Gewichtiges zur Ehe-Theologie

Cormac Burke fasst in seinem Buch «The Theology of Marriage. Personalism, Doctrine and Canon Law»1 die Essenz seiner innovativen und vielseitigen Artikel aus den Jahren 1988 bis 2010 zusammen.

Burke stellt die Institution Ehe als ein Heilmittel vor, das durch die empfangenen sakramentalen Gnaden weg von Selbstzentriertheit und heraus aus egoistischem Individualismus die Berufung der Ehepartner zur Heiligkeit unterstützen kann. Er entwickelt dabei eine personalistische Sicht der Ehe, die die Institution Ehe nicht als der individuellen Selbsterfüllung entgegengesetzt ansieht. Im Gegenteil, die kanonische Institution Ehe schützt nach Burke die persönlichen Rechte des individuellen Christen, in Heiligkeit zu wachsen.

Kontroverses zwischen Moraltheologie und Kanonistik

Wer gemäss dem Titel eine allgemeine Einführung in die Ehetheologie mit besonderem Fokus auf Personalismus, Doktrin und Kirchenrecht erwartet, kann enttäuscht werden. Aus dem Bereich Ehetheologie und Eherecht wird von Burke eine Auswahl an ganz speziellen Themen betrachtet, insbesondere diejenigen Themen, bei denen gemäss Burkes Erfahrungen kontroverse Ansichten zwischen Moraltheologen und Kanonisten vorherrschen. Dabei zeigen Burkes Positionen eine starke Anlehnung an die «Theologie des Leibes» von Johannes Paul II.

Die von Burke ausführlich und fast ausschliesslich im Blickwinkel seiner eigenen Position vorgestellten ehetheologischen Themen sind die Be rufung der Ehepartner zur Heiligkeit und die Bedeutung der gnadenspendenden Wirkung des Ehesakramentes, die Untrennbarkeit der Eheziele des CIC 1983 und die Ablehnung einer Hierarchie von Ehezielen, die Herleitung und Interpretation des «bonum coniugum» und die Ablehnung des «remedium concupiscentiae».

Christlicher Personalismus Antwort auf Individualismus

Cormac Burke, Rechtsanwalt, promoviert in Canon Law, Professor für Moraltheologie und Spezialist auf dem Gebiet des Kanonischen Eherechts, wurde 1986 als Richter an die Römische Rota gerufen. Dieser Ruf nur drei Jahre, nachdem die aktuelle Fassung des Kirchenrechts promulgiert wurde, war eine Herausforderung für Burke, so wie die Auseinandersetzung mit und Rechtsprechung gemäss dem CIC 1983 eine Herausforderung für die meisten im Bereich des Eherechts involvierten Kanonisten der achtziger Jahre war. In dieser Zeit intensiver Auseinandersetzungen mit den Dokumenten und der Denkweise des Zweiten Vatikanischen Konzils kam Burke schliesslich zu der Überzeugung, dass die christliche, personalistische Sichtweise des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Antwort auf die Probleme des modernen Individualismus lieferte. Diese Überzeugung, dass eine personalistische Anthropologie vor einem übersteigerten modernen Individualismus bewahren kann, ist nicht nur Hauptthema von Burkes Buch «Man and Value: A Personalist Anthropology», das er 2013 veröffentlichte, sondern auch der rote Faden, der die thematisch abgegrenzten Kapitel in «The Theology of Marriage» durchzieht. Zusammengehalten werden die verschiedenen Ausführungen durch Burkes optimistische Vision des kanonischen Ehebundes als Gut, das zur Heiligkeit der Ehepartner führt, wenn durch die vermittelten Gnaden und im Gebet Individualismus und Egoismus überwunden werden können. Burke liefert in «The Theology of Marriage» darüber hinaus eine ausgezeichnete Rückbesinnung, wie die Eheziele des CIC 1983 in der Tradition der Kirche verwurzelt sind.

Ehesakrament mit heiligendem Effekt

Jedes Kapitel aus «The Theology of Marriage» entspricht einem von Burkes Artikeln2. Das erste Kapitel «Marriage – Sacramentality and Faith» startet mit grundsätzlichen kanonischen und sakramentaltheologischen Aussagen. Es etabliert die Voraussetzungen für den Rest des Buches: Die rechtlichen Elemente der Eheschliessung sind an die natürlichen Elemente gebunden und sollten daher nicht als einengend, sondern befreiend angesehen werden. Burke ist überzeugt von der Anziehungskraft der «bona», dem Wohl auch der natürlichen Ehe (Nachwuchs, Treue, Ausschliesslichkeit). Die Sakramentalität der christlichen Ehe macht jedoch diese Elemente erst zu Mitteln der Erlösung. Burke schlägt deshalb vor, dass wir uns dieser Gnaden regelmässig bewusst werden und sie als Quelle für erneuerte und zunehmende Gnaden in unserem Leben erleben. Der Ehebund ist ein beständiger Gnadenquell für die Ehepartner. Burke erinnert, dass das Ehesakrament lange Zeit auf seinen «Zeichencharakter» reduziert wurde und theologische Reflektionen in Bezug auf den heiligenden Effekt auf die Ehepartner unterbewertet wurden. Burke schlägt daher vor, dass Priester stärker die unterstützenden Gnadengaben herausstellen, die den Ehepartnern helfen, den Anforderungen des Lebens zu begegnen.

