Etappenehe ist nicht gleich Probeehe

Synode: Was ist von den afrikanischen Bischöfen zu erwarten?

In seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Familiaris consortio» (1981) betonte Papst Johannes Paul II: «Eine erste irreguläre Situation ist das, was man ‹Ehe auf Probe› nennt. Viele möchten sie heute rechtfertigen und ihr einen gewissen Wert beimessen. Aber schon die blosse menschliche Vernunft spricht gegen sie; zeigt sie doch, wie wenig überzeugend es ist, ein ‹Experiment› anzustellen, wo es um die menschlichen Personen geht, deren Würde verlangt, dass sie für immer und ausschliesslich das Ziel liebender Hingabe sind, ohne jegliche zeitliche oder sonstige Begrenzung» (Nr. 80). Diese Äusserung des Papstes wird von manchen auf das afrikanische Eheverständnis übertragen, da hier einige Bischöfe und Theologen von einem progressiven Ehevollzug sprechen, der sich jedem punktuellen Vorgehen widersetzt. Bevor man aber darüber urteilt, ob dies nicht gerade den Vorwurf des päpstlichen Lehrschreibens bestätigt, ist eine kurze Darstellung der afrikanischen Tradition angebracht, die sichtbar werden lässt, welche religiös-anthropologische Konzeption dahintersteht.

1. Ehe als gemeinschaftlicher Prozess

Zahlreiche Studien betonen immer wieder, dass die Ehe in Afrika keineswegs mit dem uns bekannten rechtlichen Vertrag gleichzusetzen ist. Es handelt sich in der Tat um einen Bund, der bezeichnenderweise in eine dreidimensionale Gemeinschaft eingebettet ist. Die irdische Gemeinschaft nämlich ist auf eine zweidimensionale unsichtbare Gemeinschaft angelegt, die sich aus den Verstorbenen und den Noch-nicht-Geborenen zusammensetzt. Dies bedeutet aber, dass eine Ehe diesen Namen verdient, sofern sie nicht nur das Wohl von Mann und Frau als zwei Individuen im Auge hat, sondern wenn sie nach der Vervollkommnung der gesamten Gemeinschaft trachtet. Daher ist die eheliche Gemeinschaft in Afrika niemals von der eschatologischen Erfüllung zu trennen. Denn die Ehe ist jener Ort, an dem sich das gesamte Anliegen der Menschheit verdichtet: Die Lebenden, die Toten und die Noch-nicht-Geborenen begegnen sich hier und bilden ein einziges Menschen-ideal, das auf die Unsterblichkeit angelegt ist. Das Ganze lässt sich wie folgt erklären: Die Verstorbenen sind nicht unabhängig von den Hinterbliebenen und umgekehrt. Es herrscht eine Interaktion zwischen den beiden Teilgemeinschaften. Die Verstorbenen leben in den Hinterbliebenen weiter, und diese selbst schöpfen von den Vorfahren die nötige Kraft zum Weiterleben. Darüber hinaus aber sind sowohl die Vorfahren als auch die Hinterbliebenen auf eine dritte Teilgemeinschaft angewiesen, nämlich auf die Noch-nicht-Geborenen, die das Vermächtnis sowohl der Ahnen als auch das der gegenwärtig irdisch noch Lebenden weiterführen werden.

