Fastenpraxis im Rahmen der ökumenischen Kampagne

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Seit zwei Jahren stellen die beiden Werke Brot für alle und Fastenopfer in der deutschen Schweiz eine Begleitperson zur Förderung des spirituell-religiösen und solidarischen Fastens zur Verfügung. Obwohl in vielen Pfarreien und Kirchgemeinden seit Jahren gemeinsam gefastet wird, hat es bis dahin an einem Weiterbildungsangebot für Leiterinnen und Leiter von Fastengruppen gefehlt. Die jährlichen Fastentagungen mit Einführungsund Weiterbildungsangeboten fi nden daher grossen Anklang: "Gut, dass es diese Vernetzungsstelle und dieses Treff en jetzt gibt, ich fühle mich inspiriert und motiviert für meine Fastenarbeit", so eine Fastengruppenleiterin.

Weniger für uns – genug für alle

Exemplarisch zeigt das Plakat der diesjährigen Kampagne auf, wie der Konsum unserer Wohlstandsgesellschaft die Ernährungssicherheit vieler Menschen im Süden beeinträchtigt: Die in riesigen Zuchthallen gemästeten Poulets, aber auch Schweine und Rinder, werden mit Soja gefüttert. Dort, wo das Futter grossfl ächig angebaut wird, pfl anzten früher Familien ihr Essen an. Für die Sojabohnen-Monokulturen werden Wälder und Savannen gerodet. "Unsere Tiere fressen den Kleinbauernfamilien in den Produktionsländern buchstäblich die Lebensgrundlagen weg. Futteranbau und extensive Viehhaltung heizen die Zerstörung des Regenwaldes an. Die Fleischproduktion beansprucht heute drei Viertel der weltweiten Agrarfl ächen. Werden auch alle indirekten Folgen eingerechnet, verursacht die industrielle Nahrungsmittelproduktion fast 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen" – so wird die Problematik des übermässigen Fleischkonsums in den Kampagnenunterlagen beschrieben. Den drei Werken ist es ein grosses Anliegen, den beängstigenden Auswirkungen mit konstruktiven Handlungsvorschlägen entgegenzutreten. Ein bewusster Fleischkonsum steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zu einer nachhaltigen Lebensweise. Glückliche Hühner vom Schweizer Bauernhof belasten das Klima ebenso wenig wie die kleine Hühnerzucht einer Familie im Süden, die damit ihre Versorgung und das Einkommen sichert. Die Frage bezüglich des Fleischkonsums lautet nicht in erster Linie ob, sondern wie.

Fasten – Impuls zur Genügsamkeit

Nach christlichem Verständnis von Fastenopfer und Brot für alle, wie auch in den Menschenrechten verankert, sind alle Menschen allein aufgrund ihres Menschseins mit gleichen Rechten ausgestatsam tet. Diese Rechte sind egalitär begründet, gelten universell, sind unveräusserlich und unteilbar. Dies verbietet sowohl willkürliche und rücksichtslose Ausbeutung von Mitmenschen als auch die Zerstörung von natürlichen Ressourcen.

Das ist ein grundlegender Aspekt in Bezug auf das Weltgemeinwohl und eine wichtige Motivation zu einer nachhaltigen Lebensweise mit entsprechender Konsumethik. Die Tradition des Fastens stellt eine wichtige Selbstbescheidung dar, die der Suche nach einem Lebens- und Wirtschaftsstil der Genügsamkeit wichtige Impulse vermittelt. Fasten ist ein waches, aktives Geschehen. Leib und Seele stellen sich darauf ein, die Nahrung für eine bestimmte Zeit nicht von aussen, sondern von innen, aus dem eigenen Depot, zu beziehen. Nach anfänglicher Unsicherheit stellt sich bald ein angenehmes Gefühl von Leichtigkeit, Ruhe und tiefer Entspannung ein. Fasten erlaubt den Luxus, sich dem Stress der Alltagsroutine zu widersetzen. Eine Übung, in der Lebenssteigerung in anderer Weise erfahren werden kann, als sie die Normen der Leistungs- und Konsumgesellschaft vorführt. Fasten ist erleben, dass weniger mehr sein kann, wahrnehmen, was ich wirklich zum Leben brauche.

Die drei Dimensionen des Fastens

Bereits der Kirchenlehrer Augustinus bezeichnete die tätige Nächstenliebe und das Gebet als die zwei Flügel des Fastens. Dies wird im Fasten während der ökumenischen Kampagne aufgenommen. Fasten wird mit Beten und Almosengeben verbunden, was sich ideal mit dem Fasten nach der Buchinger-Methode verbinden lässt. "Medizinisch richtiges Fasten, in der Wahrnehmung von Bedürfnissen anderer Menschen und verbunden mit dem Göttlichen, ist die ideale Form des menschlichen Fastens. In der christlichen Tradition mündet das Fasten in das Osterfest, ein Symbol für neues Leben." – so beschrieb der bekannte Arzt Otto Buchinger das dreidimensionale Fasten.1

Die medizinisch-körperliche Dimension

Die körperlich-medizinische Dimension steht für die physiologischen Vorgänge und die medizinischtherapeutischen Anwendungen. Im Fasten lassen sich drei Phasen unterscheiden: der Einstieg in den Prozess der "Umschaltung", das eigentliche Fasten und das Fastenbrechen mit dem Wiederaufbau der Nahrungsaufnahme. Fasten bedeutet Urlaub für den Magendarmtrakt und das Immunsystem.

