Für eine Wirtschaft, die dem Leben dient

 

«Diese Wirtschaft tötet» (Nr. 53). Klarer hätte die Kritik von Papst Franziskus 2013 in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium nicht ausfallen können. Er verurteilt die unmenschlichen Konsequenzen des herrschenden Wirtschaftssystems: den Ausschluss von Menschen ohne genügend (Finanz-)Mittel.

Doch wer soll da in die Pflicht genommen werden? Wer ist «die Wirtschaft»? Wer sollte Verantwortung übernehmen, welche, und wie weit reicht diese? Die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China und nun die durch das Coronavirus verursachte wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation führen uns mehr als sonst vor Augen, dass «die Wirtschaft» mit einem grossen Räderwerk vergleichbar ist. Wenn irgendwo daran geschraubt wird, hat das Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Dahinter liegen Entscheidungen von Staaten wie im Fall des erwähnten Handelsstreits und von tausenden kleinen und grösseren Unternehmen sowie von abertausenden Einzelpersonen. Und sei es, wenn diese im grenznahen Bereich Einkaufstourismus betreiben, um Kosten zu sparen. Dies mit den bekannten Konsequenzen.

Wegen der (globalen) Verflechtungen kann es keine einfachen Antworten geben, sind mögliche Folgen von Entscheidungen zu bedenken und moralisierende Appelle meist deplatziert, weil nutzlos. Das heisst natürlich keineswegs, dass die Wirtschaft ein moral- und ethikfreier Raum wäre. Das wird übrigens auch von ihren Vertreterinnen und Vertretern nicht so gesehen. Zeugnis davon geben z. B. die Initiativen im Bereich Corporate Social Responsibility (CSR). Strittig ist somit nicht die Frage, ob die Wirtschaft Menschenrechte einzuhalten und den Umweltschutz zu berücksichtigen hätte und insgesamt nachhaltig ausgestaltet sein sollte, sondern wie, auf welcher Ebene (Unternehmen, Regelungen usw.) und mit welcher Rechtsverbindlichkeit. Anschauliches Beispiel dieser Kontroverse ist die hängige Konzernverantwortungsinitiative.

Die Aussage von Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, trifft in anderem Sinn auch für die Wirtschaft zu. Gerade die aktuelle Situation zeigt plastisch, wie sehr die Wirtschaft dank den bislang mehr als Privatsache betrachteten Care-Verpflichtungen wie Kinderbetreuung oder Unterstützung älterer Angehöriger funktioniert. Jenseits einer freiwilligen Familienfreundlichkeit eines Unternehmens hat sich nun ein Handlungsspielraum eröffnet, der auch nach der Corona-Pandemie weiter bestehen sollte.

Die Wirtschaft lässt sich durchaus so gestalten, dass sie dem Leben, also den einzelnen Menschen und dem Gemeinwohl, dient. Dazu braucht es die richtige Haltung und den damit verbundenen Blick, der Handlungsspielräume ausmacht. Im Unternehmerischen sind das Erfindergeist und Innovation. Zugleich ist der Wille nötig, dafür die richtigen Regelungen zu finden und auch mal einen Alleingang zu wagen und Pioniergeist zu zeigen.

Béatrice Bowald*

 

* Dr. theol. Béatrice Bowald (Jg. 1965) studierte Theologie in Luzern. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Justitia et Pax. Seit November 2012 und noch bis Ende April 2020 ist sie Co-Leiterin des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft BS/BL. Sie ist Redaktorin der Zeitschrift FAMA. (Bild: Michael Flume)