Freiburger Doktoratsprogramm in Halki

Auftakt und Modell für die Neueröffnung der Hochschule?

Auf Einladung des ökumenischen PatriarchenBartholomäus fand die Sommeruniversität des Doktoratsprogramms der Theologischen Fakultät Freiburg (Schweiz) in der Theologischen Akademie auf der Insel Halki statt. Während das Patriarchat in diesen Tagen auf den Parlamentsbeschluss zur Neueröffnung der seit 1971 geschlossenen Akademie hofft, war das Gebäude vom 1. bis 5. September bereits Ort intensiver akademischer Arbeit unter Leitung von Prof. Barbara Hallensleben, Prof. Astrid Kaptijn und Rektor Prof. Guido Vergauwen: Ein internationaler Kreis von Doktorandinnen und Doktoranden dachte mit katholischen, orthodoxen und muslimischen Gesprächspartnern – unter besonderer Aufmerksamkeit für die Entwicklungen in der Türkei – über den Beitrag der Kirchen und Religionen zur Gestaltung der Zivilgesellschaft nach. Die jungen Forschenden übten sich am Beispiel zahlreicher europäischer Länder in die Deutung der Zusammenarbeit wie der Konfliktfelder von Kirche, Staat und Gesellschaft ein – vom laizistischen Modell in Frankreich bis zur orthodoxen Staatsreligion in Griechenland. Die Vielfalt der Kommunikationssprachen Deutsch, Französisch, Englisch, Russisch und Griechisch unterstrichen die Mühe des Verstehens und der «Übersetzung».

Christen in verschwindender Minderheit

Die Grundidee der Kontextualisierung der theologischen Arbeit bewährte sich: Die Erfahrung, zu einer verschwindenden christlichen Minderheit (ca. 0,2 Prozent) zu gehören und in einer muslimisch geprägten Umgebung zu leben, war für einige Teilnehmende neu und bewegend. Auch andere Vorurteile kamen ins Wanken: P. Dr. Claudio Monge, ein Islamspezialist, der seit vielen Jahren als Prior des Dominikanerkonvents in Istanbul lebt und an der Universität Freiburg doziert, führte die Gruppe zu dem muslimischen Wallfahrtsort Eyüp, wo eine Begegnung mit dem friedlichen, fromm gläubigen Islam des Alltags möglich wurde. Viele Vorurteile über die strenge Trennung und Entgegensetzung von Islam und Christenheit gerieten ins Wanken. So gibt es durchaus Muslime, die zu christlichen Kirchen kommen, christliche Heilige wie den hl. Antonius verehren und in schwierigen Fällen auf Vorschlag des Imam beim Priester um Rat nachsuchen. P. Monge berichtete von einer Muslimin, die gern in der Dominikanerkirche betet, weil ihre kleine Moschee keinen eigenen Bereich für Frauen hat.

Besondere Aufmerksamkeit fand der Vortrag des muslimischen Juristen Emre Öktem von der Galatasaray-Universität Istanbul, deren Rechtsfakultät durch eine Konvention mit der Universität Freiburg verbunden ist: Öktem berät das Patriarchat in dem gegenwärtigen Prozess der Verfassungsreform in der Türkei; er wies an zahlreichen Beispielen aus Geschichte und Gegenwart nach, dass die islamische Dualität zwischen dem «Haus des Islam» und dem «Haus des Krieges» vorwiegend als theoretisches Konstrukt vorkommt, während die Muslime im jeweiligen geschichtlichen Kontext pragmatische Lösungen für ein friedliches Zusammenleben finden. Es waren venezianische christliche Handwerker, die das Kriegsmaterial für die Eroberung von Konstantinopel an die Ottomanen lieferten, während zugleich muslimische Truppen auf der Seite des Kaisers in Konstantinopel für ihre Heimat kämpften. Verblüffend sind nicht zuletzt die Zeichen der Kontinuität zwischen dem Römischen, dem Byzantinischen und dem Osmanischen Reich, gründend in einer multinationalen und multireligiösen Ordnung unter einer vorherrschenden religiös-politischen Leitidee. So gab es im Osmanischen Reich christliche Eliten mit Führungsaufgaben.

