Einsatz für Ernährungssicherheit und Gerechtigkeit

David Diaz (Foto Fastenopfer / Patricio Frei)

In Poblazón und Quintana im Südwesten Kolumbiens sind die natürlichen Lebensgrundlagen und Rechte der indigenen Bevölkerung bedroht. Die Ökumenische Kampagne 2014 von Fastenopfer und Brot für alle setzt sich dafür ein, dass wir über Generationen und Landesgrenzen hinweg für gerechte Verhältnisse sorgen. Dieser Verantwortung können wir uns als Bewohnerinnen und Bewohner des gleichen Welt-Haushalts nicht entziehen.

Die Hydra der Bürgerwehren

Mit «Die Hydra der Bürgerwehren» übertitelte der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abadin Ende Februar in der NZZ einen Bericht über sein Land. Er erzählt darin, wie in Kolumbien seit Jahrzehnten vom Staat legitimierte Paramilitärs, Militärs und Guerillas die Bevölkerung terrorisieren. Auch sonst erreichen uns aus Kolumbien meist negative Schlagzeilen. Sie erzählen nicht nur von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen, sondern auch von Menschenrechtsverletzungen, illegalem Drogenhandel und Vertreibungen der Kleinbauernfamilien durch Minengesellschaften. Am Profit orientierte industrielle Landwirtschaft und die Verwendung von chemischem Dünger, Pestiziden und Herbiziden bedrohen die Ernährung der indigenen Bevölkerung. Diese kämpft für ihren Anteil an Land und den Erhalt ihrer Kultur.

Auch wenn wir hin und wieder von den Problemen in Kolumbien hören: Die uns fremden Menschen geraten schnell wieder in Vergessenheit. Die meisten von uns zweifeln grundsätzlich daran, ob unser Handeln etwas gegen die weltweite Ungerechtigkeit ausrichten kann. Im neuzeitlichen Gerechtigkeitsverständnis ist die Einzelperson selbst für die Gerechtigkeit verantwortlich. Dieser Individualismus und das in der heutigen Gesellschaft dominierende Bild des «Selbstversorgers» können zu keiner weltumspannenden Generationengerechtigkeit führen. Es braucht einen Wandel.

Sorge tragen zu «Madre Tierra»

Semillas de Agua ist eine Partnerorganisation von Fastenopfer in Kolumbien und setzt sich seit 20 Jahren für die Ernährungssicherung und Gerechtigkeit ein. Die Organisation fördert eine umweltverträgliche Landwirtschaft und eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen. Der Ansatz der «Agricultura conservacionista», der erhaltenden Landwirtschaft, bringt die Interessen der Landbevölkerung mit der Erhaltung der Umwelt in Einklang.

David Diaz, Direktor und Gründer der Organisation, weist immer wieder auf Faktoren hin, welche die Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigen: maschinelle Bewirtschaftung von grossen Flächen, Verwendung von Pestiziden und Herbiziden und grosse Monokulturen. Die moderne Landwirtschaft hat vielerorts bereits dazu geführt, dass die oberste Bodenschicht ihre wertvollen Nährstoffe verloren hat. Der Landwirtschaftsingenieur David Diaz gibt die Hoffnung nicht auf. Er sucht den persönlichen Kontakt zu den Bäuerinnen und Bauern in den indigenen Gebieten und gibt sein wertvolles Wissen weiter. Die Landbevölkerung zum Verzicht auf Pestizide zu überreden ist nicht einfach, er muss immer wieder viel Überzeugungsarbeit leisten. Sein Einsatz hat sich gelohnt: Die Familien im Projekt «Semillas de Agua» verzichten auf Kunstdünger und haben gelernt, dass Unkraut nicht einfach ausgerissen werden soll, sondern nützlich ist: Es erhält die Bodenfruchtbarkeit.

Maria Maca, eine 47-jährige Bäuerin, hat die Wichtigkeit einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung erkannt: «Wir dürfen der Erde keinen Schaden antun oder sie gar töten. Wir schädigen uns damit selber.» Die Organisation «Semillas de Agua» trägt mit ihrem Ansatz dazu bei, dass die verlorene Beziehung der lokalen indigenen Bevölkerung zur «Madre Tierra» – zur Mutter Erde – wiederhergestellt wird.

