Geschichte - Spiegel der Gegenwart

Die Moderne

Was mit dem abschliessenden dritten Band der «Geschichte des Bistums Basel» mit dem Untertitel «Die Moderne» auf 179 grossformatigen, dreispaltigen, überreich und intelligent illustrierten Seiten (farbig und schwarz-weiss), mit instruktiven Karten und Statistiken versehen, in solidem Einband vorliegt, ist ein Meisterwerk der gegenwartsbezogenen Geschichtsschreibung.1 Hier wird weder beweihräuchert noch ausgepfiffen, sondern klug, spannend, nachdenklich machend in guter Übersicht und in fassbare Abschnitte gegliedert dargestellt und erzählt. Eine Riesenarbeit ist leserfreundlich und -anregend glücklich zu Ende gebracht.

Die Voraussetzungen

Das Bistum Basel in seiner heutigen Gestalt stammt aus dem Jahre 1828. Es wurde aus der «Trümmerlandschaft» des alten Fürstbistums und anderen Territorien zusammengebastelt. Europa war in einem Umbruch begriffen, wie er jedes Jahrhundert einoder zweimal den Kontinent ergreift. Heute besteht das Bistum aus zehn Diözesankantonen, eine nicht gerade kirchenkonforme Struktur, aber historisch so gewachsen (oder besser: hergestellt). Früher in katholische Stammlande, reformierte und wenige paritätische Gegenden eingeteilt, 1815 durch den Zuschlag des Juras zu Bern erst noch zweisprachig geworden, ist dieses Bistum von Natur aus nicht gerade leicht zusammenzuhalten. Die drei Teile aus den Bistümern Basel, Konstanz und Lausanne hatten verschiedene Traditionen geschaffen. Vor das Auge tritt eine weitere weltgeschichliche und weltkirchliche Wende, wenn das Buch in die Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zweiten Vatikanischen Konzil eintaucht und die – nicht einzig dadurch verursachten, sondern zeitgleich entstehenden – Verwerfungen klar benennt und die Zusammenhänge verdeutlicht.

Ein Autor und die Ausstattung

Ich glaube, man hätte kaum einen besseren Autor gefunden, der die gewaltige Masse an Literatur so souverän und elegant gemeistert hätte wie Gregor Jäggi. Der promovierte Historiker war noch als Laie Archivar des Bistums Basel in Solothurn, trat mit 36 Jahren ins Kloster Einsiedeln ein, wo ihm allerdings nicht die beschauliche Musse des Stubengelehrten beschert war, sondern wo ihn die viel fältigen klösterlichen und geistlichen Aufgaben (vom modern organisierten Archiv bis zum Beichtstuhl, früher auch als Novizenmeister) schwer in Anspruch nehmen. Das Buch kommt ohne Fussnoten aus; wer sich aber selber forschend mit der Thematik befasst hat, merkt auf Schritt und Tritt, wie beschlagen der Autor ist, wie geschickt er auswählt und sie in grössere Zusammenhänge einordnet. Er hat selber ein reiches Bildmaterial aus öffentlichen und privaten Archiven ausgebeutet, eine Unmenge von Übersichtskarten entworfen, die unerlässlichen Statistiken beigesteuert. Der vom Verlag bestellte Layouter hat gute Arbeit geleistet. Jedenfalls liegt hier eine in jeder Hinsicht moderne Geschichte des Bistums Basel vor.

Die Zeitenfolge

Das Werden und Wachsen dieses neu-alten Bistums wird in fünf Kapiteln verfolgt. Zuerst wird die mühsame Reorganisation beschrieben, dann beginnt auch schon die erste Epoche «der Gärungen und des sprengenden Pluralismus» von 1828 bis Anfang der 1870er-Jahre. Die Spannungen beim Wandel der Eidgenossenschaft vom Staatenbund zum Bundesstaat mit der rabiaten Vorherrschaft des (radikalen) Freisinns werden auch im Bistum Basel ausgetragen, v. a. in Luzern, Solothurn, Aargau und im Berner Jura. Die Berufung der Jesuiten nach Luzern (und Freiburg) entfacht die Rache der anders Gesinnten, die Proklamation der Unfehlbarkeit des Papstes (und der kaum wahrgenommenen allgemeinen Jurisdiktion des Papstes bis in jedes Bistum hinein) macht mehrere Kantonsregierungen nervös, die oft unrechtmässig Klöster aufheben, alles verstärkt durch das Entstehen einer papstunabhängigen, dafür umso mehr staatsabhängigen alt- oder christkatholischen Kirche, deren Start in der Schweiz äusserst unglücklich ist. Aber statt der Zertrümmerung oder wenigstens Schwächung der römischen Kirche erreicht der Staat nur eine stramm ultramontane, d. h. «jenseits der Berge» auf den Vatikan bezogene Kirche, die im Lauf der Zeit mit modernsten Mitteln (Vereine, Presse) zum unumgänglichen Partner und dann, hundert Jahre später, zur voll ins Staatswesen integrierten Gesellschaft wird. Der Kulturkampf ist kurz, wird aber bitter ausgetragen. Man grenzt sich ab, was zu einer verengten Einheit führt. Noch nicht ganz aufgehellt ist, warum die Kirche nach 1960 «fast über Nacht» sich aufzulösen beginnt; das Volk zerstreut sich, sozial und geografisch, die Konfessionen mischen sich, das Individuum macht seine Rechte geltend, sei es als Laie oder Priester. Ein rasanter Priestermangel (nicht wegzureden mit der Floskel vom «Gläubigenmangel») zwingt schliesslich zu Umorganisationen, deren Ende und Folgen noch nicht abzusehen sind. Erfrischend ehrlich sind die Bischofsporträts, die der Autor beisteuert.

