Glaube, Kirche und Konfliktlösungsmechanismen im Heute

Die amerikanische Ordensschwester Pat Farrell hielt als Vertreterin des US-amerikanischen Leitungsverbandes der Ordensfrauen («Leadership Conference of Women Religious» LCWR) anlässlich der Verleihung des Herbert-Haag-Preises an diese Führungsorganisation am 14. April 2013 eine beachtenswerte Dankesrede, die sich mit den Hoffnungen und Zielen dieses Verbandes auseinandersetzt und in Fällen von Konflikten einen Weg aufzeigt, wie Schwierigkeiten überwunden werden können. Wir veröffentlichen hier die Teile der Rede, die von allgemeinem Interesse sind. Für weitere Informationen verweisen wir auf die Homepage der Herbert-Haag-Stiftung: www.herberthaag-stiftung.ch . Die Übersetzung des Textes aus dem Amerikanischen ins Deutsche besorgte Roland Twerenbold. Wir danken der Herbert-Haag-Stiftung für die Abdruckerlaubnis.

 

Ich bin sehr glücklich, zu Ihnen über unsere Ziele und Träume als Verband zu sprechen. Es gibt nichts Wichtigeres. Teilhard de Chardin sagt: «Der einzige Weg vorwärts geht in der Richtung einer gemeinsamen Leidenschaft, denn nichts im Universum kann letztlich der wachsenden Begeisterung der kollektiven Seele widerstehen.» Ich freue mich, zu Ihnen über die gemeinsame Leidenschaft von Leiterinnen, die in der LCWR organisiert sind, zu berichten. In erster Linie ist es das Ziel unseres Verbandes, Leiterinnen von Kongregationen Hilfe zu bieten bei der Anleitung von Schwestern, in dieser historischen Zeit auf treue und essenzielle Weise ein religiöses Leben zu führen. Wir helfen Leiterinnen zu führen und gemeinsam zu erkennen, welche Art geistlicher Führung unsere Zeit benötigt. Der Verband dient als Forum, Probleme und Ideen zu erkunden, Mittel zu teilen und gegenseitige Unterstützung zu bieten.

Die Einleitung zu unserem Fünf-Jahres-Plan lautet: «Wir, die Mitglieder des Leitungsverbandes von Ordensfrauen, glauben, dass Gottes Anruf in den Zeichen unserer Zeit eingeschrieben ist. Unsere Vorfahrinnen und Gründerinnen traten ein ins Chaos und das Ungewisse ihrer Zeit, vertrauten auf Gottes gute Führung und wunderbare Vorsehung. In unserer Zeit sind wir zu Gleichem gerufen. Beseelt vom radikalen Anruf der Frohbotschaft, geführt durch Gottes Geist und in gegenseitiger Begleitung, erfassen wir unsere Zeit als heilig, unsere Führung als heilig und unsere Herausforderungen als Segnungen.»

Wir stehen vor vielen Herausforderungen. Das Ausüben geistlicher Führung im besonderen Zusammenhang der Kultur der Vereinigten Staaten ist nicht die geringste davon. Wie verkünden wir als amerikanische Ordensfrauen die Werte der Frohbotschaft und rügen die Gegen-Werte in einem Umfeld der Konsumgesellschaft, des Militarismus, des Isolationismus, mit all den begleitenden sozialen und politischen Verwicklungen? Wir wollen Jesus in unserer Zeit nachfolgen. In seinem eigenen kulturellen, religiösen und historischen Milieu verstand es Jesus, Dinge verschieden zu sehen, alternative Werte anzubieten und die Menschen zu einer umfassenderen Gemeinschaft einzuladen. Das Gleiche wollen wir in unserer Zeit erreichen.

In zweiter Linie stehen sowohl unsere einzelnen Kongregationen wie auch der LCWR weitgehenden demografischen und finanziellen Veränderungen gegenüber. Als Verband stehen wir in einem Prozess des Planens auf weite Sicht, um die Lebensdauer und die Wirksamkeit der Organisation bei abnehmenden Mitteln zu maximieren. Wir arbeiten zusammen mit andern nationalen Organisationen, helfen Kongregationen in der Planung hinsichtlich Finanz- und Leitungsnöten, da die Anzahl der Schwestern abnimmt. Wir ermutigen zu mehr Solidarität unter Kongregationen, um einander angesichts einer sehr unsicheren Zukunft zu helfen.