Im zweiten Kapitel «Marriage – Sacrament and Sanctity» verknüpft Burke die Berufung jedes Getauften zur Heiligkeit mit klaren Anleitungen, wie diese Berufung zur Heiligkeit innerhalb der Ehe gelebt werden kann.

Das dritte Kapitel «The Ends of Marriage: A Personalist or an Institutional Understanding?» widmet Burke der Hierarchie der Eheziele. Die personalistischen Güter der kanonischen Ehe, Liebe und Selbstaufgabe, seien keine «Erfindung» erst des Zweiten Vatikanischen Konzils, sondern sind bereits in der Enzyklika Casti Connubii zur Sprache gekommen. Auch hat das personalistische Gut der Ehe einen Platz im CIC 1983 im «Wohl der Ehepartner» als Ziel der Ehe gefunden. Immer noch herrscht in der Interpretation dieses Begriffs von 1983 Uneinigkeit. Burke unterstreicht, dass beide Eheziele, die Nachkommenschaft und das Wohl der Ehepartner, sowohl personalistische als auch institutionelle Ziele der Ehe sind. Seine weitere Argumentation führt zu dem Schluss, dass, anstatt einer Hierarchie der Ehegüter, eine Untrennbarkeit und Einigkeit der Eheziele «Nachkommenschaft» und «Wohl des Ehepartners» betrachtet werden sollte.

Im vierten Kapitel «A Further Look at the ‹Goods of the Spouses›» wird eine personalistische Interpretation des Wohls der Ehepartner weiter vertieft. In der Analyse des «bonum coniugum» stellt Burke heraus, dass Personalismus und moderner Individualismus sehr unterschiedlich sind. Während Individualismus die Einzigartigkeit der Person betont und das Recht auf Autonomie und Selbstverwirklichung, lehrt christlicher Personalismus, dass nur im Selbstschenken der Mensch sich selbst finden kann. Er schliesst das Kapitel mit Reflektionen, was das Wohl der Ehepartner für die Bestimmung der Gültigkeit einer Ehe liefert.

Das fünfte Kapitel «Church Law and The Rights of Persons» scheint all denjenigen gewidmet, die den pastoralen Weg als einen lockeren Umgang mit dem Kirchenrecht verstehen. Burke stellt den Wert von Gesetzen für eine Gesellschaft heraus, wie Institutionen das Recht des Individuums schützen und was dies für die Unterscheidung von Personalismus und Individualismus bedeutet. Personalismus betont die Würde und die Rechte einer jeden Person, als Kreatur Gottes und in ihrer Berufung zur göttlichen Nachfolge in Jesus Christus. Daraus ergeben sich Pflichten gegenüber anderen Personen und gegenüber der Gemeinschaft. In der Erfüllung dieser Pflichten sieht Burke einen Weg persönlicher Weiterentwicklung und zur Selbsterfüllung. Demgegenüber betont Individualismus das Interesse und die Vorteile des Individuums als Selbstzweck und ungeachtet der Beziehung und Abhängigkeit des Individuums zur und von der Gemeinschaft. Burke nutzt seine argumentative Auseinandersetzung für ein Plädoyer des hohen Wertes der Unauflöslichkeit der Ehe für die Partner, für die Kinder und für die ganze Gesellschaft. Daraus folgert Burke die Notwendigkeit, der Ehevorbereitung einen angemessenen Raum zu schenken, einen weit grösseren Raum als bisher genutzt. Priester müssten den Ehepartnern helfen, die Vorzüglichkeit der Ehe und des Eherechts zu verstehen um den Herausforderungen in einer Ehe angemessen begegnen zu können. Er schliesst mit einer Prognose, dass Ehepartner, die sich durch die Schwierigkeiten einer geschwächten Ehe durcharbeiten, letztendlich grösseres Glück erfahren als diejenigen, die in einer Scheidung den Ausweg suchen.