Hält man sich diese Grundkonzeption der afrikanischen Anthropologie vor Augen, dann wird verständlich, warum eine Ehe niemals von der Gemeinschaft als Ganzes entkoppelt werden darf. Die Gründung einer Familie ist eine Angelegenheit, die nicht nur die einzelnen Mitglieder, sondern alle drei Teilgemeinschaften betrifft. Es geht um das Wohl aller bis in die unsichtbare Dimension hinein. Anders gesagt, das Überleben der tridimensionalen Gemeinschaft hängt wesentlich davon ab, inwiefern Friede und Harmonie in der Familie herrschen. Das Überleben artikuliert sich natürlich zuerst durch die Nachkommenschaft, die den Stammbaum nicht nur im Allgemeinen perpetuiert, sondern auch die persönliche Unsterblichkeit jedem einzelnen Vorfahren garantiert. Der katholische ruandische Priester und Philosoph Alexis Kagame hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht: Der Muntu (Afrikaner) ist davon überzeugt, dass nach seinem Tod etwas von ihm in seiner Nachkommenschaft überlebt und dass gleichzeitig er selbst im Jenseits weiterlebt, derart, dass er sowohl im Diesseits als auch im Jenseits präsent ist. Das Problem kann dann akut und beinah unlösbar in christlicher Perspektive werden, wenn etwa einer ganzen Gemeinschaft die Nachkommenschaft versagt geblieben ist. Dies würde bedeuten, dass sie ganzheitlich ausgelöscht und von der eschatologischen Vollendung total abgeschnitten ist.1 Die Sorge um eine gute Ehe hängt demnach mit dieser Einstellung zusammen. Die Gemeinschaft ist an einer guten Ehe interessiert, die das Überleben für alle garantiert. Dabei geht es nicht ausschliesslich um die biologische Fruchtbarkeit, sondern zugleich um eine holistische Harmonie, die allen Mitgliedern ein bleibendes Glück über den Tod hinaus verspricht. In diesem Sinn kann man sich unschwer vorstellen, dass etwa in der Baluba-Tradition von Kasayi (Kongo-Kinshasa) eine Frau während der zur Ehe führenden Etappen sehr genau beobachtet wird, was ihre Hausarbeit anbelangt, denn durch die Heirat wird sie in den Nkambuakult eingeweiht, der die Ahnin ihres Mannes verkörpert. Sie ist dann zuständig für den Unterhalt der Vorfahren ihres Gatten, die sie nicht zuletzt durch Nahrung versorgt. Die Frau erlangt dadurch jenen Status, der es ihrem Mann verbietet, sie willkürlich aus der Ehe zu entlassen. Andererseits weiss die Frau, dass etwa ihre Untreue gegenüber dem Ehemann eine Beleidigung aller Ahnen als Schutzpatrone bedeutet.2 Wer dies nicht aus den Augen verliert, hat keine Mühe zu verstehen, dass eine afrikanische Ehe immer gemeinsam angegangen wird, dergestalt, dass niemand deswegen von einer illegitimen Einmischung in die private Angelegenheit sprechen kann. Doch wie konkret vollzieht sich dieser gemeinsame Prozess?

2. Ehe als dynamischer Prozess

Im Unterschied etwa zur modernen Ehepraxis in manchen westlichen Gesellschaften ist der dynamische Prozess in Afrika keine Angelegenheit, die nur zwei Ehekandidaten betrifft, da nicht zwei Personen, sondern zwei Familien heiraten. Deshalb werden alle Eheetappen von allen Mitgliedern begleitet. Das bedeutet auch, dass jede Etappe durch die Mitbeteiligung aller zustande kommt. Damit jeder Schritt gültig ist, wird ein Familienpalaver geführt, in dem sogar die verstorbenen Vorfahren ihren festen Platz haben. Sie werden nämlich dadurch involviert, dass man ihr Vermächtnis – Worte, Gesten, Satzungen und dergleichen – gründlich zu interpretieren versucht. Sie werden freilich auch durch Gebete angerufen, damit sie ihren Willen kundtun.

