«Es ist ein Ausdruck der Liebe zu Gott»

Im «Deutschen Martyrologium des 20. Jahrhunderts» werden annähernd 1000 Lebensgeschichten von Frauen und Männern dargestellt, die als Märtyrer für ihren Glauben gestorben sind.

Helmut Moll mit Papst Franziskus. (Bild: zvg)

 

SKZ: Warum hat das Martyrium im Christentum einen so hohen Stellenwert?
Helmut Moll (im Bild mit Papst Franziskus)*: Das heutige Christentum besitzt nach wie vor einen hohen Stellenwert, weil auch Aussenstehende und Ungläubige die selbstlose Hingabe an Gott wertschätzen. Denken Sie nur an die Ereignisse in Sri Lanka, wo hunderte Christen am Ostersonntag das Martyrium erlitten haben, oder an die zahlreichen koptischen Christen, die in Ägypten von Islamisten gewaltsam umgebracht wurden. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist das christliche Martyrium die höchste Form der Nachfolge Christi, bis in den blutigen Tod. Es ist ein Ausdruck der Liebe zu Gott und den Menschen.

Es gibt nicht nur im Christentum Märtyrer, sondern z. B. auch im Islam. Worin unter- scheiden sie sich?
Islamistische Selbstmordattentäter haben die Absicht, sich und andere unschuldige Menschen in den Tod zu reissen. Auf diese Weise hoffen sie, schneller zu Allah zu gelangen. Solche Menschen suchen den vorzeitigen und gewaltsamen Tod. Im Christentum darf das Martyrium nicht gesucht werden; es muss erlitten werden.

Aufgrund welcher Kriterien wird jemand in der katholischen Kirche als Märtyrer anerkannt?
Die drei Hauptkriterien zur Bestimmung des Blutzeugentodes lauten: Der Tod muss, wie bei Jesus Christus, gewaltsam erfolgt sein, z. B. durch Erschiessen, Vergiften, Erdrosseln oder Vergasen. Er kann auch passiv erfolgt sein, wenn z. B. einem Inhaftierten eines Konzentrationslagers das letzte Stück Brot aus der Hand genommen wird, sodass er am Ende verhungert. Das zweite Kriterium besteht in dem Zeugnis für den christlichen Glauben, sei es öffentlich, sei es privat. Das wohl schwierigste Kriterium ist die Bereitschaft, für den christlichen Glauben eines gewaltsamen Todes zu sterben. Im Garten Getsemani zeigte sich Jesus am Ende bereit, den unergründlichen Willen seines Vaters anzunehmen, für die Sünden der Menschen den Kreuzigungstod zu erleiden.

Es gibt Stimmen, die eine Öffnung der Kriterien oder eine Erweiterung fordern.
Die verbindlichen Kriterien wurden zwar im 18. Jahrhundert festgeschrieben, basieren aber auf den Schriften des Neuen Testamentes und ihrer Auslegung durch die Kirchenlehrer aller Jahrhunderte. Angesichts der menschenverachtenden Methoden im 20. Jahrhundert, provoziert vor allem durch den Kommunismus und den Nationalsozialismus, hatte bereits Papst Paul VI. einige Kriterien erweitert. «In der Trübsal des Kerkers» («in aerumnis carceris») sterben, wurde in erweiterter Form aus- gelegt. So wurde Karl Leisner († 1945), der nach der Auflösung des Konzentrationslager Dachau an den Folgen des bereits in ihm steckenden irreversiblen Todeskeims starb, seliggesprochen.

Auch heute noch werden überall auf der Welt Christen wegen ihres Glaubens verfolgt, in den Medien hört man aber nicht viel darüber.
Ja, auch und gerade in unserer Gegenwart werden Christen in vielen Teilen der Welt beargwöhnt, verfolgt, verschleppt, marginalisiert und am Ende auch gewaltsam umgebracht. Nicht wenige säkulare Medien, auch im deutschen Sprachraum, klammern solche Verstösse gegen die Menschlichkeit, gegen die Religionsfreiheit, nicht selten aus. Andere berichten nur hin und wieder darüber. Umso mehr sind die christlichen Medien aufgerufen, tapfer gegen diese Einseitigkeiten vorzugehen.

Märtyrer gibt es in allen christlichen Kirchen. Hat dies Einfluss auf die ökumenischen Bestrebungen?
Papst Johannes Paul II. betonte: «Das Zeugnis für Christus bis hin zum Blutvergiessen ist zum gemeinsamen Erbe von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern und Protestanten geworden, wie schon Paul VI. in der Homilie bei der Heiligsprechung der Märtyrer von Uganda betonte. Das ist ein Zeugnis, das nicht vergessen werden darf.»  Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit der «Ökumene der Märtyrer». Papst Franziskus spricht sogar bisweilen von der «Ökumene des Blutes». Entscheidend ist die Hingabe der Christen an den Willen Gottes. Auf diese Weise wachsen die christlichen Konfessionen immer mehr zur versöhnten Verschiedenheit zusammen

Interview: Rosmarie Schärer

 

* Prälat Prof. Dr. Helmut Moll (Jg. 1944) ist Professor für Exegese und Hagiographie an der Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim Bierbronnen (D). Er war von 1993 bis 2004 theologischer Konsultor für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Seit 1996 ist er Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts und seit 1998 Beauftragter für Selig- und Heiligsprechungsverfahren im Erzbistum Köln.

Buchempfehlung: «Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts». Hg. von Helmut Moll. Paderborn 2019. ISBN 978-3-506-78012-6, CHF 134.–. www.schoeningh.de. In Zusammenarbeit mit den Bistümern und den Ordensgemeinschaften haben 160 Fachleute Lebensbilder von knapp 1000 katholischen Märtyrern und Märtyrerinnen erarbeitet. Es ist bereits die siebte überarbeitete und aktualisierte Auflage.

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