Das sechste Kapitel «The ‹Good› and the ‹Bad› in Marriage according to St. Augustine» ist eine Verteidigung der Augustinischen Ehelehre. Im Detail geht Burke darauf ein, warum die Augustinische Eheeinstellung, zumeist als negativ und sexualpessimistisch abgeurteilt, aus seiner Sicht in Wahrheit eine optimistisch-realistische Einstellung gegenüber der Institution Ehe und gegen Strömungen seiner Zeit ist: Augustinus war ein optimistischer Verteidiger der Ehe gegenüber den sexualpessimistischen Lehren des Manichäismus und ein realistischer Verteidiger der Ehe gegenüber den überaus freizügigen Lehren des Pelagianismus.

Das siebte und kürzeste Kapitel «The Inseperability of the Unitive and Procreative Aspects of the Conjugal Act» liefert Burkes Hauptgrund für die Ablehnung von Empfängnisverhütung. Ähnlich der Argumentation zur Untrennbarkeit der beiden Eheziele des CIC 1983 aus Kapitel drei unterstreicht Burke hier, dass der personalistische Charakter des Eheaktes nicht vom prokreativen Aspekt getrennt werden kann. Die eheliche Vereinigung zweier Menschen beinhaltet in ihrem personalistischen Aspekt des Sich-Schenkens das Geschenk der Zeugung.

Das letzte Kapitel ist dem «remedium concupiscentiae» gewidmet. Es ist nicht die Ehe, die ein heilendes Mittel gegen die übermässige sexuelle Begierde liefert. Die sakramentale Ehe kann jedoch durch Wirkung von Gnade unangemessene und nicht mehr selbstkontrollierte sexuelle Begierde von ihrer Selbszentriertheit reinigen. Für Burke war der sekundäre Ehezweck ‹remedium concupiscentiae› eines der Hindernisse, die zu dem Verständnis von Ehepartnern als Christen zweiter Klasse (nach den Ordensleuten) beigetragen hat. Eine Absage an diesen Ehezweck ist daher Bedingung, um die Gleichstellung der Ehepartner zu den Ordensleuten zu unterstützen und die Ehe als Weg zur Heiligkeit anzuerkennen.

Fundierte Argumentation

Insgesamt besticht Cormac Burkes «The Theology of Marriage» durch eine schlüssige Zusammenstellung fundierter Argumentationen aus ausgewählten Themen im Bereich Ehetheologie. Dafür schöpft Burke ausgiebig aus diversen lehramtlichen, historischen, ehetheologischen Dokumenten sowie aus verschiedenen Textstellen der Heiligen Schrift. Burkes Vision von christlicher Ehe als Lebensform zur Heiligkeit und seine von ihr abgeleiteten Handlungsaufforderungen an Priester, Seelsorger und Ehepartner zeugen von einer sehr positiven Sicht auf Ehe und Sexualität. Burke sieht den Menschen als «kranke» Kreatur mit göttlicher Vorhersehung, die dazu berufen ist, ihre ursprüngliche Vollkommenheit wiederzuerlangen. Auf der Basis dieser Perspektive wirkt Burkes positive Sichtweise, die sich durch das gesamte Buch zieht, nicht naiv, sondern konsequent realistisch.

 

1 In englischer Sprache in The Catholic University of America Press veröffentlicht August 2015.

2 Die verschiedenen Kapitel des hier vorgestellten Buches basieren überwiegend auf folgenden Veröffentlichungen des Autors: Kap. 1 The Sacramentality of Marriage: Theological Reflections, Annales Theologici 7 (1993) 47–69; Kap. 2 Marriage as a Sacrament of Santification, Annales Theologici 9 (1995) 71–87; Kap.3 Marriage: A Personalist or an Institutional Understanding?, Communio 19 (1992) 278–304; Kap. 4 Personalism and the bona of Marriage, Studia canonica 27 (1993): 401–412, Autorealizzazione e Dono di Se, nel Matrimonio e nella Famiglia, Studi Cattolici (Feb. 1997) 84–90 und The Object of Matrimonial Consent: A Personalist Analysis, Forum 9, no. 1 (1998) 39–117; Kap. 5 The Pastoral Character of Church Law, Homiletic and Pastoral Review (March 1988) und Marriage: A Personalistic Focus on Indissolubility, Linacre Quaterly 61 (1994) 48–56; Kap. 6 San Augustin, Matrimonio y Sexualidad, El pensamiento de San Augustin para el hombre de hoy (3 vols.), ed. by Jose Antonio Galindo Rodrigo, Valencia 2010, 3, 601–649; Kap. 7 Marriage and Contraception, Osservatore Romano (English Edition) October 10, 1988; Kap. 8 A Postscript to the Remedium Concupiscentiae.

 

Susanne Rommel

Dr. rer. nat. Susanne Rommel, MBA, ist als Quality Executive in der Biopharmazeutischen Industrie im Silicon Valley in Kalifornien tätig. Sie promovierte in Angewandter Mathematik in Hamburg, erwarb ihren MBA an der Santa Clara University der Jesuitenhochschule im Silicon Valley und ist Theologie-Studentin an der Universität Luzern.