«Ich würde ihn glattweg erschiessen!», meint eine Frau, und ein Mann ergänzt, er würde es mit einem Messer tun, so könne er seine Wut besser zum Ausdruck bringen. Andere hingegen würden das Gespräch suchen, die Bilder der Kriegsopfer zeigen und an die Empathie appellieren. So spannungsreich waren die Antworten, als ich bei einem Vortrag in einer Zürcher Pfarrei zum Thema «Wo ist der Frieden?» vor wenigen Wochen die Menschen im Raum fragte, was sie tun würden, wenn sie jetzt im Restaurant nebenan Herrn Putin, der seine Verwandte in der Schweiz besucht, ohne grosse Sicherheitsmassnahmen treffen könnten.
Die Forderung wie auch der Wunsch nach Frieden angesichts des Krieges in der Ukraine hat eine neue Bedeutung erhalten. Wer «Fratelli tutti» von Papst Franziskus aus dem Jahre 2020 liest, staunt über den Optimismus. Und doch bieten «Fratelli tutti» wie auch die vor 60 Jahre erschienene, bahnbrechende Enzyklika Pacem in terris von Papst Johannes XXIII. in unserer heutigen Situation wertvolle Gedankenanstösse.
Schmerzhaft wird uns Menschen in Westeuropa spätestens seit dem 24. Februar 2022 bewusst, dass mehr oder weniger friedliche Zeiten keine Selbstverständlichkeiten sind. Als Theologinnen und Theologen müssen wir anerkennen, dass die Aussage, dass wir auf der Erde und nicht im Himmel leben – trotz des angebrochenen Reiches Gottes –, eben einiges schmerzhafter und unangenehmer ist als gedacht. Diese Spannung wurde mir besonders deutlich, als im März 2022 bei einem Gespräch im Rahmen von Justitia et Pax Europa unser ukrainischer Kollege nebst dem Gebet, dem Sichtbarmachen unserer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und humanitären Hilfsgütern auch um Waffen bat. Wir erschraken und versuchten unsere «Friedensverpflichtung» zu begründen. Es wollte nicht wirklich gelingen. Auf der Grundlage unseres gemeinsamen christlichen Ethos fanden wir das Recht auf Selbstverteidigung als Grundlage für gegenseitiges Verständnis und Engagement. Dazu gehört auch, dass wir einander helfen, wenn sich jemand selbst verteidigen muss, auch wenn dies nicht ohne die Inkaufnahme von Übel geht. Noch bedeutender wurde für uns, angesichts der Spannungen den Dialog aufrechtzuerhalten und im Kontakt zu bleiben.
Ob es nun um die Architektur oder das Handwerk des Friedens (vgl. Fratelli tutti Nr. 228) geht – unbestritten wichtig ist, dass wir unsere Wertgrundlagen kennen und benennen können. Mit «Pacem in terris» (Nr. 5ff) hat Johannes XXIII. die Menschenrechte als eine solche Wertgrundlage auch für das kirchliche Engagement für Gerechtigkeit und Frieden offiziell bestätigt und bekräftigt. Die Zeichen der Zeit (vgl. PT 21ff) verlangen damals wie heute, dass wir wissen, was uns wirklich wichtig ist. «Der Westen wird in der Ukraine verteidigt», meinte die Frau, als ich sie nach ihrem Grund für ihr Handeln fragte. Doch was bedeutet das? «Meinungsfreiheit», antwortete sie nach kurzem Überlegen. Was würden Sie sagen?
Thomas Wallimann*