Was die verschiedenen prozesshaften Schritte anbelangt, sind sie nicht überall gleich. Sie können sich zahlenmässig sehr unterschiedlich vollziehen. Manche Traditionen begnügen sich mit einem relativ kurzen Prozedere und wenigen Etappen, während andere ethnische Gruppen das ganze Eheleben als einen nie endenden Prozess betrachten. Das folgende Modell aber, das von Bischof John Njenga3 aus Kenia zur Sprache gebracht wird und sich in fünf Etappen vollzieht, illustriert treffend den Werdegang, der beinahe alle afrikanischen Ehen charakterisiert. Von den fünf Etappen, von denen der Bischof spricht, ist eigentlich die dritte die entscheidende. Die erste Etappe besteht nämlich aus dem Sich-gegenseitig-Kennenlernen der beiden Heiratskandidaten, was freilich auf Vorschlag eines der Familienmitglieder zustande kommt. Sind sich die beiden einig, dann folgt der zweite Schritt, in dem die Eltern des Verlobten über das Heiratsvorhaben informiert werden. Nach dem Einverständnis letzterer müssen ebenso die Bündnispartner auf der Seite der Frau in Kenntnis gesetzt werden. Man braucht also auch hier die Einwilligung der Eltern und anderer Verwandter. Das heisst aber zugleich, dass damit die wichtigsten Partner des Ehebands um ihren definitiven Segen gebeten werden, damit von diesem Augenblick an die Ehe als geschlossen gelten kann. – Nach diesem unserem Modell ist die vierte Stufe die Übergabe der Mitgift, die aber bei manchen nicht ein für alle Mal nachgereicht wird, sondern die Ehe ein Leben lang begleitet. Die fünfte Etappe ist schliesslich die Abrundung aller bisheriger Stufen und besteht in der Zelebration, die sich entweder nach der afrikanischen Tradition oder nach der modernen standesamtlichen Feier bzw. nach der kirchlich-religiösen Zeremonie vollzieht. Denkbar ist auch, dass alle diese drei Feierlichkeiten sich gleichzeitig begehen lassen. Aus afrikanischer Sicht ist indes äusserst wichtig zu betonen, dass allein die Eheschliessung nach der genuin traditionellen Ordnung für sich die Gültigkeit in Anspruch nehmen kann. Es ist selbstverständlich, dass jede afrikanische Ehe eine religiöse Dimension besitzt, so dass es nur schwer einsehbar ist, wieso die christlichen Kirchen noch auf einer besonderen Zeremonie bestehen. Ausserdem gibt es keine Dichotomie zwischen sakral und profan. Das bedeutet aber, dass auch die sogenannte standesamtliche Trauung total überflüssig ist. Afrikanische Christgläubige werden das Gefühl nicht los, man zwinge sie, dreimal zu heiraten. Vor diesem Hintergrund haben namhafte afrikanische Bischöfe wie Kardinal Joseph-Albert Malula,4 Bischof John Njenga, Bischof André Kaseba5 und andere dafür plädiert, die Etappenehe in der Weise anzuerkennen, dass die Kirche die verschiedenen Stufen von Anfang an mit begleitet und sich auch konkret in eine der Etappen einbringt, die als sakramentaler Höhepunkt anerkannt wird. Am besten, nach dem oben erwähnten Modell, soll die Kirche diese Anerkennung ab der dritten Etappe klar aussprechen, obwohl die Tradition noch nicht alle Schritte vollzogen hat. In der Tat wird ja diese dritte Etappe mit der sexuellen Begegnung zwischen der Braut und dem Bräutigam verbunden, obwohl der feierliche Abschluss der gesamten Hochzeit noch aussteht. Darin scheint auch das eigentliche Problem für die katholische Kirche zu bestehen, nach deren Lehre das sexuelle Leben ganz am Ende des Eheprozesses gestattet sein soll, da es sich erst dann um jene Eins-Werdung der Eheleute handelt, die den Bund zwischen Christus und der Kirche symbolisiert.

Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass es auch in Afrika nicht alle Volksgruppen sind, die das sexuelle Zusammenleben vor der letzten als Höhepunkt geltenden Etappe erlauben, gleichwohl schliesst das letzte Stadium selbst keineswegs den ganzen Prozess endgültig ab. Das sexuelle Leben ist für die Gemeinschaft nur eine Garantie, dass der bereits angelaufene Prozess nicht mehr abzubrechen ist. In ähnlicher Weise ist es der Kirche auch bei anderen Etappenmodellen möglich, eine der Stufe anzuerkennen, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann, die aber von eminenter Bedeutung für weitere Schritte ist. Wichtig ist indes, den Werdecharakter beizubehalten, der die dynamische Dimension der Allianz in den Vordergrund stellt. Keiner der verschiedenen Schritte darf nämlich unterlassen werden, ohne dass damit die Gefahr entsteht, die Gültigkeit der Ehe zu Fall zu bringen. Jeder Schritt enthält potentiell den nächsten. Es ist hier wie mit einem Kabel, das aus kleinsten Drähten besteht. Jeder Draht für sich genommen macht das Kabel nicht aus, aber erst zusammen sind die Drähte stark und bilden das Ganze. Die Stärke jedes einzelnen hängt von dem vorhergehenden und dem nachfolgenden zugleich ab. Ähnlich ist es mit der afrikanischen Etappenehe. Eine dichotomische Vorgehensweise würde keine Ehe zustande bringen. Summa summarum: Jede Etappe ist ein Wesensbestandteil des Sakraments; jeder Schritt sowohl von den Heiratskandidaten als auch von der gesamten Gemeinschaft ist nicht nur ein Begleitumstand, sondern konstitutiv für das Ganze. Dies muss als selbstverständlich gelten, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um eine punktuelle Aktion handelt, sondern dass die Ehe das wird, wozu sie bestimmt ist, durch jeden sowohl gemeinschaftlichen als auch individuellen Ja-Augenblick aller Interessierten. Fragt man dann im Sinn der klassisch-westlichen Theologie, wer denn im afrikanischen Kontext als Spender des Ehesakraments zu gelten hat, dann lautet die Antwort, dass nicht nur die beiden Ehekandidaten, sondern die ganze Gemeinschaft als familia Dei diese Funktion ausübt.

Diese Ehekonstituierung als Gemeinschaftsaufgabe ist von unerlässlicher Bedeutung für die Stabilität des ehelichen Bundes. Zugegebenermassen: Heute im Zuge der Modernität und Globalisierung fällt diese alte, genuin afrikanische Tradition immer mehr zusammen. Viele haben sich das westliche Freiheitsverständnis zu eigen gemacht, das nicht mehr auf die gemeinschaftliche Dimension achtet. Indes ist nicht selten zu beobachten, dass Ehen, die ohne das Hinhören auf die Weisheit bedeutender Familienangehöriger geschlossen werden, früher oder später mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Nicht selten enden sie mit einem schmerzlichen Bruch. Die Ehepastoral in Afrika kann deshalb nicht darauf verzichten, die zentrale Bedeutung der Gemeinschaft für das prozesshafte Zustandekommen des Ehebundes unermüdlich und nachdrücklich zu betonen. Mehr noch: Das Gemeinschaftshandeln soll die ganze pastorale Praxis nachhaltig prägen.

