Fordernde Subsidiarität

Vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zur gegenwärtigen Versammlung [d. h. der Bischofssynode 2015] haben wir allmählich immer deutlicher die Notwendigkeit und Schönheit des ‹gemeinsamen Vorgehens› erfahren" – "Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet": Kein Papst hat sich bis jetzt so deutlich geäussert, dass Kirche "communio" sein muss, wie Franziskus in seiner Ansprache vom 17. Oktober 2015 – zugänglich unter www. kirchenzeitung.ch – anlässlich der 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode. Deshalb will Franziskus auch die Synode aufwerten.

Aber er geht noch weiter: "Der sensus fidei (der Glaubenssinn) verbietet, starr zwischen der Ecclesia docens [der lehrenden Kirche] und Ecclesia discens [der lernenden Kirche] zu unterscheiden, weil auch die Herde einen eigenen ‹Spürsinn› besitzt, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschliesst." Franziskus zitiert in der wichtigen Jubiläumsrede, die grösste Verbreitung verdient, auch den altkirchlichen Grunsatz "Quod omnes tangit ab omnibus tractari debet – Was alle angeht, muss von allen besprochen werden".

Franziskus macht wesentliche Aussagen auch zu seiner eigenen Aufgabe: Das Papstamt "cum Petro et sub Petro" bedeutet für ihn keine Begrenzung der Freiheit, sondern ist eine Garantie für die Einheit. Franziskus ist überzeugt, dass in einer synodalen Kirche auch die Primatsfrage besser geklärt werden kann. Er betont dabei die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Neuausrichtung des Papsttums, auch aus ökumenischen Gründen.

"Die erste Ebene einer Praxis der Synodalität wird in den Teilkirchen verwirklicht." Deren Organe sollen auf die Basis hören und dieser Basis verbunden bleiben. Die Bischofskonferenzen sollen als Zwischeninstanzen der Kollegialität gestärkt werden, um die Mentalität bischöflicher Kollegialität zu stärken – auch da sieht Franziskus eindeutig Nachholbedarf und betont "die Notwendigkeit, in einer heilsamen ‹Dezentralisierung› voranzuschreiten", denn es sei nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetze. Damit plädiert Franziskus für die Anwendung des gut katholischen Subsidiaritätsprinzips auch in der Ekklesiologie, also in einem Bereich, wo dieses Prinzip bisher in der Theorie und noch mehr in der Praxis ausgegrenzt wurde.

Die Rede bedeutet einen Paradigmenwechsel, mit deutlichen franziskanischen Worten, wie das vorher noch kein Papst so formuliert hat. Dieser Wechsel fordert nicht nur die Bischöfe heraus, sondern alle Seelsorgenden, ja alle Gläubigen. Alle sind zum Hinhören und Ernstnehmen der anderen Person aufgefordert, aber auch zum Mut, selber zu urteilen und zu handeln. Kirchliches Leben wird zukünftig also anspruchsvoller und herausfordernder, denn nun gilt es, noch mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Das ist keineswegs leicht. Und ob alle Synodenväter am 17. Oktober bei der Rede von Franziskus gut zugehört haben oder überhaupt gut zuhören wollten, ist keineswegs sicher. Denn Verantwortung zu tragen ist auch für Bischöfe anstrengend. 

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.