Drittens leben wir in einer Zeit enormer Wechsel. Veränderung wird immer rascher. Wir erfahren die drückende Wucht einer sich schnell entwickelnden Welt und eines Universums mit einer damit einhergehenden Vielfalt von Kulturen, Weltsichten und Theologien. Als Verband versuchen wir, eine vorausschauende, eine «antizipierende» Führung auszuüben. Referierende und Themen bei unserer jährlichen Zusammenkunft konzentrieren sich auf neues Denken, das – besonders in der Theologie – zum Vorschein kommt. Letzthin haben wir beispielsweise zusammen überlegt, was wir von der neuen Universumsgeschichte und der ökologischen Bewegung lernen können, und was für Folgerungen sich daraus für Theologie, religiöses Leben und für die Kirche ergeben könnten. Was führt Gott in all dem herbei, und zu was für Veränderungen in uns lädt es ein? Der Prophet Jesaja verkündete: «Seht, ich schaffe Neues. Könnt ihr es nicht sehen?» Wir versuchen zu erkennen, zu welcher Mithilfe an der Zukunftsgestaltung Gott uns aufruft und unsere Rolle darin wahrzunehmen. Zusammen mit dem LCWR-Vorstand und dem nationalem Büro wurde eine Kommission eingesetzt, um aktiv die Zeichen der Zeit aus der Sicht der Frohbotschaft zu deuten und die Folgerungen für das religiöse Leben zu beachten, und daraufhin die Mitglieder auf die sich stellenden Fragen, Probleme und Trends aufmerksam zu machen. Unsere Hoffnung geht dahin, dass diese Fragen eingehen werden in das Planen unserer Programme, Dienste und Hilfsmittel, die wir unseren LCWR-Mitgliedern anbieten, um ihnen in ihrem Leitungsdienst beizustehen.

In Kirche wie Gesellschaft gibt es verschiedene Reaktionen auf Veränderungen. Gewisse Personen und Gruppen reagieren mit Angst und wollen an der Gegenwart festhalten oder in die Vergangenheit zurückkehren. Andere wollen hoffnungsvoll voranmachen. Dieser Unterschied erklärt teilweise die Polarisation in unserer Kirche und in der Welt. Was immer der Grund sein mag, es herrscht klar ein Klima der Polarisierung, und eine unserer aufrichtigsten Hoffnungen ist es, Wege zu finden, die dies heilen helfen. Seit langem erfahren wir eine Art Stockung, eine Blockierung, im Besonderen in gewissen Teilen der Kirche. Sowohl innerhalb der LCWR wie auch einzelner Kongregationen haben wir viele Diskussionen darüber geführt, wie wir auf konstruktive Weisen diese Stockung angehen können.

Unsere wichtigste Schlussfolgerung war, dass im Falle eines klaren Nicht-mehr-weiter-Kommens einzig der Weg hinunter bleibt, zu einem tieferen kontemplativen Ort der Begegnung mit dem allernährenden Grund von Gottes transformierender Präsenz. Bewusst führen wir einen kontemplativeren Stil der Konversation miteinander. Wir pflegen Stille, Rückzug [in Einsamkeit] und Gebetshaltung sowohl in unseren Versammlungen als auch in unseren persönlichen und gemeinschaftlichen Leben. Persönlich habe ich mit meinem eigenen Kongregations-Leitungsteam ausgehandelt, an mehreren Tagen eines Monats Zeit für Einsamkeit und Gebet einzuhalten. Eines der wichtigsten Ziele der LCWR ist es, uns für Gottes Bewegen in uns bereit zu sein, um dadurch in die Zukunft geleitet zu werden, die Gott durch uns schaffen will. Wir sind uns unserer Bedürftigkeit für mystische Tiefe, Horchen und Veränderung bewusst geworden. Der Natur nach ist religiöses Leben sowohl mystisch wie prophetisch. Diese beiden Seiten können nicht getrennt werden, aber beide müssen sehr bewusst gelebt werden. Wir sind sehr aktiv gewesen im Bereich der Prophetie. Unser Ziel ist es, den mystischen Bereich zu vertiefen und die beiden Dimensionen auf konkrete, praktische Weise zusammenzubringen.

Indem wir das tun, lernen wir einen besseren Dialog, wie wir in echte Konversation mit «dem andern» treten können. Wir werden so unserer fundamentalen Übereinstimmung bewusst. Es braucht eine Schulung, um nicht jeden Gesichtspunkt als richtig oder falsch anzusehen, sondern die Spannung von Differenzen auszuhalten, bis sich etwas verändert oder sich etwas Neues zeigt. Allmählich lernen wir, wie wir respektvoll in einer Zeit des Übergangs stehen können: weder mit Beherrschen noch mit Unterwerfung, vielmehr in Freiheit, Erwartung, tiefem Hinhorchen, Verschiedenheit achtend und Vielfalt willkommen heissend, selbst wenn wir mit unserer Verschiedenheit nicht willkommen sind. Wir können in diesem Prozess nur unseren Beitrag leisten, doch wir wollen ihn gut leisten. Wir möchten Salz, Licht und Sauerteig sein in diesem Moment unserer Zeit und die Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und höchst unverdiente Liebe Gottes für die Welt zeigen.

 

Pat Farrell

Pat Farrell

Sr. Pat Farrell OSF war bis im August 2012 Präsidentin der «Leadership Conference of Women Religious» LCWR ( https://lcwr.org/