3. Gemeinschaft und Stabilität der Ehe

Weiter oben wurde darauf hingewiesen, dass die Ehe keine private Sache ist, die nur die beiden Heiratskandidaten betrifft. Die ganze Gemeinschaft in ihrer Tridimensionalität von Lebenden, Toten und Noch-nicht-Geborenen geht das Ehebündnis ein. Keines der Mitglieder lebt für sich allein, sondern wird Mensch eben durch andere Menschen. Das Leben aus afrikanischer Sicht ist ein ständiges gegenseitiges Gebären und Zeugen. Das Gute, das man dem anderen tut, trägt dazu bei, ihm eine neue Lebensdimension zu eröffnen, eben ihn neu zu gebären. In diesem Sinn sind wir ständig Zeugende/Gebärende und Gezeugte/Geborene zugleich. Ein Kind ist von seinen Eltern biologisch gezeugt/geboren, und auch danach braucht es deren Unterstützung, um sich entfalten zu können. Andererseits aber zeugt/gebiert das Kind seine eigenen Eltern, indem es ihnen Freude und Glück bringt. Kurzum: Was so fast abstrakt über Eltern und Kind gesagt wird, lässt sich ohne weiteres auf alle Lebensbereiche ausdehnen. Um bei unserem Thema zu bleiben: Ein Ehepaar etwa aus afrikanischer Perspektive lebt nicht ausserhalb, sondern innerhalb der Gemeinschaft und kann nur von dieser zum Ort des Lebens in Fülle werden. Mit anderen Worten, nur wenn alle Mitglieder der dreidimensionalen Gemeinschaft daran beteiligt sind, das Ehepaar tagtäglich zu gebären, kann es auch gedeihen. Damit wird zugleich das Problem der Stabilität angesprochen.

Noch deutlicher: Wenn die traditionelle afrikanische Ehe sich nur prozesshaft vollzieht, soll dies nicht mit der modernen Form des vorehelichen Lebens im Westen gleichgesetzt werden. Gerade aufgrund einer gemeinschaftlichen Dimension gibt es hier eine entscheidende Differenz. Im Westen besteht man vor allem auf einer individuellen Freiheit, während in Afrika die Freiheit ihre Vervollkommnung erst dann erreicht, wenn sie zugleich die Gemeinschaft mit einbezieht. Dass alle Familienangehörigen im Prozess involviert sind, hilft den unmittelbar betroffenen Ehekandidaten, ihre Freiheit richtig zu orientieren. Man kann sagen, die Volksweisheit in Afrika spiele eine lebenswichtige Rolle, vor allem wenn es sich um die Älteren der Gemeinschaft handelt. In diesem Punkt kommt die afrikanische Konzeption der Forderung des vierten Gebots im Alten Testament sehr nah, wenn es nämlich heisst: «Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt» (Dtn 5,16; vgl. Ex 20,12). Wir wissen, dass dieses Gebot das einzige unter den Zehn Worten ist, dem eine Verheissung beigefügt ist. In Anlehnung an die alttestamentliche Exegese darf man hier ausführen, dass das Gebot auf die verschiedenen Generationen der Grossfamilie aufmerksam macht, von deren Erfahrung die jüngere Generation lernen soll, damit sie um das rechte Verhalten zum Besitz des verheissenen Landes weiss. Alfons Deissler kommentiert: «In der Grossfamilie (…) dürfen somit die ‹Alten› nicht abgeschrieben oder in das blosse ‹Existieren› verwiesen werden (…). Hier wird Israel deutlich vor Augen gestellt, dass der Besitz des Gelobten Landes und damit die Zukunft von einer intakten Gemeinschaft und Harmonie zwischen der ‹erfahrungsspeichernden› und der ‹experimentierenden› Generation (wie wir heute gerne sagen) abhängt.»6 Auf afrikanische Verhältnisse übertragen ist eine ähnliche Interpretation nicht von der Hand zu weisen. Die Gemeinschaft, die sich um die Zukunft der jungen Leute kümmert, tut dies aufgrund der ihr eigentümlichen Erfahrung, die sie nicht zuletzt von alters her gesammelt hat und die durch versierte weise Menschen immer wieder bestätigt wird. Worauf es ankommt, ist die Bewahrung der Integrität der tridimensionalen Gemeinschaft, die danach trachtet, ein friedliches und harmonisches Leben zu führen. Die Zukunft der Ehe hängt also davon ab, inwiefern die jüngere Generation bereit ist, von der Erfahrung der Vorfahren zu profitieren, die durch die ältesten Mitglieder der Gemeinschaft tradiert wird.

