Frauenrechte einfordern - Prüfstein von Menschenrechten

Menschenrechte auf dem Prüfstand: Frauenrechte zwischen Religion, Kultur und Politik» vom 3. und 4. März 2017 lud Frauen aus Politik, Religion und Kultur zu einem breitgefächerten Wissens- und Erfahrungsaustausch ein. Organisiert wurde dieser von der IG Feministischer Theologinnen, der FAMA, vom Interreligiösen Thinktank und vom Romero-Haus.1

Der Anlass wurde inhaltlich und zeitlich zum Moment der Würdigung der Arbeit und der Verabschiedung von Li Hangartner als deren letzte verantwortete Veranstaltung, nach rund 30-jähriger engagierter Aufbauarbeit als Bildungsbeauftragte.2 Einforderung von Frauenrechten als Prüfstein von Menschenrechten. Mit diesen Worten umriss Li Hangartner im Rückblick ihr Engagement, ihren Einsatz für Befreiungstheologie, feministisch-theologischen Aufbruch und für Menschenrechte als Frauenrechte. All das habe sie umgetrieben, und werde es auch weiterhin, wenn sie aufgehört habe, im Romero-Haus zu arbeiten. Über all die Jahre sei das Romero-Haus zur Heimat geworden für kritisches gemeinsames Denken, Visionen, gutes Leben für alle Menschen und für befreundete Menschen, die sie begleiteten, führte sie in ihrer Abschiedsrede aus.

Als sie 1987 begann, den ersten Kurs über die Bedeutung der feministischen Theologie anzubieten, vertiefte sie weiterhin ihre feministisch-theologischen Schwerpunkte in der Verwirklichung unzähliger Projekte. So wurde das Romero-Haus zum Ort der Begegnung von Menschen weit über das deutschsprachige Gebiet (Deutschland, Österreich und Deutschschweiz) hinaus. Menschen kamen, um zu diskutieren, nachzudenken und bei einem Glas Wein auszutauschen. Wie die FAMA 1999 feststellte, schreiben Religionen mit an der Festlegung der Geschlechter. Themen wie häusliche Gewalt wurden zusammen mit dem cfd und der Fachstelle feministische Theologie ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Sie machten ebenfalls den Namen und das Profil des Romero-Hauses aus, mitgeprägt durch Frauen aus allen Erdteilen wie Sr. Mary John Mananzan, Ivone Gebara, Nancy Cardoso, Ofelia Ortega oder Dorothee Sölle, um nur einige zu nennen. In den letzten zehn Jahren fand eine Verschiebung zum interreligiösen Dialog statt, der 2007 durch einen interreligiösen Theologiekurs mit Doris Strahm eingeleitet wurde und im 2011 erstmals interreligiös mit muslimischen und jüdischen Frauen durchgeführt wurde, einer Gruppe, die bis heute weiter besteht.

Frauenrechte zwischen Religion, Kultur und Politik

Das Spannungsfeld zwischen Recht und Gerechtigkeit umriss zuerst Ulrike Auga als Hauptrednerin.3 Menschenrechte stehen nach dem Menschenrechts- Konzept aufgrund des Menschseins allen zu. Sie sind universell. Sie müssen immer in ihrer Gesamtheit verwirklicht werden, wozu Auga elf Kriterien nannte. Doch dagegen sind Einwände aufgekommen: Einige veranschlagen, dass Menschenrechte als Konzept in einem westlichen historischen Kontext entstanden sind, der andere kulturelle Erfahrungen missachte. Sie selbst teilen dabei andere Moralvorstellungen, die mit den Kollektivvorstellungen nicht vereinbar sind. Doch Menschenrechte sind nicht unabänderlich, betonte Auga. Sie wurden einst als Rechte für weisse Männer in den USA (1776) und in Frankreich (1789) formuliert, wobei die Französin Olympe de Gouges als erste Frau diesen Missstand bemängelte und eine eigene Frauenrechtserklärung erstellte. Kritik äusserte jedoch auch Hannah Arendt an der Bindung der Menschenrechte an die «Nation». Dadurch sind die Nationalstaaten für die Umsetzung verantwortlich. Flüchtlinge und Staatenlose kommen darin nicht zu ihrem Recht. Das sei ein Beispiel dafür, dass Recht allein nicht Gerechtigkeit herstellen könne. Hingegen sollten gegenüber dem Konzept der Nation, Geschlechter und Kultur freundschaftliche Beziehungen unter den Völkern gefördert werden.

