jesu. Sie hängt an dieser Logik, aber um eine neue Entschiedenheit zu Gunsten der Lebensfülle zu bewirken! Es geht darum, die Wahrheit des göttlichen Schalom, auf die es schon immer ankam, jetzt mit existenzieller Kraft und Umkehrbereitschaft zu ergreifen. Das prägt und relativiert selbstredend alle sozialen Formen wie alle Akte des Habens und Geltens von Grund auf: Sie wandeln sich entlang der Notwendigkeit, die nahe Herrschaft Gottes entschlossen zu realisieren. In dieser Dynamik löst sich auch jede Fixierung auf blockierende Erfahrungen, egozentrische Enge, Macht und leeren Schein, sodass hier und heute Transparenz und Raum für Gottes Gerechtigkeit und Frieden entstehen.

Vollendung des Heiles finden

Zu Recht wird gefragt, wie diese jesuanische Intensität in die Verkündigung etwa der Advents-und Weihnachtszeit einzubringen wäre. Sie führt zur nötigen wie heilsamen Kritik einschlägiger Gepflogenheiten und Stereotypen, aber auch aller anderen Daseins-und Glaubenspraktiken. Jedoch gilt es, den innersten Beweggrund dieser Verkündigung dabei nicht zu verstellen: Ihr Kern und Sinn ist die unbedingte Güte und Solidarität dieses Gottes. Gott geht mit und durch Christus nochmals und auf neue Weise in seine Schöpfung ein, damit kein Geschöpf verloren wird und alle den Weg in die Zukunft und Vollendung des Heiles finden.

 

Hanspeter Schmitt

Hanspeter Schmitt

Dr. theol. Habil. Hanspeter Schmitt ist Ordentlicher Professor für Theologische Ethik an der Theologischen Hochschule Chur.