Nimmt man diese afrikanische Sorge um eine gelungene Ehepartnerschaft ernst, dann ist es ungerecht, von einem Konkubinat für die prozesshafte Praxis zu sprechen, die zur endgültigen Bindung zwischen Mann und Frau führt. Sofern die gesamte Gemeinschaft diese werdende Bindung mitträgt, handelt es sich für Christinnen und Christen um ein echtes ekklesiales Vorgehen, dessen Mitte Jesus Christus selber darstellt, der mit der Kirche als Familie Gottes auf dem Weg zum ewigen Hochzeitsmahl ist. So verstanden müsste man sich fragen, ob ein Insistieren auf einer punktuellen Ehe «in facie ecclesiae», um Zugang zu den Sakramenten haben zu können, noch von Bedeutung im afrikanischen Kontext ist. Kardinal Malula seinerseits hat zu Recht pointiert bemerkt, dass die offizielle Kirche, welche die afrikanische Ehe als Konkubinat abtut, die Christgläubigen dazu zwingt, sich kirchlich trauen zu lassen. Die negative Folge davon ist, dass sich manchmal Paare trennen, nachdem sie viele Jahre zusammengelebt und sogar mehrere Kinder geboren haben. In der Tat, wenn die offizielle kirchliche Trauung die einzige gültige sein soll, werden die Christen/Christinnen versucht, ihre bisherige Bindung zu revidieren und sich einen neuen Partner oder eine neue Partnerin für die sogenannte unauflösliche Ehe auszusuchen.7 Joseph-Albert Kardinal Malula plädiert für eine kirchliche Anerkennung der afrikanischen Ehepraxis, denn auch sie ist von Gott selbst gesegnet. Dieser Gott bzw. Jesus Christus hat weder das Gültigkeitsvorgehen noch die konstitutiven Elemente oder den genauen Zeitpunkt für die Unauflöslichkeit festgelegt. Im Westen etwa ist es die Kirche, die durch ihre Weisheit und angesichts der Konfrontation mit verschiedenen Kulturen Normen erlassen hat, bis hin zur Bestimmung der Lehre von «ratum et consummatum» (ratifiziert und vollzogen). Daher fragt Malula, warum die Begegnung mit der afrikanischen Tradition nicht auch zu einer neuen Praxis zu führen vermag, zumal diese Tradition nicht a priori verwerflich ist.8

4. Schlussüberlegungen

Bis zur Stunde hat die katholische Kirche in Afrika noch keine Schritte unternommen, um eine geeignete Ehepastoral im Sinne des Vorschlags einiger Bischöfe und zahlreicher Theologen zu entwickeln. Es entsteht nämlich der Eindruck, dass die Kirche, statt die afrikanische Dynamik zu fördern, eher die sich allmählich durchsetzende westliche Mentalität mit ihrem individuellen Eheverständnis duldet bzw. fördert. Man beobachtet ja, dass viele junge Leute im Heiratsalter sich unter Ausschluss der Gemeinschaft zusammentun und ein Leben zu zweit führen, bevor eine zivilrechtliche oder kirchliche Trauung stattfindet.

Charakteristisch ist dann auch, dass der ganze Prozess seinen Abschluss zivilrechtlich und kirchlich ohne Mitberücksichtigung der traditionell-afrikanischen Gemeinschaftsdimension findet. Nach der Sensibilität und Rationalität der afrikanischen Religiosität bedeutet dies aber, dass die eigentliche Ehe nicht stattgefunden hat, da meistens die erforderlichen Etappen unterlassen wurden und die dreidimensionale Gemeinschaft der Heiratskandidaten weder in den Prozess einbezogen noch um ihre Zustimmung gefragt wurde. Die Stabilität einer derartig «individualistisch» geschlossenen Ehe steht dann auf dem Spiel, und oft kommt es vor, dass bei Spannungen zwischen den Partnern die Grossfamilie, die nichts Konkretes um die Eheschliessung gewusst hat, sich aus dem Konflikt heraushält. Es war ihr ja von vornherein nicht vergönnt, sich rechtzeitig – und zwar während der vorgesehenen Etappen – zu Wort zu melden, um gegebenenfalls Schlimmeres zu verhindern. Meistens scheitern solche Ehen aufgrund der in naiver Weise rezipierten Modernität aus dem Westen, die das technische Wissen in den Vordergrund stellt, ohne zugleich der bewährten afrikanischen Lebensweisheit Gehör zu verschaffen.