Sensibilisierung der Bevölkerung

«Semillas de Agua» setzt sich auch für gleichberechtigte Beziehungen zwischen Frauen und Männern ein. Bei wichtigen Entscheidungen können die Frauen in der Region nach wie vor nicht mitreden. Die verschiedenen Projekte für eine vielfältige landwirtschaftliche Produktion und das Anlegen von Gemüsegärten verhelfen den Familien und insbesondere den Frauen zu einem Zusatzeinkommen. Zudem bietet «Semillas de Agua» Weiterbildungskurse über die nachhaltige Nutzung von Boden und Workshops speziell für Frauen an. Auch wenn viele Frauen Konflikte mit den Ehemännern in Kauf nehmen, um einen Kurs besuchen zu können, lassen sie sich nicht davon abhalten. Sie wissen, dass es sich lohnt, sich Wissen anzueignen, es ist eine Investition in die Zukunft und für nachfolgende Generationen.

Um die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen und die Ernährungssicherheit gewährleisten zu können, werden Kinder und Jugendliche für den Umweltschutz sensibilisiert. Die indigene Bevölkerung lernt zudem ihre Rechte kennen und diese auch vom Staat einzufordern. Damit leistet «Semillas de Agua» einen wertvollen Beitrag zur Förderung der Menschenrechte.

Gemeinsames Säen und Ernten

Das diesjährige Motto der ökumenischen Kampagne «Die Saat von heute ist das Brot von morgen» ist für die Partnerorganisationen in Kolumbien seit vielen Jahren ein zentrales Prinzip: Heute muss etwas gegen die Ungerechtigkeit, gegen den Klimawandel und gegen eine Ausbeutung der wertvollen natürlichen Ressourcen unternommen werden, um Veränderungen in der Zukunft zu erzielen. Dazu tragen «Semillas de Agua» und die aktive Bevölkerung von Poblazón und Quintana bei.

Durch gemeinsames Sorgetragen und aktives Handeln geschieht Veränderung, die Lebensbedingungen werden allmählich besser. Der Einsatz für Gerechtigkeit ist kein Soloprogramm. Die Bibel präsentiert eine Alternative zu dieser Selbstinszenierung, sie fordert einen Aufbruch in der Gemeinschaft. Die Wirkung dieses Handelns ist das Einzige, was unsere biologische Existenz überdauert und gleichzeitig Erbe für unsere Kinder. Diesen Gemeinschaftssinn haben die Bäuerinnen und Bauern der indigenen Schutzgebiete Poblazón und Quintana bereits entdeckt. Mit «Minga» – kollektiver Arbeit – werden Felder bewirtschaftet. Dadurch wird die Gemeinschaft gestärkt und eine alte Tradition aufrechterhalten und weitergegeben.

Die Schöpfung Gottes verwalten

In der Bibel liegt auch die gemeinsame Sorge für den Welt-Haushalt begründet. Der Bund Gottes mit den Menschen über Raum und Zeit hinweg kann als Vertrag gesehen werden: Wir sind dazu verpflichtet, Erbinnen, Treuhänder und Vererbende der Schöpfung Gottes zu sein. Alle Menschen sind aufgefordert, sich als Teil einer Gemeinschaft gegen die Ungerechtigkeit und für eine weltumspannende Generationengerechtigkeit einzusetzen. Die Sorgen der ländlichen Bevölkerung Kolumbiens über die zukünftige Ernährungssituation und Folgen des Klimawandels können nur durch unser gemeinsames Sorgen für einen nachhaltigen und gerechten Welt-Haushalt verringert werden. David Diaz betont, dass sich dieser Verantwortung niemand entziehen kann. Künftige Generationen sollen einen Planeten vorfinden, der ihnen ein Leben in einer sicheren Umwelt ermöglicht. Dafür ist jeder Einzelne, jede Einzelne von uns verantwortlich.


 

Kampagnengast von Fastenopfer 2014

Der kolumbianische Landwirtschaftsingenieur David Diaz (57) ist Experte für Bodenfruchtbarkeit und Klimawandel. Vor 20 Jahren gründete er die Organisation «Semillas de Agua» und ist heute deren Direktor. Als Professor gibt er sein Wissen auch an der Universidad de los Llanos in Villavicencio, Kolumbien, weiter. David Diaz weilt vom 7. bis zum 25. März 2014 in der Schweiz und berichtet an Schulen und in Kirchgemeinden von seinen Erfahrungen.

Mehr Informationen: www.sehen-und-handeln.ch

Andrea Müller (Bild: zVg)

Andrea Müller

Andrea Müller hat an der Universität Zürich Ethnologie und Theologie studiert. Momentan ist sie Mitarbeiterin der ökumenischen Kampagne von Fastenopfer und Brot für alle und betreut den Kampagnengast David Diaz.