Grundrechte bürgerlicher Freiheit als Zukunft

Die Zeit der religiös begründeten «Reiche» ist unwiderruflich vorbei. Doch wo liegt die Zukunft? Der moderne Nationalstaat bedeutet eher eine Verengung der Perspektive und vermag der religiösen, sprachlichen und kulturellen Vielfalt nicht gerecht zu werden. Der muslimische Jurist Emre Öktem und der katholische Theologe Claudio Monge waren sich einig: Die gegenwärtig zu beobachtende «Re-Ottomanisierung » der Türkei ist eine Übergangslösung. Beide Referenten plädierten entschieden für den Wechsel von einem Rechtssystem, das an das alte Milet-System des Ottomanischen Reiches erinnert und an momentane Gunsterweisungen und Gegenleistungen gebunden bleibt, zu einer Verankerung der Verfassung in den Grundrechten bürgerlicher Freiheit. Dadurch erhielten die christlichen Minderheiten in der Türkei nicht nur neue Rechte, sondern müssten auch eine neue Mitverantwortung für die gesellschaftliche Ordnung übernehmen.

Dr. Klaus Wyrwoll, Direktor im Ostkirchlichen Institut Regensburg und Herausgeber des Verzeichnisses ORTHODOXIA aller orthodoxen Bischöfe, erschloss der Gruppe vor allem die Schätze und Überraschungen im kirchlichen Leben der Stadt Istanbul: Allein für die griechisch-orthodoxen Christen bestehen in Istanbul heute über 60 Kirchen, die nicht in Moscheen umgewandelt oder die neu gebaut wurden. Der Kirchenpräsident von Halki erwies sich als ein Grieche, der 17 Jahre in Freiburg gearbeitet hatte und uns stolz die Nikolaus-Kirche der Insel zeigte, die sein Grossvater ausgemalt hatte. Ein Mosaik in der Eingangshalle des Ökumenischen Patriarchs zeigt Sultan Mehmet II., der dem Patriarchen eine Urkunde überreicht, die die Gründung des Ökumenischen Patriarchats symbolisiert. Der russische Theologe Dr. Augustin Sokolovski griff in seinem Vortrag dieses Bild auf und stellte die Frage: Ist die heutige Orthodoxie, die sich gern als altehrwürdige «Kirche der Väter» bezeichnet, nicht vielleicht in vieler Hinsicht ein «neues» Phänomen? Die Orthodoxie nach dem Fall von Konstantinopel – eine Gründung des Sultans? Ist die Orthodoxie nicht gerade durch ihre starke Traditionsbezogenheit besonders anfällig für das unbemerkte Eindringen von Phänomenen der Moderne und Postmoderne? Die Situation des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul wirft ein neues Licht auf das Phänomen der Orthodoxie in der Welt von heute.

Frieden und Einheit

«Frieden und Einheit» – unter diesen Leitmotiven stellte Metropolit Elpidophoros (Lambriniadis) als Abt des Dreifaltigkeitsklosters in den Akademiegebäuden auf Halki der Freiburger Gruppe den Auftrag des Ökumenischen Patriarchats heute vor. Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus, der die Gruppe zur Liturgie am 1. September zur Eröffnung des neuen Kirchenjahres und am 3. September in Privataudienz empfing, füllte diese Begriffe mit seinen konkreten Anliegen und Besorgnissen. Dazu gehört neben den panorthodoxen Bemühungen um die Vorbereitung eines Konzils aller orthodoxen Kirchen auch die Zusammenarbeit vor Ort der ca. 2000 griechischen orthodoxen Christen mit der Armenischen Apostolischen und der Armenischen Katholischen Kirche, den syrischen und chaldäischen Christen und den kleinen Gemeinden und Gemeinschaften der Westkirchen sowie die Pflege des Zusammenlebens mit der islamischen Bevölkerung.

Metropolit Elpidophoros hat in Halki seinem Namen entsprechend die Rolle eines «Hoffnungsträgers ». Als Metropolit von Bursa hat er zwei griechische orthodoxe Kirchen zurückgekauft, die nach dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei 1923 verfielen. Das Dreifaltigkeitskloster in Halki hat Pläne für ein grosses Kongresszentrum und eine erneuerte Gartenlandschaft im byzantinischen Stil. Frauen soll die Teilnahme an Unterricht, Lehre und Forschung der Akademie durch die Errichtung eines Nachbargebäudes erleichtert werden. Das zunächst griechisch und englisch geplante Lehrprogramm wird den europäischen Bologna-Standards entsprechen und mit der türkischen Umgebung im Austausch leben. Die Pläne für die Akademie von Halki erstreben keine nostalgische Wiederherstellung der Vergangenheit für eine griechische Enklave. Die Sommeruniversität der Universität Freiburg könnte sich nicht nur als Auftakt, sondern sogar als Modell für die Neueröffnung der Theologischen Hochschule erweisen.

 


Barbara Hallensleben

Prof. Dr. Barbara Hallensleben (Jg. 1957) ist Professorin der Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg und Direktorin des Zentrums für das Studium der Ostkirchen.