Es sollte jedoch auch in der Moderne nicht in Vergessenheit geraten, dass selbst heute – trotz einer galoppierenden und höchst brutalen Globalisierung – die Technik allein den Menschen nicht zum Menschen macht. Der Mensch braucht andere Menschen, um er selber zu werden, er benötigt eine neue Geburt, die ihm ununterbrochen ein erneuertes Leben schenkt. Nur dann kann alles gedeihen, was zum Eigen- und Gemeinwohl beiträgt. Diese zum neuen Leben führende Unterstützung brauchen in besonderer Weise Ehepaare. Sie müssen wissen, dass der privilegierte Ort von Schutz und Geborgenheit in Afrika die tridimensionale Gemeinschaft ist, die für Christen die Kirche als Familie Gottes impliziert.

Zum Schluss sei noch folgendes nachdrücklich betont: Wenn die christliche Ehe in Afrika eine neue Lebendigkeit erlangen soll, dann muss es eine dringende Aufgabe für afrikanische Bischöfe sein, das Problem deutlich auf der im Oktober stattfindenden ausserordentlichen Bischofssynode über Ehe und Familie anzusprechen und sich für dessen Lösung voll einzusetzen.

1 Vgl. Alexis Kagame: La philosophie rwandaise de l’être. Bruxelles 1956, 363–379, bes. 375 ff.

2 Vgl. Tshibalabala A. Kankolongo: Interdits, facteur de libération dans la société traditionnelle, in: Philosophie et libération (= Recherches Philosophiques Africaines, 2). Kinshasa 1978, 99–109, hier 102; ders.: Valeur éthique et éducative des interdits dans la société traditionnelle, in: Ethique et société (= Recherches Philosophiques Africaines, 5). Kinshasa 1980, 239–253, hier 237 f.

3 Vgl. J. Njenga: Marriage in Successive Stages, in: African Ecclesial Review 28 (1986), 198–207, hier 201.

4 Vgl. Card. J.-A. Malula: Mariage et famille en Afrique, in: OEuvres complètes du Cardinal Malula, rassemblées et présentées par Léon de Saint Moulin, Vol. 7. Kinshasa 1997, 135–144.

5 Vgl. Mgr Kaseba: L’alliance matrimoniale s’élabore au cours d’un processus par étapes dynamiques, in: Conférence Episcopale du Zaire (éd.): Fonctions et tâches de la famille chrétienne dans le monde contemporain. Kinshasa 1984, 54 ff.

6 Alfons Deissler: Ich bin dein Gott, der dich befreit hat. Wege zur Meditation über das Zehngebot. Freiburg i. Br. 1975, 96.

7 Malula, Mariage et famille (wie Anm. 4), 141.

 8 Siehe ebd., 135–144.

Bénézet Bujo

Bénézet Bujo

Bénézet Bujo war von 1989 bis 2010 Ordentlicher Professor für Moraltheologie, Sozialethik und afrikanische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ü. Als Experte hat er zweimal (2005 und 2009) an den Bischofssynoden in Rom teilgenommen. Gegenwärtig ist er theologischer Berater von Caritas Africa. Eine ausführlichere Stellungnahme zur afrikanischen Ehe findet man in seinem Buch «Plädoyer für ein Modell von Ehe und Sexualität. Afrikanische Anfragen an das westliche Christentum» (QD 223, Verlag Herder, Freiburg i. Br. u. a. 2007).