Für eine mystagogische Jugendarbeit

Das Bistum St. Gallen kann auf eine lange Tradition von erlebnisreichen diözesanen Jugendtagen auf dem Klosterplatz zurückblicken. Nun tritt die «Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit» mit einem «Werkbuch Spiritualität für kirchliche Jugendarbeit » (2012) mit Begleit-CD und dem Obertitel «geistvoll»1 an die Öffentlichkeit, das eine ausführliche Würdigung verdient. Unter der Leitung von Priska Filliger Koller hat sich ein grosser Stab von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber Gedanken gemacht, wie eine christlich inspirierte Jugendarbeit zu Beginn des dritten Jahrtausends aussehen kann. Vorbei sind die Zeiten, in denen kirchliche Jugendarbeit als Rekrutierungsmassnahme für das Pfarreileben verkürzt wurde. Ebenfalls vorbei ist die Rede von einer (egozentrischen) Selbstverwirklichung oder einer funktionalen Bedürfnisbefriedigung durch die Jugendarbeit.

Im Vorwort schreibt Bischof Markus Büchel, dass er heute Jugendarbeit erlebe als «offenes Gespräch», als ein «Suchen und vor allem auch als kreatives Interesse, sich mit den tiefen Fragen des Lebens und Glaubens auseinanderzusetzen» (3). Die intendierte mystagogische Jugendarbeit versucht, diese Fragen Jugendlicher aufzugreifen, hinter das vordergründig Gegebene zu schauen, nachdenklich zu machen und Erfahrungen im Licht des Glaubens zur Sprache zu bringen («nach- Sinnen»). Vieles hat sich bei der heute sehr pluralen Jugend verändert. Ihre kirchliche und religiöse Sozialisation ist nicht mehr selbstverständlich, häufig ist das ABC des Christentums nur in Fragmenten bekannt. Vom Aufbau her nimmt sich das Werkbuch wie ein Crashkurs für künftige Mitarbeitende aus:

Kapitel 1 eröffnet mit einer begrifflichen Annäherung an das Themenfeld «Spiritualität» mit biblischen, christologischen, geschichtlichen und aktuellen theologischen Akzenten. Spiritualität wird mit «Aufmerksamkeit» und der «Lesekunst» assoziiert, «das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen» (19). Sie basiert auf der Taufe, ist gemeinschaftsbezogen und geschieht in den Grundhaltungen des Vertrauens, der Zuversicht und der Geduld.

Kapitel 2 ruft die entwicklungspsychologischen Stufentheorien in Erinnerung und leitet daraus Entwicklungsaufgaben des Jugendalters ab (bekanntlich arbeitet das Bistum St. Gallen schon länger mit dem Firmalter ab 18, bei dem diese Entwicklungsaufgaben ebenfalls relevant sind): z. B. der Aufgabe des Nachdenkens: «Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und was ziehe ich dazu an?» (29); «Welche Vorstellungen, Handlungsweisen und Werte übernehme ich?» (30). Die Kritik des eigenen Konsumverhaltens und des Medienkonsums schliessen sich an. Aus der soziostrukturellen Sinus-Milieustudie werden praktische Tipps für selbständiges Rollenbewusstsein abgeleitet.

Kapitel 3 ist der heutigen Jugendarbeit gewidmet. Behandelt werden hier die Akteure, die Formen der Jugendarbeit und Impulse für eine mystagogische Grundhaltung. Diese Jugendarbeit kommt auf leisen Sohlen daher, ist nicht marktschreierisch und verwahrt sich gegen blosses Nützlichkeitsdenken; stattdessen ist sie charismenorientiert, an der Subjektwerdung des Einzelnen interessiert und macht das Geheimnisvolle der Wirklichkeit immer wieder transparent. Nicht zuletzt gehört prophetische Kritik am Bestehenden und Festgefahrenen dazu.

Letztlich meint mystagogische Jugendarbeit das Leben aus dem Glauben. Spannend sind Aussagen Jugendlicher über diesen gelebten Glauben, was in Kapitel 4 unter dem Titel «Spirituelle Landschaften» ausgebreitet wird.

Kapitel 5 wendet sich an die Jugendseelsorgerinnen und -seelsorger und thematisiert die Voraussetzungen und Kompetenzen einer solchen Jugendarbeit: Wertschätzen, Spurenlesen, Übersetzen und Begleiten sind die Kernkompetenzen, die sich in der Praxis bewähren sollen.

Das wertvolle ideenreiche Werkbuch schliesst in Kapitel 6 mit einer Palette von Ritualen, Gebets- und Feierformen, die Traditionelles mit Neuem anreichern und keine Langeweile aufkommen lassen. Die Literaturliste zeigt den umfassenden Horizont der Autoren. Ich freue mich, in der Schweiz auf einen so aktuellen, modernen und tiefgründigen Entwurf einer spirituell fundierten, christlichen Jugendarbeit zu treffen, der wohl schon einige Zeit verwirklicht wird!

1 Priska Filliger Koller (Hrsg.): geistvoll. Werkbuch Spiritualität in der kirchlichen Jugendarbeit. (Verlag am Klosterhof) St. Gallen 2012, 103 Seiten mit CD . Bestellmöglichkeit mit weiteren Informationen: www.geistvoll.ch

Die für die Erlangung des MAS «Spiritual Theology» von Priska Filliger Koller an der Universität Salzburg eingereichte Abschlussarbeit «Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ziehe ich dazu an? oder Spirituelles Profil kirchlicher Jugendarbeit im Bistum St. Gallen (St. Gallen 2011)», die eine theologische Vertiefung von «geistvoll» bedeutet, kann ebenfalls über www.geistvoll.ch bezogen werden.

Stephan Leimgruber

Stephan Leimgruber

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.