Für den Patienten Brücken bauen

Menschen am Lebensende und ihre Angehörigen beraten und begleiten – das gehört zur Kernaufgabe der Onkologie- und Palliativpflege der Spitex Stadt Luzern. Sabine Moser-Fleischli erzählt im Interview über ihre Arbeit.

Früher Nachmittag, ich bin unterwegs zur Spitex der Stadt Luzern. Vor dem Bürogebäude stehen zwei E-Bikes mit dem bekannten Logo der Spitex auf dem Gepäckkorb, im dritten Stock erwartet mich die stv. Teamleiterin des Brückendienstes «Onkologie- und Palliativpflege der Spitex Stadt Luzern», Frau Sabine Moser-Fleischli. Sie arbeitet seit 2013 in diesem Spezialteam und übernahm die Aufgabe als stv. Leiterin vor zwei Jahren. Frau Moser führt mich in ihr helles, geräumiges Büro. Es sei gerade ein Notfall hereingekommen, sie müsse für den Abend noch einen Einsatz planen, anschliessend hätte sie Zeit fürs Gespräch. Mich interessiert zuerst der Name dieser Abteilung.

SKZ: Weshalb heisst Ihre Abteilung «Brückendienst»?
Sabine Moser-Fleischli: Der Name wurde von anderen Beratungsdiensten für Onkologie- und Palliativpflege in der Schweiz übernommen. Unsere Abteilung «Brückendienst» der Spitex Stadt Luzern versteht sich als Brückenbauer; unsere Aufgabe ist es, Verbindungen zu schaffen zwischen Patienten, Angehörigen, Ärzten, Sozialdienst, psychologischen Diensten, Seelsorge, Krebsliga usw. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Stellen funktioniert gut. Oft bauen wir, symbolisch gesprochen, durch unsere pflegerische und beratende Tätigkeit eine Brücke für den Patienten, über die er möglichst schmerzfrei und umsorgt gehen kann.

Seit wann gibt es diesen «Brückendienst»?
Vor sieben Jahren startete in Luzern das interdisziplinäre Projekt «Brückendienst». Spital- und Hausärzte, Sozialarbeiter, Seelsorger und die Spitex Stadt Luzern setzten sich zum Ziel, nicht nur Beratung, sondern eine umfassende palliative Pflege für Patienten mit komplexen Krankheitsverläufen und eine situationsgerechte Begleitung ihrer Angehörigen anzubieten. Die Spitex war bereit, dieses Projekt aufzubauen und für diesen Dienst zu sorgen.

In Bern und Baselland beispielsweise gibt es ein ähnliches Konzept (SEOP – Spitalexterne Onkologiepflege). Hingegen übernehmen andere «Brückendienste» ausschliesslich Beratung. Ich erachte es als grossen Vorteil, wenn nicht nur Beratung, Abklärung und Koordination von Diensten, sondern auch Pflege angeboten wird. Denn die Pflegefachpersonen können durch ihre Arbeit die einzelnen Situationen der Patienten umfassender einschätzen, schneller Probleme und Schwierigkeiten erkennen und entsprechend zeitnah handeln.

Welches sind seine vorrangigen Ziele und Aufgaben?
Aufgabe des Brückendienstes ist es, den Patienten und seine Angehörigen unterstützend zu begleiten, den Prozess des Sterbens mitzugehen und Wege der Betreuung und mögliche Hilfen aufzuzeigen. Die Mitarbeiterinnen unseres Dienstes nehmen bei medizinisch oder medizinaltechnisch komplexen Situationen und auf psychischer, sozialer oder spiritueller Ebene die Beratung und Betreuung wahr. Dadurch, dass sie dazu dank Zusatzausbildungen und viel Erfahrung befähigt sind, können Menschen mit schweren Erkrankungen und in der terminalen Phase zu Hause gepflegt werden. Früher war in solchen Fällen ein Spitalaufenthalt nötig. Hier schliesst der Brückendienst eine Lücke und ermöglicht Patienten, in der vertrauten Umgebung zu leben. Sie sollen sich zu Hause sicher und wohlfühlen, das ist ein zentrales Ziel unserer Arbeit. Aber die palliative Pflege zu Hause funk- tioniert nur mit einem guten sozialen Umfeld. Auf diesem liegt eine grosse Verantwortung. Unsere Pflegefachpersonen sind zwei bis sechs Stunden, auf mehrere Einsätze über den Tag verteilt, vor Ort, für die Betreuung der restlichen Stunden kommen die Angehörigen auf. Diese Aufgabe, v. a. die damit verbundene Verantwortung, kann für sie zur Überforderung werden. Zu Hause sterben ist nicht immer die ideale Lösung. Manchmal ist eine Hospitalisation oder ein Übertritt in eine stationäre Einrichtung für alle Beteiligten der bessere Weg.

In der Schweiz nahmen die assistierten Suizide in den letzten Jahren rapide zu und sie werden weiter stark ansteigen. Laut Statistik des Bundesamtes BFS war 1995 noch kein Fall eines assistierten Suizids verzeichnet, im Jahr 2015 waren es knapp 1000 Personen, die mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben schieden. Ich möchte nun auf die pflegerische Betreuung von suizidwilligen Patienten durch den Brückendienst zu sprechen kommen.