Auga bezog sich, als Weiterentwicklung der Menschenrechte, insbesondere auf die UNO-Konvention zur Eliminierung aller Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW 1979), die weiter reicht als die UN-Menschenrechts-Charta und das bedeutendste Menschenrechtsdokument für Frauen als substantielles Diskriminierungsverbot darstellt. Als asymmetrisches Diskriminierungsverbot wird es jedoch immer wieder missgedeutet als Schaffung von Sonderrechten für Frauen. Viele Vorbehalte kommen auch von islamischen Staaten (Ehe und Familienrechte unter Scharia-Gesetzgebung). Skandinavische Staaten erhoben jedoch Einwände gegen solche Vorbehalte und forderten deren Rücknahme im 1998: kulturelle und religiöse Vorbehalte wurden mit Artikel 62 der CEDAW als unzulässig erklärt. An der Kairokonferenz von 1994 wurden zudem sexuelle Gesundheit von Frauen und Mädchen als reproduktive Rechte formuliert.

Umdenken von Kirchen

Nach dem Ersten Weltkrieg begann ein Umdenken von Kirchen zugunsten der Menschenrechte. Die rö misch-katholische Kirche sprach sich für die Würde der menschlichen Person aus. Die Menschenrechts- Kommission des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) verfasste gemeinsam mit Justitia et Pax 1985 eine Schrift zu Menschenrechten und ihre Verwirklichung durch Christen. Eine Ablehnung geschieht nur selten explizit. So zum Beispiel die Kritik am Recht auf Religionsfreiheit oder an einer als verwerflich angesehenen Lebensweise wie bei Homosexualität und Abtreibung. Religionsfreiheit widerspricht dem Verbot im Islam, die Religion zu wechseln. Eine vermerkte Rückkehr der Religionen beinhaltet gleichzeitig das Auftreten von fundamentalistischen Strömungen überall. Dadurch wird aber auch das Erscheinen neuer Formen überlagert, die Emanzipation ermöglichen als gewaltfreies Verständnis von Religion. Auga fasste die Entwicklung und den heutigen Stand zusammen: Systematische Gewalt existiert weiterhin, und frühere emanzipatorische Ziele sind nicht erreicht worden. Das Recht habe keine inhärente Fähigkeit, radikal demokratische Ideale zu befördern oder zu verhindern. Rechte, die neutral und universal erscheinen, heben die Macht der Machthabenden an. Rechte fungieren, um einen Bedarf auszudrücken, der jedoch mit ihrer Hilfe nicht völlig verändert werden kann. Als Strategien fügte sie an: Recht darf nicht mit Gleichheit verwechselt werden oder rechtliche Anerkennung mit Emanzipation. Sie rät dazu, Allianzen zu bilden, auch dort, wo wir es nicht getan hätten früher, um Projekte zu verwirklichen. Der Einsatz für Frauenrechte erleide einen Rückschlag.

Frauen im Dschihad

Meltem Kulaçatan arbeitete an einer Studie über eine Medienanalyse zu «Frauen und Dschihad»4 mit Fragen wie: Wie wird über Frauen und Mädchen im deutschen Sprachraum berichtet, die sich dem Dschihad anschliessen? Bis Mai 2015 war das noch kein Thema, und nur junge Männer waren im Augenmerk, ohne dass dies zu einer kritischen Männlichkeitsforschung führte. Was ist die innere Motivation bei Frauen und Mädchen, sich anzuschliessen? Die Frage richtete sich nicht explizit an muslimische Mädchen, sondern an Frauen deutscher, österreichischer und schweizerischer Herkunft generell. Der Aspekt von Gewalt spielte eine Rolle zusammen mit emanzipatorischen, feministischen Faktoren, allerdings war Gewalt für Frauen und Mädchen bei der Anwerbung noch nicht präsent. Erst viel später tritt der Gewaltaffekt auf, wenn die Verbindung mit den Jugendlichen und Akteuren schon hergestellt ist. Käme sie schon in der Anwerbung vor, wäre die Wirkung zu abschreckend. Jede dritte Frau ist Opfer häuslicher Gewalt. Eine Rückzugsmöglichkeit bieten neosalafistische Netzwerke, wo Frauen eine Aufwertung als angehende Ehefrauen, ein neues Selbstbewusstsein erhalten. Das religiöse Heilsversprechen, in einer Sache tätig zu sein als einem höheren (spirituellen, nicht als theologische Begründung verstandenem) Ziel, für das Wohl an der Gemeinde und so in einer höheren Ordnung aktiv zu werden, geben den Ausschlag für ein Verbleiben.

