Gemeinsam «katholisch werden»

Braucht es anderssprachige katholische Missionen noch? Das ist eine prominent gewordene Frage innerhalb der Kirche. Daria Serra-Rambone kennt die Problematik aus eigener Erfahrung.

Treffen in der Missione cattolica Schaffhausen. (Bild: Daria Serra-Rambone)

 

Ich habe Verständnis für diese Frage in Anbetracht des Alters gewisser Missionen, die eigentlich als Übergangslösung errichtet wurden. Wenn ich jedoch Statistiken zu Migration und zu den Ausländeranteilen der katholischen Kirche kenne, wirkt diese Frage regelrecht realitätsfern.1

Erfahrung weitergeben

Ich habe italienische Wurzeln, bin jedoch in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Ich denke und spreche deshalb zweisprachig. Fragt man mich jedoch in welcher Sprache ich mit und über Gott spreche, dann ist es klar: auf Italienisch. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb ich seit meinem zwölften Lebensjahr die italienischsprachige Mission besuche. Ausschlaggebend war auch, dass der Missionar sich viel Zeit für uns nahm und alle unsere Fragen biblisch und theologisch fundiert beantwortet und uns dabei mit der Freude des Evangeliums angesteckt hat. Auf diesem Weg kam ich zum Theologiestudium in Luzern.

Zu dieser Zeit bestand die Mission, die ich weiterhin in meiner Freizeit besuchte, mehrheitlich aus Italienern, die seit Jahrzenten in der Schweiz lebten. Praktisch alle sprachen auch fliessend Deutsch. Heute setzt sich die Mission bei den aktiven Mitgliedern (geschätzt) zu 50 Prozent aus Ausländern erster Generation zusammen. Dies wird besonders an den vielen jungen Familien deutlich. Ich kenne die Schwierigkeiten und grossen Herausforderungen, die Immigranten bewältigen müssen: Die Sprache, die Kultur, der Lebensstil, die Gesetze usw. sind ihnen fremd. Viele leiden unter Heimweh nach ihren Familien und Freunden. Oft hat die Familie eine harte Zeit der Trennung hinter sich, da Frau und Kinder erst dann nachreisten, wenn der Mann eine Arbeit und eine gewisse Stabilität gefunden hatte. Dies nur einige Beispiele.

Meine Grosseltern und zum Teil auch meine Eltern haben diese Schwierigkeiten ebenfalls durch- standen und ich habe in meinem Leben davon dankbar profitiert. Jetzt liegt es mir am Herzen, denjenigen Menschen, die heute in einer vergleichbaren Situation sind, beizustehen und etwas Heimat zu ermöglichen. Die wichtigste Botschaft für diese Menschen ist oft: «Ich freue mich, dass du da bist. Du bist eine Gabe Gottes. Hast du Lust, irgendwo mitzuhelfen?»

Heimat finden

Ein wichtiger Grund für das Bestehen von anderssprachigen Missionen ist meiner Meinung nach folgender: Die Hemmschwelle, einen Gottesdienst in der Muttersprache zu besuchen, ist viel niedriger, als in einen Gottesdienst zu gehen, bei dem ich genauso wenig verstehe wie bei der Arbeit, in der Schule, beim Einkaufen usw. Ohne das Angebot der anderssprachigen Missionen würde die Kirche eine grosse Zahl dieser Gläubigen wohl nicht mehr erreichen.

Es braucht wache, herzliche und aufmerksame Gottesdienstbesucher, die eine Willkommenskultur leben. Die Mission, in der ich ehrenamtlich tätig bin, hat auf diese Weise neue Lektoren, Chormitglieder, Ministranten usw. gefunden und wurde so mit den verschiedensten Gaben bereichert. Da es nicht zwei Kirchen gibt, sondern nur eine, wurde somit nicht nur indirekt, sondern unmittelbar die ganze Kirche bereichert. Es darf und soll sich daran – biblisch gesprochen – der ganze Leib erfreuen. Wenn dem nicht so ist, dann machen wir als Kirche etwas falsch. Konkurrenzdenken, Neid, aber auch Gleichgültigkeit bedeuten den Tod der Kirche und müssen korrigiert und ersetzt werden durch Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe.

Die universale, eine Kirche

In der Kirche gibt es keine Ausländer. Durch die Taufe sind wir alle miteinander verbunden und mit der gleichen Würde ausgestattet. Der Bischof trägt somit die Verantwortung für alle Katholiken in seinem Bistum – unabhängig von Nation und Sprache. Es braucht Strukturen und Instrumente, die der aktuellen Migrationssituation gerecht werden, da wir nicht davon ausgehen können, dass der Migrationsfluss ein Ende findet. Anderssprachige Missionen können somit als Zeichen und Werkzeug dieser übergreifenden bischöflichen Verantwortung verstanden werden. Das bedeutet ein Zweifaches:

1. Die Missionen sind ein Ausdruck der katholischen Vielfalt der einen Kirche und in keiner Hinsicht Parallelstrukturen. Sie verorten sich in diesem Verständnis auf Diözesanebene.