Wie oft betreut Ihr Team Patienten, die einen assistierten Suizid beabsichtigen?
Im Jahr sind wir durchschnittlich mit drei bis vier Personen konfrontiert, die mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben scheiden. Mir fällt auf, dass viele Patienten Mitglied einer Sterbehilfeorganisation sind. Für sie ist die Mitgliedschaft wie eine «Absicherung» für dann, wenn das eigene Leben nicht mehr lebenswert erscheint. Die Menschen halten sich alle Optionen offen, nehmen diesen Weg aber selten in Anspruch.

Wie geht Ihr Team mit dieser Situation um?
Da Regelungen im ambulanten Bereich der Pflege noch weitgehend fehlen, haben wir als Spitex Stadt Luzern interne Richtlinien erarbeitet. Wir akzeptieren, unabhängig von unserer persönlichen Einstellung, den assistierten Suizid als Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung. Unsere Pflegefachpersonen übernehmen jedoch keine aktive Rolle, d. h., sie helfen den Patienten beispielsweise nicht, Kontakt zu Sterbehilfeorganisationen aufzunehmen oder das Mittel zu beschaffen. Sie sprechen aber mit ihnen über die jeweiligen Sterbevorstellungen und -wünsche.

Besteht da nicht ein Unterschied zu den Richtlinien Ihres Berufsverbandes?
Ja, diese Richtlinien* empfehlen uns, dass wir zusammen mit dem Patienten und im Team nach Möglichkeiten suchen, wie der suizidwillige Patient seinen Wunsch realisieren kann. Unser Brückendienst übernimmt diese Aufgabe nicht. Auch beurteilen wir die Urteilsfähigkeit der Patienten nicht, was zwar von ihnen gelegentlich gewünscht wird. Aber diese Aufgabe und die mit ihr verbundene hohe ethische Verantwortung liegen bei der Sterbehilfeorganisation.
Darüber hinaus wird von der Spitex Stadt Luzern weder erwartet noch verlangt, dass die Mitarbeiterinnen unseres Brückendienstes den Patienten bei seinem assistierten Suizid begleiten. Sie können diese Begleitung freiwillig wahrnehmen, aber nur in Rücksprache mit der Teamleiterin und auf Entscheid der Geschäftsleiterin hin.
Wenn jemand mit uns über seine Absicht spricht, mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden, dann versuchen wir vielmehr entsprechend dem palliativen Gedankengut herauszufinden, weshalb er diesen Wunsch hat, welche Ängste dahinterstecken und wie seine Situation verbessert werden kann.

Hat Ihr Team Kontakt zu Sterbehilfeorganisationen?
Im Normalfall haben wir keinen Kontakt. In der Praxis erleben wir, dass v. a. bei Angehörigen viele existenzielle Fragen bei einem assistierten Suizid auftauchen. Oft sind sie schlecht informiert und überrascht, dass die Polizei, die Staatsanwaltschaft usw. eintreffen. Aus diesem Grund haben wir vor ein paar Jahren «Exit» zu einem informativen Gespräch zu uns eingeladen.

Wie gehen Sie mit Sterben und Tod um, gerade auch angesichts eines assistierten Suizids?
Vorweg muss ich sagen, dass wir in der Pflege und den Beratungen den Fokus bewusst auf das Leben setzen: Was können die Patienten noch? Dabei gibt es oft tiefe Gespräche über das Leben und den Tod, sowohl mit den Klienten als auch mit den Angehörigen. Wie nahe mir der Tod eines Patienten geht, ist stets von meiner eigenen momentanen Verfassung und der Beziehung sowohl zum Verstorbenen als auch zu seinen Angehörigen abhängig. Als Pflegefachfrau besuche ich die Patienten zu Hause, in ihrem Schlafzimmer. Ich wasche und pflege sie, verabreiche Medikamente, höre ihre Nöte, Sorgen und Fragen ... – das alles schafft eine besondere Nähe. Die Kunst liegt darin, mit dieser Nähe umgehen zu können. Dazu verhilft aus meiner Sicht wesentlich auch der Austausch untereinander während den Rapportzeiten. Wenn ein Patient stirbt, zünden wir eine Kerze an und halten im Team Rückblick auf die Pflegezeit. Nach drei bis sechs Wochen melden wir uns bei den Angehörigen und laden sie zu einem Abschlussgespräch ein. Das wird von beiden Seiten sehr geschätzt. Vor allem Reden hilft. Bei Bedarf kann ich auch eine Supervision anfordern.
Was mir persönlich zu schaffen macht, ist die oft sehr kurze Betreuungsphase. Vor ein paar Jahren konnte ich die Pflege eines Patienten aufbauen, ihn über eine längere Zeit begleiten und dann in der terminalen Phase intensiv betreuen. Jetzt pflege ich ihn manchmal nur noch drei bis vier Tage. Es ist eine grosse Herausforderung, in dieser kurzen Zeit eine ganzheitliche Pflege und Betreuung aufzubauen.

Das Telefon klingelt schon zum dritten Mal. Ob es weitere Notfälle sind? Das entzieht sich meiner Kenntnis. Nach dem Gespräch geht für Sabine Moser der Arbeitsalltag weiter. Dieser ist aus ihrer Sicht sehr dynamisch. «Unser Brückendienstteam muss sehr flexibel sein, denn kein Tag ist wie der andere.»

Interview: Maria Hässig

 

*«Ethische Standpunkte 1» des Schweizerischen Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner von 2005, unter: www.sbk.ch.


Sabine Moser-Fleischli

ist diplomierte Pflegefachfrau; sie bildete sich in Palliative Care (CAS) weiter und ist seit zwei Jahren stellvertretende Teamleiterin des Brückendienstes der Spitex Stadt Luzern.