Religion und Menschenrechte

Amira Hafner-Al Jabaji5 trat für eine Unterordnung von Religion unter die Menschenrechte ein, die für alle gültig sind, und brachte die Frage auf, ob sich die zwei Systeme, Religion und Menschenrechte, vergleichen lassen. Meltem Kulaçatan erklärte die sprachliche Schwierigkeit, über Universalität der Menschenrechte zu sprechen, bevor über Religion gesprochen wird. Für Menschenrechte gab es keinen adäquaten Begriff in ihrer Muttersprache. Diese Begriffe wurden vielmehr verwendet, um überhaupt über Gewalt sprechen zu können. Sie findet keine Antwort darauf, wieso eine sprachliche Hierarchisierung scheinbar keine Rolle spielt und alles auf Religion projiziert wird. Für sie sollte zuerst über soziale Ungleichheit und nicht über Religion gesprochen werden und den Ausgeschlossenen eine Hilfeleistung zukommen. Religion kann als Ressource dienen, um junge Männer und Frauen in ihrer Spiritualität und Religion sprachfähig zu machen. Sie sollten in ihrer Lebenswirklichkeit erfasst werden, um ihr Bedürfnis nach Religion anzusprechen, ohne dabei auf ein Glaubensbekenntnis reduziert zu werden, auch wenn es nicht in Frage gestellt werden sollte.

Anregungen

Die Schlussrunde der Tagung brachte Anregungen und Strategien, um die Frauenrechte zu stärken. Auga regte zu besserer Vernetzung an, um die Informationen von Frauen in Umlauf zu bringen. Sie ermutigte, Weisheit, Visionen und Solidarität seien zentrale Wahrheiten in allen Religionen. Das wurde wieder vergessen und überlagert. Für die Anthropologin und Soziologin Monika Salzbrunn6 geht es darum, Utopien zu wagen, auch durch künstlerischen Ausdruck; Formen des Widerstandes neu zu entwickeln und mit neuen Mitteln anzukämpfen gegen populistische Vertreter in der Weltpolitik. Zur Frage, was «Freiheit» bedeute, meinte sie: Es gibt keinen universellen Freiheitsbegriff.

 

 

Das Editorial zu FAMA 1/2017 über «Frauen Recht Religion» hält fest, dass die Veränderung institutioneller Realität und damit der Zugang zu gesellschaftlicher Definitionsmacht das Ziel der feministischen Bewegung bleiben muss. Die Toleranz religiöser Interpretationen hat dort ihre Grenze, wo Frauenrechte eingeschränkt werden.

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1 Siehe Tagungsbericht von Beatrice Bowald in FAMA 2/2017.

2 Li Hangartner, Theologin und Bildungsbeauftragte Romero-Haus Luzern – Bildungszentrum von COMUNDO; Mitbegründerin der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA (1985) und Redaktorin bis 2006; Mitbegründerin der Interessengemeinschaft Feministische Theologinnen der deutschen Schweiz und Liechtensteins; Radiopredigerin während acht Jahren bei Radio DRS (heute SRF), Buchautorin; Aufenthalt in Indien während ihres Studiums, wo sie das befreiungstheologische Engagement der Jesuiten kennen lernte und für feministische Theologie sensibilisiert wurde.

3 Ulrike Auga, evangelische Theologin, Professorin für Gender, Diversity und Kulturwissenschaft und Vizepräsidentin der International Association for the Study of Religion and Gender (IARG).

4 Meltem Kulaçatan, Politologin (politische Wissenschaft mit Focus auf den modernen Vorderen Orient und Islam) und auf den Islam spezialisierte Religionspädagogin, war bis Februar 2017 Gastprofessorin an der Universität Zürich. Sie ist habilitierte Theologin in Frankfurt am Main.

5 Amira Hafner-Al Jabaji, Publizistin und Moderatorin «Sternstunde Religion SRF».

6 Monika Salzbrunn, Professorin für «Religionen, Migration, Diasporas» an der Universität Lausanne.

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.