2. Vielfalt und Einheit bedingen sich im katholischen Verständnis gegenseitig. Deshalb müssen Extrempositionen wie das Bestehen auf absolute Autonomie seitens der anderssprachigen Missionen oder ein Assimilationsdruck der Pfarreien gegenüber den Missionen vermieden werden. Ersteres widerspricht der Einheit, Letzteres der legitimen Vielfalt.2

Die Existenz von anderssprachigen Missionen (wobei Sprache immer auch Kultur einschliesst) innerhalb einer Diözese ist aber auch aus einem weiteren Grund interessant. Die katholische Kirche versteht sich nicht nur als universal, weil alle Menschen aller Völker angesprochen sind, sondern weil sie ihre Botschaft als universalverständlich und inkulturationsfähig versteht. Das bedeutet einerseits, dass die Botschaft Jesu in jeder Sprache und Kultur verkündet werden kann, und andererseits die Kirche von jeder Sprache und Kultur etwas von Gott erfahren kann. Befinden sich nun verschiedene Ausprägungen dieses einen Glaubens auf einem Territorium, ist das eine grosse Chance, den eigenen Glauben zu vertiefen und Horizonte zu erweitern. Dafür braucht es aber viel Neugierde, Offenheit für das Andersartige und eine gute Prise Demut.

Die Zusammenarbeit, der Austausch über den gemeinsamen Glauben, die gemeinsame Feier der Liturgie usw. sind Wege, die diese geglaubte Katholizität erfahrbar machen. Es ist aber genauso wahr, dass die heutige Situation als Prüfstein für die Kirche gedeutet werden kann – die geglaubte und verkündete Katholizität muss jetzt auf einem Territorium (Pfarrei oder Bistum) glaubwürdig umgesetzt und gelebt werden. Giovanni Battista Scalabrini (1839–1905), Bischof von Piacenza (Italien), erkannte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, dass Migration in einem heilsgeschichtlichen Kontext zu verorten ist. Die Kirche bezeichnet sich in «Lumen Gentium» 1 als Zeichen und Werkzeug der Einheit mit Gott und unter den Menschen. Wie könnte sie dies glaubwürdig behaupten, wenn sie nicht fähig wäre, den Frieden unter ihren Mitgliedern herzustellen?

Schwieriger Weg zur Einheit

Die eben beschriebene Situation birgt natürlich auch Konfliktpotenzial, da verschiedene Frömmigkeitsformen, Kirchenbilder, Traditionsverständnisse usw. aufeinanderstossen. Diese Herausforderung ist aber in einer heilsgeschichtlichen Perspektive geradezu ein Geschenk: Sie gibt jedem die Möglichkeit, den eigenen Glauben zu vertiefen, zu reinigen und zu bereichern. Jeder Glaube ist ein inkarnierter Glaube, also nie in sich absolut und vollkommen. Er wird von vielen historischen, kulturellen, wissenschaftlichen und anderen Faktoren beeinflusst. Es sind nicht immer die guten Entwicklungen oder Traditionen, die uns näher zu Gott bringen. Die schlechten Entwicklungen können in der Begegnung mit anderen aufgedeckt und beseitigt werden. Manchmal verkündigen wir mehr Kultur als Glaube und manchmal einen zu abstrakten Glauben mit wenig Verwurzelung im Leben der Menschen. Deshalb kann das Ziel der Kirche nur ein Konzept der Einheit in legitimer Vielfalt sein.

Diesen Prozess des Dialogs zwischen zwei Sprachen, Kulturen, Frömmigkeitsformen usw. habe ich aufgrund meiner Biografie bereits einige Male durchlaufen (die Glaubensbildung ist ja nie beendet!) und mir ist bewusst, dass es nicht einfach ist, dem, was mir fremd ist, aufgeschlossen zu begegnen und mich von dieser Begegnung verändern zu lassen. Es ist aber sowohl menschlich als auch theologisch notwendig, dass wir für- einander dankbar sind. Manchmal reicht es, zu sagen: «Ich freue mich, dass du da bist. Du bist eine Gabe Gottes. Hast du Lust, etwas Schönes mit mir zu bewirken?»

Daria Serra-Rambone

 

1 Albisser, Judith und Bünker, Arnd (Hg.), Kirchen in Bewegung. Christliche Migrationsgemeinden in der Schweiz, St. Gallen 2016.

2 Natürlich ist die heutige institutionelle Form der Missionen meiner Meinung nach nicht unbedingt beizubehalten. Es gibt heute schon verschiedene Formen der Zusammenarbeit von Pfarrei und Mission, bei welchen beispielsweise der Missionar zum Seelsorgeteam gehört usw.


Daria Serra-Rambone

Dr. theol. Daria Serra-Rambone (Jg. 1988) hat an der Universität Luzern promoviert und war dort Mitarbeiterin beim universitären Forschungsschwerpunkt Religion und gesellschaftliche Integration in Europa. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.