Flächenbild

Im zweiten Teil (sechs Kapitel) werden ein paar Hauptthemen des Kirchenbildes beschrieben. Die sozial bedingten Wanderungsbewegungen führten zu einer neuen Art von Katholizismus: Es war nicht mehr ein territorial geschlossener, sondern «verstreuter» (Diaspora-)Katholizimus. Dazu gehörten immer mehr die ausländischen Katholiken, die als «Gastarbeiter» – damals noch ehrlicher «Fremdarbeiter» – ins Land strömten, mit einem völlig anders gestimmten Kirchengefühl im Hintergrund, ganz abgesehen von der fremden Sprache und Kultur. Schon norditalienische Geistliche hatten ihre Mühe mit der süditalienischen Frömmigkeit (oft Nichtfrömmigkeit). Man war auf all diese Probleme nicht vorbereitet, aber machte sich in immer mehr problembewusster Weise damit vertraut. Seit langem gab es identitätsstiftende Grundstrukturen des kirchlichen Lebens: Vereine, Wallfahrten, Prozessionen, Missionen, Festlichkeiten. Vieles diente nicht nur der Glaubensvertiefung, sondern auch der machtbewussten Demonstration nach aussen. Wer diese Form nicht so mochte, wurde nur allzu leicht ausgegrenzt: Liberale (religiös oder politisch), Sozialisten, «Laue» waren zum Vornherein gestempelt. Zwar war «das kirchliche Personal» bedeutsam, bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Geistlichkeit zumeist geachtet und auch mächtig. Durch Beichte und Predigt und Religionsunterricht konnte sie das Kirchenvolk zähmen und ihm nicht nur die richtige Lehre, sondern auch die richtigen Lebensprinzipien verabreichen. Beides wurde nie zur Gänze übernommen, und was Ehe und Familie betrifft, durch die Nicht-Rezeption von «Humanae vitae» 1968 endgültig besiegelt. Äusserst informativ und im Grunde zukunftsweisend sind die Ausführungen über die Bedeutung der Frauen: Ehefrauen, Familienmütter, Ledige, Ordensfrauen haben von Anfang an den Glauben in der Familie und Gemeinde weitergetragen, sie haben die Männer zur Religionsausübung motiviert, sie haben die Pfarrgeistlichkeit in unermüdlicher ehrenamtlicher Arbeit unterstützt, sie haben in vielen Gremien mitgewirkt: ein Signal für die Zukunft! Die kirchlichen bzw. staatskirchenrechtlichen Organisationsformen werden in ihrem Entstehen, ihrem Nutzen und bisweilen in ihrer Fragwürdigkeit vorgestellt.

Abschliessend wird man sagen können, dass die Kirche nicht im Ruin, sondern im Wandel ist. «Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern» (G. Tomasi di Lampedusa, Il Gattopardo). Und man kann für die einzelnen Faktoren nicht monokausale Behauptungen aufstellen. Viele Übel sind nicht von aussen eingedrungen, sondern sind Eigenprodukt. Das Buch ringt Achtung ab.

1 P. Dr. Gregor Jäggi OSB: Das Bistum Basel in seiner Geschichte. Die Moderne. (Editions du Signe) Strasbourg 2013, 179 Seiten, gebunden, reich illustriert. Das Buch kann zum Preis von 25 Franken plus Versandkosten bezogen werden bei: Druckerei/Versand, Bischöfliches Ordinariat, Baselstrasse 58, Postfach 216, 4501 Solothurn, Telefon 032 625 58 18, E-Mail ; Bestellung über die Internetseite http://www.bistum-basel.ch/de/QuicklinkShop/Shop/Pastorale-Hilfen.html oder direkt auf der Startseite über den «Einkaufskorb».

Iso Baumer

Iso Baumer

Dr. Iso Baumer, geboren 1929 in St. Gallen, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und war als Gymnasiallehrer in Bern und Lehrbeauftragter für Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg (Schweiz) tätig. Er befasste sich früh mit Theologie und verfasste viele Publikationen zur westlichen und östlichen Kirchengeschichte (religiöse Volkskunde, Ostkirchenkunde).