Die spirituell-religiöse Dimension

Die spirituell-religiöse Dimension ergibt sich im Fasten durch den natürlichen Zugang zu einem höheren Bewusstseinszustand, der in allen grossen Weltreligionen angestrebt wird. Verhaltensmuster werden im Fasten unterbrochen. Die spirituelle Herausforderung besteht darin, diesen freien Raum wachsen zu lassen hin zu einer harmonischen Stimmung bis zu Glücksgefühlen. Damit verbreitet Fasten Hoffnung, denn es stellt sich mit dem Verzicht dem gängigen Weltbild entgegen. Der frei gewählte Verzicht eröffnet eine grosse Freiheit gegenüber der gängigen Alltagsroutine und Wertvorstellungen und lässt Farben, Formen und Gerüche neu wahrnehmen. Fasten fördert das Wachsein für das Transzendentale, es erweitert den Bereich der normalen Sinneswahrnehmung.

Die mitmenschlich-soziale Dimension

Die mitmenschlich-soziale Dimension beschreibt die Fähigkeit der Fastenden, den Mitmenschen wahrzunehmen. Die tätige Nächstenliebe oder Barmherzigkeit – Almosen geben – meint im wörtlichen Sinn Geld für einen guten Zweck geben. Almosen geben bedeutet aber nicht nur, etwas von seinem Überfluss zu verschenken. Menschen, die fasten, neigen dazu, sich gegenseitig zu unterstützen und toleranter miteinander umzugehen, sie öffnen sich und können freier ins Gespräch kommen. "Wir wissen zwar, dass wir nach dem Fasten wieder essen können, dennoch können wir uns leichter vorstellen, wie Hungernde leiden müssen. Verzicht macht offen für die Not des Anderen", sagt der Fastenexperte Pater Niklaus Brantschen.2

Brücke zwischen Nord und Süd

Unter dem Aspekt der menschlich-sozialen Dimension unterstützen die Fastengruppen in Pfarreien und Kirchgemeinden Menschen, die auf Solidarität angewiesen sind. Fastenopfer und Brot für alle schlagen mit ihren Klimaprojekten eine Brücke der Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd. Ressourcenverschwendung bei uns wird bekämpft, und mit dem Eingesparten werden benachteiligte Menschen im Süden unterstützt. Das Klima verändert sich, die Stürme werden stärker, Überschwemmungen oder Dürren häufiger. Bei den ärmsten Menschen fordern solche Ereignisse den grössten Tribut: Wer ums tägliche Brot kämpft, hat schlichtweg keine zusätzlichen Möglichkeiten – sei es Arbeitszeit oder Geld –, um das zerstörte Haus wieder aufzubauen oder den kleinen Acker von Schlamm und Steinen zu befreien.

Die Fastengruppen stellen mit ihren "Almosen " vom Klimawandel betroffenen Menschen die nötigen Mittel zur Verfügung, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Solche Klimaprojekte zu unterstützen, bedeutet für die Fastenden aktive Solidarität.3

Weitere Informationen: www.sehen-und-handeln.ch/fasten 

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Tagung für Leitende von Fastengruppen, 7. November 2015, Bildungszentrum 21, Basel.
Informationen und Anmeldung: Dorothea Loosli-Amstutz,

 

 

1 Françoise Wilhelmi de Todledo: Buchinger Heilfasten: Ein Erlebnis für Körper und Geist. Stuttgart 2013.

2 Niklaus Brantschen: Fasten für Körper, Geist und Seele. Freiburg i. Br. 2012.

3 Der Artikel erschien leicht erweitert bereits in: Anton Rotzetter / Annette Forster / Eva Opitz: Rette uns, wer kann! Fasten für Klimagerechtigkeit. Freiburg/Schweiz 2015. Das Buch aus dem Paulusverlag begründet das Problem des Fastens gleichzeitig in der philosophisch-theologischen Tradition und siedelt es in der heutigen Welt an. Es dokumentiert mehrere Initiativen und Vorschläge rund um das Fasten, provokativ und faszinierend.

Dorothea Loosli-Amstutz

Dorothea Loosli-Amstutz

Lic. theol. Dorothea Loosli-Amstutz ist Fastenkoordinatorin bei Fastenopfer und Brot für alle und macht kreative Entwicklungsberatung.