Friedensfähigkeit und Friedens-Visionen in Religionen und Kulturen

Bereits konnte ich auf zwei Symposien an der Universität Freiburg hinweisen, das eine über den Humanismus,1 das andere zum Thema Frieden,2 beide unter der massgeblichen Begleitung von Adrian Holderegger OFMCap. Diese Symposien sind jeweils echte Disputationen zwischen unterschiedlichen Ansichten und philosophischen bzw. theologischen Annahmen. Sie sind nicht durch dogmatische Sturheit geprägt, wie sie in postmodernen antihumanistischen Veröffentlichungen heute oft zu Tage tritt, sondern durch ergebnisoffene und zielführende Argumentation. Der Dokumentationsband zum Symposion3 erwägt in drei Teilen die Friedensfähigkeit, die Friedensvisionen und die konkrete Friedensarbeit, wobei der Rezensent keine stringente Trennlinie zwischen dem 2. und 3. Teil wahrnehmen kann.

1. Friedensfähigkeit

Die Fragestellung ist folgende: Sind der Mensch, die menschliche Gesellschaft, die Religion grundsätzlich friedensfähig? Geht von Staaten und Religionen nicht vielmehr Gewalt und Krieg aus? Vor allem Andreas Hasenclever zeigt auf, wie die Religionen als Religionen an sich eine Friedensfunktion erfüllen könnten, sobald sie sich aber in den konkreten Konflikten instrumentalisieren lassen, werden sie Teil des Problems und haben ihre eigentliche Aufgabe bereits verloren. Deshalb braucht es eine besondere Katechese, welche die Religion in den sozialen Konflikten zur Friedenskraft werden lässt. Othmar Keel tritt dieser Position, grundsätzlich zwar einverstanden, mit dem Argument entgegen, dass die Wirkung des Deuteronomiums in der Geschichte der Menschen faktisch oft Gewalt hervorgebracht hat. Sobald man den einen Gott für das eigene Volk bzw. die eigene Glaubensgemeinschaft in Anspruch nimmt, hat man den Monotheismus missverstanden. Zudem habe sich die Vorstellung der Hölle immer auch als Instrument religiösen Terrors erwiesen. Sie taugt für eine akzeptable Friedensfähigkeit der Religionen gerade nicht. Die Verheissung der Versöhnung muss dafür jene der Hölle überwinden. Dieses Referat zeigt wie auch die anderen in diesem Kapitel, dass die Friedensfähigkeit des Menschen grundsätzlich feststeht, dass aber damit ein konstanter Lernprozess und eine stete selbstkritische Haltung verbunden sein muss. Besonders Adrian Holderegger nimmt ihm vorausgehende Darlegungen auf und betont die natürliche Friedensintention des Menschen. Seine Einbindung in soziale Gefüge fordert dann freilich ein gemeinsames Wertegefühl und operable Regeln zum friedvollen Zusammenleben, die am ehesten in republikanischen Demokratien gegeben sind.

2. Friedensvisionen

Auf der Grundlage einer philosophisch und empirisch anthropologisch erörterten Friedensfähigkeit folgen nun einige Visionen: Die Reich-Gottes-Hoffnung des Christentums, der Islam als Friedensreligion und dazugehörige Missverständnisse, der (tibetische) Buddhismus, die Zivilisation der Liebe der letzten Päpste, der hervorragende Beitrag von Raul Fornet- Betancourt über den neuen Menschen bei Che Guevara und beim Jesuiten Ignacio Ellacuria, der sich vor allem gegen das lauthals verkündete Ende der grossen Erzählungen wendet. Es folgen Ausführungen über Immanuel Kants «Ewigen Frieden», seine Auffassung von Rechtsstaat und Widerstand, den Pazifismus und seine Kohärenzprobleme, die «Allianz der Kulturen», wie sie die Vereinten Nationen propagieren, das IKRK und seine zum Teil umstrittene Stellung innerhalb der Konflikte: einerseits Humanisierung des Krieges, anderseits Vermittler.

3. Friedensarbeit

Bereits der Beitrag über das IKRK gehörte eigentlich in dieses Kapitel der konkreten Friedensarbeit. Es folgen Beiträge zu den Themen: Entwicklungsarbeit als Friedensarbeit (vor allem in den päpstlichen Enzykliken), Frieden durch internationales Recht und Rechtsinstanzen, die das Recht auch durchsetzen können (Forderungen der Päpste seit Leo XIII., das «Weltethos» von Hans Küng, die Friedensarbeit der Gemeinschaft Sant’Egidio (modellhaft!), innerarabische und zwischenreligiöse Friedensarbeit im Nahen Osten, säkulare Versöhnungs- und Friedensarbeit in «Wahrheitskommissionen» und ähnlichen Unternehmungen. Der zur Verfügung stehende Raum erlaubt nur stichwortartige Hinweise auf diesen hervorragenden Band. Die verantwortlichen Herausgeber und ihre Helferinnen und Helfer haben ein in jeder Hinsicht sehr gutes Buch zum Thema herausgebracht.

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«Streicheln, mästen, töten»

Anton Rotzetter, Mitarbeit Annette M. Forster: Streicheln, mästen, töten. Warum wir mit Tieren anders umgehen müssen. (Herder Verlag) Freiburg-Basel-Wien 2012, 197 S.

Mit Franziskus als Vorbild setzt sich der Kapuziner Anton Rotzetter für die Tiere als Subjekte ein. Nach dem wissenschaftlichen Buch «Die Freigelassenen» (vgl. SKZ 23–24/2011) legt er hier eine Publikation mit heutigen Fragestellungen vor. Das macht er nicht nur mit vielen Hinweisen, sondern auch mit eingängigen Geschichten. Für die informativen Übersichten zeichnet die Geschäftsführerin der «Aktion Kirche und Tier» (AKUT ) verantwortlich: Bedenkenswert! (ufw)

 

 

1 Anton Rotzetter: Was ist der Mensch?, in: SKZ 178 (2010), Nr. 17, 320. 329–330; Anton Rotzetter: Das Menschsein als Frage und Aufgabe (Rezension des Dokumentationsbandes: A. Holderegger / S. Weichlein / S. Zurbuchen [Hrsg.]: Humanismus. Sein kritisches Potential für Gegenwart und Zukunft. Freiburg-Basel 2011), in: SKZ 180 (2012), Nr. 21–22/, 397–399.

2 Anton Rotzetter: Friedensvisionen und Friedensfähigkeit in Religionen und Kulturen. 6. Religionsforum an der Universität Freiburg/ Schweiz, in: SKZ 179 (2011), Nr. 23–24, 402– 405.

3 Mariano Delgado / Adrian Holderegger / Guido Vergauwen (Hrsg.): Friedensfähigkeit und Friedenvisionen in Religionen und Kulturen. (Kohlhammer Verlag) Stuttgart 2012, 371 Seiten.

Anton Rotzetter

Anton Rotzetter

Anton Rotzetter OFMCap (* 3. Januar 1939 in Basel; † 1. März 2016 in Fribourg) war ein Schweizer Kapuziner und Buchautor. Rotzetter war ein weithin bekannter Fachmann für franziskanisch und biblisch geprägte Spiritualität. Er forschte wissenschaftlich zu Franz von Assisi. Er hat über 70 Bücher verfasst und war in zahlreiche redaktionelle sowie schriftstellerische Tätigkeiten in verschiedenen Zeitschriften eingebunden. Er lebte zuletzt im Kapuzinerkloster Fribourg in der Schweiz.